Lina fand kitschige Liebesfilme und Teeniekomödien zwar immer zum Fremdschämen und gar nicht lustig, aber irgendwie auch toll. Nur wusste sie, dass die Wahrheit wohl gar nicht so aussehen würde, wie in den Filmen immer projiziert wurde.
Als Lina auf Adam traf, blieb die Welt nicht stehen, es war nicht so als wenn sie die einzigen zwei Menschen auf dem Planeten gewesen wären und sie versanken auch nicht gegenseitig in ihren Augen. Der Raum in dem sie sich zu jener Zeit befanden, war voller betrunkener Menschen, es roch nach Schweiß und Sonnenmilch und Miriam redete die ganze Zeit wie ein Wasserfall.
"Ich bin Lina." antwortete sie und schüttelte grinsend seine Hand. Auch hier keine Stromstöße oder Funken.
Die sechs Jugendliche kamen ein wenig ins Gespräch, tranken und lachten viel und obwohl gar nichts außergewöhnliches passiert war, war Lina irgendwie ruhig. Ihr Inneres schrie nicht mehr unaufhörlich nach Aufmerksamkeit, sie wurde nicht immer tiefer und tiefer in ein Loch gezogen, dass schier keinen Boden zu besitzen schien. In ihr war es ruhig und sie fühlte sich normal. Natürlich kannte Lina das Gefühl, es war die Ruhe vor dem Sturm. Lina konnte nicht glücklich sein, sie durfte es nicht. Denn immer wenn sie einigermaßen auf dem Damm war, passierte etwas, dass sie noch viel tiefer hinab zog und sie noch ein Stückchen zerstörte. Immer ein Stückchen mehr und irgendwann würde von ihr nichts mehr übrig bleiben.
"Bitteschön, Madame."
Adam hielt ihr einen weiteren Cocktail unter die Nase, den sie gar nicht bestellt hatte. "Du solltest mich dafür echt bezahlen lassen, die sind echt schweineteuer hier."
"Ach papperlapp."
Adam drehte sein Gesicht, eindrucksvoll elegant zur Seite und verweigerte so den 10€-Schein den Lina ihm unter die Nase hielt. Gespielt tragisch seufzend lehnte sich Lina ein Stück zurück und hielt mit der rechten Hand ihr Herz fest. "Wie können Sie es wagen, eine solch edle Geste abzulehnen?" Die Beiden brachen in schallendes Gelächter aus, was ihnen von Matthias einen wissenden Blick und von den anderen drei Mädchen ein verwirrtes Kopfschütteln einbrachte.
Dieses Schauspiel zeigte sich bei den nächsten Getränken immer wieder. Mal nahm Adam das Geld zwar an, meistens jedoch nicht. Auch Lina spürte den Alkohol irgendwann."Gehen wir eine rauchen, Madame?"
"Sehr gerne der Herr. Aber müsste das nicht eigentlich Mademoiselle heißen?"
"Ach keine Ahnung, ich hab Französisch so schnell wie es geht abgewählt in der Oberstufe. Vier Jahre lang haben mir echt gereicht."
"Ja war bei mir auch so!"
Adam hielt ihr seinen Arm hin zum einhaken und beide verließen die Strandbar um ein paar Meter abseits zu rauchen. Der Junge mit den blonden Haaren fischte ein abgewetztes Zigarettenpäkchen aus der Hosentasche und zündete sich eine Zigarette an. "Willst du auch?"
"Ich hab selber, Danke!" Lina machte Anstalten, ihr eigenes Metalletoui aus der kleinen Hosentasche zu ziehen, wurde aber von ihrem Gegenüber unterbrochen. "Hier, kannst eine von meinen haben."
"Du solltest mich echt nicht so verwöhnen!"
"Pfft, ich bin ein emanzipierter Mann und treffe meine eigenen Entscheidungen!" Adam plusterte sich regelrecht auf, wie ein Gockel und strich sich durch die Haare. Lina konnte nicht anders, als ein wenig zu lachen und den Kopf zu schütteln. "Du bist echt komisch!"
"Danke! Ich weiß!" Adam zog an seiner Zigarette und inhalierte das Nikotin. Auch wenn diese kleinen Stangen als Selbstmord auf Raten fungierten, fand Lina Männer, die rauchten schon immer unglaublich attraktiv.
"Also, was habt ihr in eurem Urlaub noch so vor?"
"Leben."
"Äh-"
"Wir haben unser Abi geschafft und wollen den Sommer jetzt nutzen, um mal so richtig aufzudrehen." Das war immerhin die halbe Wahrheit, die Lina dort preis gab. Ja, sie wollte so richtig leben, aber nur für den Sommer. Und zwar nicht in dem übertragenen Sinne, wie es die meisten Abiturienten meinten, wenn sie sich danach ins Studium oder in die Ausbildung stützten.
"Na dann bin ich genau dein Mann!" Adams blaue Augen funkelten voller Vorfreude. "Erste Lektion-" Er räusperte sich und begann dann, so schief wie man solch einen Ballermann-Klassiker nun mal eben schmettern konnte, zu singen. "Wir müssen aufhören weniger zu trinken!"
"Noch mehr Alkohol?"
"Mach doch nicht schlapp, Baby, die Leber wächst mit ihren Aufgaben!"
"Hältst du mir dann später die Haare?"
"Aber natürlich, Lina. Ich bin doch ein Gentleman!" Spitzbübisch grinsend blickte der 19-Jährige das Mädchen vor ihm an. Er musste ein paar mal blinzeln, da ihm ein paar Strähnen in die Stirn fielen und der Alkohol ihm außerdem ein wenig die Sinne vernebelte. Lina war außerordentlich sympathisch und auch noch hübsch dazu, aber irgendwas schien einfach nicht so zu lassen.
Besagtes Mädchen ergriff seine ausgestreckte Hand und die beiden stolperten, oder vielmehr schwankten, zurück zu den Anderen.
Er würde es schon noch herausfinden! Aber jetzt brauchten sie erst einmal etwas zu trinken!
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Lina geht #Goldenbookawards2018
ContoLina will nicht mehr, sie hat einfach keine Lust mehr, also beschließt sie zu gehen. Ob Adam das ändern kann? >> Es geht nicht darum, dass Leben zu zelebrieren und die schönen Seiten kennen zu lernen, es geht darum sich zu verabschieden. <...