Das mit dem Meer

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Lina liebte den Geruch nach Meer. Das Salzige in der Luft, das Kreischen der Möwen, das Geräusch der Wellen und wie sie an den Steg brachen. Das kam vielleicht daher, dass sie als Kind oft bei ihren Großeltern an der See war. Sie hatte es immer toll gefunden mit ihrem Opa im Schlauchboot über die Trave - die ja irgendwann in die Ostsee mündete - zu fahren oder mit ihrer Oma in Timmendorfer Strand zu flanieren.

Auch wenn Lina jetzt in Holland und nicht in Schleswig-Holstein am Meer stand, hatte es doch etwas heimeliges. Das Meer zu sehen, war wie nach Hause kommen.

"Ist das schön hier!" Schwärmte auch Marisa, als sie es endlich geschafft hatte, sich aus dem Chaos zu befreien, welches sie auf dem Beifahrersitz verursacht hatte. Lina war nicht der Typ an Autofahrer, der jeden Schluck Wasser oder jedes Kaugummi unter 'verbotene Lebensmittel, die das eigene Auto innerhalb von 3 Sekunden zerstören können' abgestempelt hatte und deshalb für jede Kleinigkeit an einem Rastplatz anhielt. Nein, so war sie ganz gewiss nicht und dass nutzte Marisa gerne mal aus, in dem sie sich auf langen Autofahrten eine regelrechte Festung aus leeren Umverpackungen und Kissen schuf. Sie besaß zwar auch einen Führerschein und war durchaus gewillt im Notfall auch das Steuer zu übernehmen, liebte das Autofahren jedoch längst nicht so, wie ihre beste Freundin. Und da diese kein eigenes Auto besaß, ließ Marisa sie nur allzu gerne mit ihrem fahren. Um ehrlich zu sein, war es eh mehr Linas Auto als ihr eigenes, so oft wie die Ältere der Beiden damit fuhr.

"Es ist wirklich wunderbar und es riecht so gut!" Lina atmete tief ein und schloss dabei die Augen. In diesem Moment sah sie so friedlich und ruhig aus, dass Marisa am liebsten auf sie zugestürzt wäre und sie gut durchgeschüttelt hätte. Dieser Anblick erinnerte sie so sehr an eine tote Lina, dass sie auf der Stelle hätte weinen können. "Was ist denn los mit dir, Mara?"

Mara. Den Spitznamen hatte sich Lina in der fünften Klasse für sie ausgedacht, als sie eigenhändig beschlossen hatte, dass die beiden jetzt befreundet waren. Schniefend warf sich Marisa gegen ihre beste Freundin und drückte sie kurz an sich. "Ich bin einfach so unglaublich emotional, es ist jetzt einfach alles vorbei und ich will nicht in zwanzig Jahren auf mein Leben schauen und feststellen, dass du fehlst!"

"Warum sollte ich denn fehlen?"

"Viele Freundschaften verlieren sich nach der Schulzeit. Egal wie gut und fest sie waren."

"Ach Mara." seufzte Lina. Ihre zuvor angespannte Stimme hatte eindeutig an Spannung verloren, auch ihre Körperspannung ließ nach. Warum war sie so angespannt? Hatte sie tatsächlich gedacht ihre beste Freundin könnte etwas vermutet haben? Wusste sie den wahren Grund hinter ihrer Reise? Lina hoffte, dass dem nicht so war. Sie wollte, dass ihr letzter, gemeinsamer Sommer ein schöner und unbeschwerter war. So wie die acht davor es immer gewesen wären, sobald die Schulglocke die Sommerferien eingeläutet hatte. "Du bist immer so sentimental." beschwerte die Grünäugige sich spielerisch, woraufhin sich Marisa von ihr losmachte und sie aufgesetzt empört ansah.

"Hey, ich kann doch nichts dafür! Beschwer dich bei meiner Mutter!"
Da hatte sie definitiv Recht. Sabine Reichenbach, die Mutter von Marisa, war durchaus unglaublich emotional und sentimental und ab und an auch noch melancholisch dazu - vielleicht war dies auch einer der Gründe warum Lina so gut mit ihr klar kam und verstand.

"Lass uns mal den Bungalow einräumen. Wir müssen auch noch einkaufen."

Die beiden Mädchen hatten sich für die nächsten zwei Wochen, einen Bungalow in einer Campinganlage direkt am Meer gemietet. Er war nicht sonderlich groß oder luxuriös, aber komfortabel und vor allem erschwinglich für Abiturienten-Portemonnaies, auch wenn die Eltern der Beiden etwas dazu taten.
Ihr Bungalow lag zwar nicht direkt am Wasser, bis dahin mussten sie noch ein wenig laufen, aber dafür konnten sie mit dem Auto direkt davor parken und mussten ihre schweren Einkäufe nicht meterweit schleppen.

"Koffer tragen und ausräumen? Wasserkästen, Grillkohle und Klopapier schleppen? Ich kann mir nichts schöneres vorstellen." brummte Marisa sarkastisch, die sich wieder ein wenig beruhigt hatte.

Lina lachte.

Lina geht #Goldenbookawards2018Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt