Während sie geschrien und geweint hatten und sich Dinge an den Kopf geworfen hatten, die sie vielleicht ganz anders gemeint hatten, hatte Lina die nächste Ausfahrt zu einem Rastplatz genommen. Jetzt saßen sie sich stillschweigend auf einer der hölzernen Sitzgelegenheiten gegenüber, jede mit unberührtem Essen vor sich.
"Du musst mir helfen zu verstehen." bettelte Marisa, nach einer gefühlten Ewigkeit der Stille.
"Ich will sterben, Ende." Lina war trocken und mittlerweile machte ihr es nichts mehr aus, diesen Gedanken auszusprechen. So oft hatte sie es in einsamen und traurigen Nächten bereits vor sich hergesagt.
"Das kannst du nicht einfach so sagen."
"Warum? Denkst du ich das ziehe das nicht durch?"
"Lina! Ich will dich zu nichts ermutigen!" Marisa schluckte schwer. "Das ist es ja gerade, wovor ich Angst habe. Das du es machst. Unüberlegt und was wird aus uns anderen? Deinen Eltern?"
"Ich will sterben seit ich neun bin, Mara." Linas Stimme klang müde, als wenn sie tausend Jahre alt wäre und die schrecklichsten Dinge auf diesem Planeten miterlebt hätte.
"Schwachsinn! Niemand will in diesem Alter sterben." Fuhr Marisa ihre beste Freundin an. Die heißen Tränen brannten auf ihren Wangen, der Gestank vom überfüllten Mülleimer links von ihr machte es schwer durch die Nase zu atmen und die ganze Situation überforderte sie. War das wirklich echt? Sprach sie wirklich zu ihrer besten Freundin? In Person? Ja das war eine Unterhaltung die sie tatsächlich im realen Leben führten, hier versteckte sich niemand hinter virtuellen Wänden oder Firewalls, das hier war echt und verdammt beängstigend.
"Woher willst du das wissen? Weißt du wie es mir geht? Ich dache du hast das Tagebuch gelesen?" blaffte Lina zurück und kämpfte schon wieder mit den Tränen. Warum war das nicht so einfach wie sie sich es erhofft hatte? Sie hatte gedacht, das würde so funktionieren. Niemand hätte etwas mitbekommen sollen, aber dann hatte Mara ihren Plan aufgedeckt und Adam hatte ihr echt Spaß bereitet, aber was es genug um jetzt einen Rückzieher zumachen? Nur weil eine Woche anders gewesen war, als all die Jahre zuvor? Nur weil es ihr einmal gut ging, wiegelte dies nicht den Schmerz von all den Jahren auf.
"Ja habe ich und es war verdammt beängstigend das zu lesen! Was ist denn mit Therapie? Willst du das deinen Eltern wirklich antun? Und mir? Vielleicht wirst du es bereuen."
Lina lachte auf. Es war heiser und es klang beinahe verrückt. "Wie soll ich es denn bereuen? Meinst du ich werde als Geist umher schweben und meine trauernden Eltern sehen? Warum wird denn immer nur an die Anderen gedacht, wie viel Leid ich ihnen mit dieser Entscheidung zufüge und nie darüber nachgedacht, was mit einem Menschen passieren muss, dass es soweit kommt? Nein Marisa, meine Entscheidung steht und das hier-" Lina fuchtelte wild umher. "War bloß einer der letzten Stopps auf meinem letzten Weg."
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Lina geht #Goldenbookawards2018
Short StoryLina will nicht mehr, sie hat einfach keine Lust mehr, also beschließt sie zu gehen. Ob Adam das ändern kann? >> Es geht nicht darum, dass Leben zu zelebrieren und die schönen Seiten kennen zu lernen, es geht darum sich zu verabschieden. <...