Kapitel 9

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,,Ich hasse dich nicht"

In der darauffolgenden Nacht schlafe ich schlecht. Verdammt schlecht.
Ich werde geplagt von schlechten Träumen und zu allem Übel verschlafe ich auch noch über eine halbe Stunde. Da ich das Duschen heute Morgen sowieso vergessen kann, krieche ich stöhnend aus dem Bett und ziehe mich direkt an. Nach dem Zähneputzen und Haarebürsten, schnappe ich mir meine Tasche und stolpere zur Tür hinaus.
Der Tag verläuft wie in Zeitlupe. Kurs, gefolgt von Kurs, ziehe ich wie eine Schnecke durch den Tag und nehme nichts um mich herum richtig wahr.
Ich werde erst mit einem Schlag wach, als ich ihn neben meinem Spind erblicke, wie er mühsam versucht, all seine Bücher in den kleinen Metallkasten zu quetschen. Wie erstarrt bleibe ich stehen. Ich bewege mich nicht einmal, als ein Junge mit Boxerschnitt ziemlich unsanft in mich reinrennt und mich anpflaumt, ich solle gefälligst auf die Seite gehen.
Ich habe nur Augen für ihn.
Kaum kann ich auch nur darüber nachdenken, was ich da gerade tue, laufe ich auch schon los und stehe plötzlich neben ihm.
Blake scheint mich noch nicht bemerkt zu haben. Stattdessen hat er jetzt anscheinend beschlossen, Gewalt anzuwenden und beginnt, auf seine Bücher einzuschlagen. Ich nutze den Moment, in dem er zu beschäftigt ist, um mich wahrzunehmen und betrachte ihn. Er hat abgenommen.
Nicht viel, aber genug, dass seine Wangenknochen nun noch deutlicher hervorstechen. Seine Haut ist nach wie vor ziemlich blass und die Schatten unter seinen Augen sind unverändert dunkel. Anstatt der Platzwunde an seinem rechten Auge, prangt jetzt eine noch größere an seiner Lippe und ich meine, noch ein paar neue Kratzer auf seinem Gesicht zu entdecken.
Was macht er nur?..
Plötzlich dreht er sein Gesicht und durchbohrt mich mit seinen eisblauen Augen. ,,Starr mich nicht so an!" schnauzt er und knallt lautstark seine Spindtür zu. Gerade als er sich ohne ein weiteres Wort abwenden, und mich stehenlassen will, erwache ich aus meiner Starre. ,,Warte, Blake!"
rufe ich und mache einen Schritt auf ihn zu. Er dreht sich zu mir um, sagt jedoch nichts. Starrt mich einfach nur an, als wäre ich der letzte Mensch, mit dem er sich gerade abgeben wollen würde. Höchstwahrscheinlich bin ich das auch. ,,Darf ich dir eine Frage stellen?" platze ich heraus.
Ich hatte erwartet, dass er mich wie immer ignoriert, doch er sieht mich einige Sekunden an und nickt dann.
Fast unmerklich, aber gerade deutlich genug, dass ich es sehe.
,,Wieso hasst du mich so?" flüstere ich. Blake zuckt zusammen. Damit hat er nicht gerechnet. Für den Bruchteil einer Sekunde, meine ich Unsicherheit in seinem Blick aufblitzen zu sehen, doch dann hat er sich wieder gefangen und runzelt- fast schon verärgert- die Stirn. ,,Wie kommst du darauf?"
will er wissen.
Ich lache verächtlich und versuche mir meinen Schmerz nicht anmerken zu lassen. ,,Das meinst du jetzt nicht ernst." Kopfschüttelnd starre ich ihn an und frage mich ernsthaft, ob er eventuell an Wahrnehmungsstörungen leidet. Vermutlich.
,,Du ignorierst mich. Jeden Tag." beginne ich. ,,Siehst durch mich hindurch als wäre ich niemand. Und wenn du mal beschlossen hast, mich nicht zu ignorieren, behandelst du mich wie Abschaum und schreist mich an. Ich.." Plötzlich stutze ich und merke, wie mir- wie schon viel zu oft in diesem Monat- die Tränen kommen.
,,Ich weiß nicht, was ich falsch gemacht habe... und ehrlich gesagt, hätte ich nie gedacht, dass mich ein Mensch jemals so verletzen, geschweige denn so hassen würde."
Mit den Tränen kämpfend, balle ich die Fäuste, um mir selbst Halt zu geben und blicke ihn durch meine verschleierte Sicht an.
Blake starrt mich an. Als wäre das alles völlig neu für ihn. Als wäre er nicht die Person, von der ich eben gesprochen habe.
,,Ich hasse dich nicht." sagt er dann leise. Plötzlich wirkt er traurig.
Verwirrt und immer noch den Tränen nahe, sehe ich ihn kopfschüttelnd an.
,,Was dann? Was ist los, Blake?"
Er weicht meinem Blick aus und blickt zur Seite. ,,Nichts."
Frustriert werfe ich die Arme in die Luft. ,,Das glaube ich dir nicht.
Du starrst durch die Gegend, als wärst du ein kaltblütiger Mörder, deine Fingerknöchel sind ständig aufgeplatzt, dein Gesicht total verunstaltet und du siehst aus, wie der Tod auf Socken! Sag mir, was los ist, Blake. Ich seh doch, dass irgendetwas nicht stimmt. Du kannst es mir sagen." Um meinen Worten mehr Ausdruck zu verleihen, lege ich meine Hand auf seinen Arm und lächele ihn vorsichtig an. Doch er erwidert es nicht. Schüttelt meine Hand ab und verschwindet wieder hinter seiner Maske. ,,Es ist alles in Ordnung!" herrscht er mich an. Als er sich abermals von mir abwenden will, platzt mir der Kragen. ,,Wieso hast du gesagt, dass du mich küssen willst?!" schreie ich ihm hinterher. Abrupt bleibt er stehen und dreht sich langsam zu mir um. Seine Augen sind weit aufgerissen, sein Blick ungläubig.
,,Was hast du da gerade gesagt?"
Ich hole tief Luft. ,,Rád bych tě teď políbit" spreche ich mit zitternder Stimme. ,,Das hast du zu mir gesagt, als wir zusammen auf der Plattform im Wald standen. Du wolltest mich küssen. Warum?!"
Ich schreie immer noch und die Tränen die mir aus den Augen rinnen, haben meine Sicht rapide verschlechtert. Trotzdem kann ich erkennen, wie Blake auf mich zukommt und etwa einen Meter vor mir stehen bleibt. ,,Woher weißt du das?" Seine Stimme ist ruhig und leise. Aus irgendeinen Grund, macht mich das noch rasender.
,,Das tut nichts zur Sache!" schnauze ich ihn an. Ich bin froh, dass der nächste Kurs schon begonnen hat, sonst hätte sich wahrscheinlich schon längst eine Gruppe schaulustiger Studenten um uns versammelt.
,,Wieso sagst du sowas und hasst mich jetzt aus heiterem Himmel?!"
Meine Hände zittern vor Wut und Frustration. Blake, der eben noch wie die Ruhe selbst schien, verzieht jetzt verärgert das Gesicht und ballt ebenfalls die Hände zu Fäusten.
,,Ich hasse dich nicht, verdammt!"
knurrt er. Seine Augen blitzen.
,,Du hast meine Frage nicht beantwortet." bemerke ich finster.
,,Ich.." Er bricht ab und fährt sich stirnrunzelnd durch die dunklen Haare. ,,Ich will sie nicht beantworten." Nervös zupft er an einem losen Faden an seiner Jeans und weicht meinem Blick aus.
Warte was?
,,Was soll das?" rege ich mich auf.
,,Wieso sagst so etwas zu mir, Blake?
Beantworte gefälligst meine.."
,,Weil es stimmt!" brüllt er. Frustriert rauft er sich die Haare und entfernt sich ein paar Schritte.
,,Was?.." hauche ich. Mit weit aufgerissenen Augen starre ich ihn, durch meine immer noch verschleierte Sicht, an und warte auf eine Antwort. Sie kommt nicht.
,,Was meinst du, Blake?" Meine Stimme zittert schon wieder so gefährlich und ich grabe meine Fingernägel in meine Handflächen, um gegen das Zittern anzukämpfen.
Endlich sieht er mich an. In seinem Blick vermischt sich Verzweiflung und Zorn. ,,Es stimmt." wiederholt er.
Diesmal mit wesentlich festerer Stimme. ,,Ich wollte dich küssen.
Verdammt, ich wollte es, Ace."
Herzschlag. Herzschlag.
Einatmen. Ausatmen.
Wiederholung.
,,Wieso hast du es nicht getan?" flüstere ich. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es wissen will. Aber ich muss.
Blake schüttelt den Kopf und schultert seinen Rucksack.
Das kann jetzt nicht sein Ernst sein!
,,Blake!" zische ich aufgebracht.
,,Beantworte doch ein einziges Mal auf Anhieb meine Frage!"
Er wirbelt herum und funkelt mich wütend an. ,,Weil du am selben Tag mit meinem besten Freund ein Date hattest!" schreit er. Der Zorn und der Schmerz, der in seiner Stimme mitschwingt, lässt mich zusammenzucken.

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