„Darf ich das sehen?"
„Darf ich sowas auch haben?"
„Darf ich damit spielen?"
Fragen, die Nima, Jai und Mira ihrem Vater schon an die tausend Male in den verschiedensten Situationen gestellt hatten. Und beinahe jedes Mal hatte Ezra ihnen auf die selbe Art geantwortet.
„Das darfst du wenn du älter bist."
Dann kamen Arten des Protests, unterschiedlich je nach Kind und stärker ausgeprägt, je älter die Kinder wurden.
Nima brüllte ihn an, stritt sich mit ihm, vertrug sich, nahm sich dann den Gegenstand heimlich, wurde erwischt und bekam noch mehr Ärger als schon gegen Anfang, und dann ging die ganze Sache wieder von vorn los, wie in einem endlosen Kreislauf, bis eine der beiden Seiten diesen zerbrach und frustriert nachgab.
Jai hingegen strafte ihn mit schweigen, manchmal vergingen Stunden, später sogar Tage, bis der Junge und das Strill wieder aus dem Zimmer der Zwillinge auftauchten. Im Zweifelsfall waren es zumeist Hunger oder Durst, die ihn wieder hinaus lockten. Ezra kochte oft warm wenn Jai eingeschnappt war, weil das der beste Weg war ihn wieder aus seinem Zimmer zu holen.
Und Mira? Mira akzeptierte ihr Schicksal stumm, oder so schien es zumindest. Sie wartete auf den richtigen Moment, um ihren Vater bei ihrer Mutter zu verpfeifen oder ihm sonst wie eins auszuwischen. Deswegen fiel es ihm, je älter sie wurde, immer schwerer ihr etwas zu verweigern. Manchmal gab es Tage an denen er tatsächlich Angst vor ihr hatte, und vor dem, was sie tuen würde. Sie genoss das, und manchmal tat sie einfach gar nichts und ließ ihn belustigt unter seiner Paranoia leiden.
Aber letztendlich war die Nachricht, die die drei ihm damit vermittelten, immer die gleiche.
„Ich will das sofort dürfen. Ich will jetzt schon älter sein."
Es gab viele Kinder, die so dachten, und Ezra beneidete sie unglaublich darum, noch so denken zu dürfen, ohne zu wissen, was das Älter werden alles mit so brachte. Er liebte ihren naiven Glauben daran, dass alles besser werden würde, wenn man älter und freier war, und er liebte es, dass er ihnen dieses Gefühl geben konnte. Dass er und Sabine den Kindern eine solche Sicherheit geben konnten, in der ein solcher Gedanke sich überhaupt erst entwickeln konnte. Er selbst hatte nie so gedacht, nicht nachdem er sieben Jahre alt geworden war. Nachdem er seine Eltern verloren hatte, hatte er sofort erwachsen werden müssen. Sehen müssen, wie es war, allein zu sein und tagtäglich ums überleben zu kämpfen. Klar, so schlimm war das Erwachsen werden wohl im Regelfall nicht, und vor allem nicht so früh. Doch der Kernpunkt war, dass es immer schwierig war älter zu werden und es Punkte im Leben gab, an denen man sich alles erarbeiten und um alles kämpfen musste, um Liebe, einen Job, Freundschaften, Anerkennung. Und man würde die Erfahrung machen zu scheitern, immer und immer wieder.
Und als Ezra Nima und Mira und Jai dabei zusah wie sie stritten und lachten und mit dem Strill durch die Wohnung tobten und diese ein wenig verwüsteten, machte es ihn glücklich zu wissen, dass sie für den Moment einfach nur Kinder sein konnten, denn eines Tages würde der Ernst des Lebens sie einholen und sie erwachsen werden lassen, und damit käme der Schmerz, und die Trauer, die ihnen das fröhliche Kinderlachen, das Lächeln und die Unschuld nahmen. Das war es, was der Krieg mit ihm und Sabine gemacht hatte, und mit so vielen anderen. Und das war auch der Grund, warum sie keinen weiteren Krieg riskieren durften. Weil die Kinder einfach nur Kinder sein sollten, solange es ihnen möglich war. Er würde sie vor der Außenwelt und allem bösen um sie herum beschützen, solange er konnte, solange sie ihn ließen. Vor der Vergangenheit, und vor all dem Schrecklichen, was passiert war. Vor dem Urteil anderer. Doch es würde der Tag kommen, an dem sie sich alledem ohne seine Hilfe stellen mussten, an dem sie ihm allein ausgeliefert waren und damit klar kommen mussten. An dem sie die Realität traf. Das würde sich vielleicht langsam anbahnen, oder aber sie einfach treffen wie ein Stein ein Stück Glas, und all das Glück, all die friedliche, naive Unwissenheit der Kindheit mit einem Schlag in Stücke sprengen. Und nachdem dieses Glas gebrochen war, egal, ob es nun mit mehreren schwachen Schlägen in einem längeren Prozess passierte, oder mit einem einzigen, harten Schlag, würde alles unweigerlich anders sein. Sie würden anders sehen, anders denken, sobald sie die Feindseligkeit der Personen um sich herum kennen lernten, Lügen, Gewalt, und Schmerz, der anders war als alles, was sie zuvor je erlebt hatten. Denn das, was am aller schmerzhaftesten war, war der Gedanke, akzeptieren zu müssen, dass das Glas sich nicht wieder zusammensetzen ließ, wenn es einmal zerbrochen war. Dass die Kindheit vorbei war, und kein Weg zurück führte, oder je wieder zurück führen würde.
Und vielleicht verbot er ihnen ein paar Dinge ein wenig länger als nötig, in der Hoffnung, ihre Kindheit dadurch zumindest ein kleines Stückchen verlängern zu können.
„Glaubt mir, das Letzte, was ihr wollt, ist erwachsen werden."
DU LIEST GERADE
Und dann war das Chaos perfekt...
FanfictionZwanzig Jahre nach Rebels ist Mira Bridger, Ezras und Sabines älteste Tochter, acht Jahre alt. Ihre Eltern lieben sie und ihre fünfjährigen Geschwister, die Zwillinge Nima und Jai, über alles, aber die drei können manchmal ganz schön anstrengend sei...