Startsignal (1)

58 8 17
                                    

Chita, Taka und ich verließen die Mensa. Ein paar Gänge weiter trennten wir uns von Taka, der Chita nach eine Stufe höher war als wir. ,,Und? Was haben wir jetzt?" Chita dachte nach. ,,Mathe. Dann Sport. Und dann ist Schluss. Tristan durfte glaub ich immer etwas früher gehen, damit er einen Vorsprung hatte. Und das ging dann immer bis Sonnenuntergang, also 7 Uhr."

,,Tobias, Chita. Sein Name ist Tobias. Fünf Stunden?",fragte ich. Na gut. Ich war definitiv unruhiger, als ich preisgab. Ich konnte niemals so lange laufen. Chita nickte und lächelte, während wir durch das Gebäude spazierten. Eigentlich sollten wir sofort in den Unterricht gehen aber sie hielt es für sinnvoller, erst einmal meine Bücher zu besorgen.

,,Ja aber keine Angst. Der Tiergeist in dir verändert nicht nur dein Aussehen, sondern auch deinen Charakter und deine Fähigkeiten. Du müsstest extrem schnell sein, schneller als die meisten Geparden. Außerdem können Hasen meines Wissens nach weiter hören und sehen. Mehr weiss ich nicht aber du hast eine Chance." Nachdem wir im Lagerraum waren, gingen wir vollgepackt zum Raum 213, wo wir Mathe hatten.

,,Muss ich vor wirklich jedem Acht geben? Gibt es denn keine vegetarischen Rauptiere?" Die Hoffnung in meiner Stimme war kaum zu überhören. Jedoch wurde das kleine Krümmchen sofort zu Nichte gemacht, als Chita einen Lachkrampf bekam. ,, Rauptiere wären doch keine Rauptiere mehr, wenn sie keine Beutetiere fressen würden." Ich sah sie ausdruckslos an, während wie sich die Lachtränen wegwischte und sich wieder einkriegte.

,,Und nein. Das hätte noch nicht einmal Timo überlebt. Wir werden nur scharf aufs Jagen und Töten, wenn wir im Blutrausch stecken. Und der ist bei den meisten von uns nur einmal im Monat für einige Stunden. Du kannst also beruhigt sein." Erleichtert atmete ich aus. Dieses Internat war zwar angesehen, hatte aber kaum 400 Schüler. Also werde ich wohl keine 400 wilde Tiere auf dem Fersen haben, sondern im Durchschnitt nur 9 oder so.  Und wenn ich ihnen aus dem Weg gehe, sollte das doch nicht so schwer sein...oder?

,,Und du bist sicher, dass ich während des Unterrichtes nicht angegriffen werde?" Chita nickte. ,,Leute, die im Blutrausch stecken, kommen gar nicht erst zum Unterricht. Hast du schon einmal versucht einem hungrigen Tiger Algebra beizubringen?" Ich schüttelte den Kopf. Das war die schrägste Frage, die mir je wer gestellt hatte. ,,Ich schon und das ist alles andere als witzig. Vorallem nicht für so eine kleine Wildkatze wie mir." Sie schaudete. ,,Ich werde Bens Mundgeruch niemals vergessen und bin somit gezeichnet fürs Leben."

Ich musste schadenfroh kichern. Die Vorstellung, wie ein kleines Kätzchen von einem größeren Kätzchen angegriffen wird, ist erschreckend witzig. Wir kamen bei einer Tür an, die wie alle anderen tausend Türen aussah. In ihr war die Zahl 213 eingeritzt. Das war er. Der Raum, indem ich jetzt Mathe haben würde. Egal wie schräg das alles war, das YzM war immer noch eine Schule und da hieß es lernen. Ich würde bis Schulschluss sicher sein, das hatte Chita mir versichert. Wovor hatte ich denn dann so eine große Angst? Vor meinen neuen Mitschülern? Vor dem Ding, das Tobias getötet hatte? Oder doch einfach nur davor, die Neue zu sein?

Chita griff nach der Türklinke, hielt dann aber inne, als sie merkte, dass ich mich angespannt hatte und auf meiner Unterlippe herumkaute. Sie lächelte mich sanft an und ihre großen Eckzähne kamen wieder zur Geltung. ,,Jetzt beruhige dich. Ich werde an deiner Seite bleiben und die ganze Schule weiss, dass ich Takas beste Freundin bin. Und jeder hat Angst vor Taka. Sogar das Wolfsrudel und die lassen sich von fast keinem einschüchtern."

,,Wolfssrudel? Etwa eine Art Clique, die aus Wölfen besteht?" Das war zwar nur ein schwacher Witz um die Stimmung etwas zu lockern aber Chita nickte. ,,Ja, das versteht man für gewöhnlich unter einem Rudel. Bereit? Ich verspreche dir, dass die meisten supernett zu dir sein werden." Ich zögerte, nickte aber schließlich. Chita klopfte und öffnete die Tür anschließend. Als wir hinein gingen, streiften meine Ohren gegen den oberen Balken der Tür. Schwer waren sie nicht aber nervig. Hätten die denn nicht ein bisschen kürzer sein können?

,,Hallihallo!",rief sie so fröhlich wie eine Chita nun mal war. Die Lehrerin, die an der Tafel stand und dessen Fuchsohren nicht zu übersehen waren, lächelte Chita und mich breit an. Sie war etwa Anfang 30 und trug einen langen, engen Rock und eine Bluse, auf der das Wappen der YzM eingestickt war. ,,Ach da seit ihr ja. Ich dachte schon, Chita hätte dich bereits gefressen." Sie kicherte über ihren kleinen Witz und die restliche Klasse samt Chita auch. Mir, jedoch, wich die Farbe aus dem Gesicht. Während Chita auf ihren Platz ging und mir ein ,,Viel Glück" zuflüsterte (so viel zum Thema ich bleibe bei dir und passe auf dich auf), blieb ich vorne stehen und geriet so langsam in Verlegenheit.

,,Aila, oder?" Ich nickte. Mir war irgendwie klar, dass das nicht böse gemeint war, dazu sah sie viel zu nett aus und ihre braunen Augen stralten etwas Liebevolles aus. Trotzdem konnte man nur Respekt und Ehrfurcht vor ihr haben, denn sie strahlte auch Macht aus.

,,Gut.",sagte sie schließlich. ,,Ich bin Naomi. Du kannst mich ruhig so nennen, es kümmert eh keinem, dass ich Lehrerin bin." Sie seufzte und warf der Klasse einen vorwurfsvollen Blick zu, baute sich aber schnell wieder auf. ,,Wie dem auch sei. Setz dich. Wir machen weiter." Wieder nickte ich stumm und ging zum leeren Platz neben Chita, die mir die ganze Zeit über auffällig zugewunken hatte, dass ich mich doch zu ihr setzen sollte. Meine neuen Mitschüler beobachteten mich aber nicht hungrig oder so, eher neugierig, was das ganze aber nicht viel besser machte.

Ich ließ mich auf den Stuhl neben Chita fallen und strich mir eine hellblonde Locke aus dem Gesicht.

Der Matheunterricht verlief...naja...fast normal. Ich verstand wirklich rein gar nichts, obwohl ich die ganzen Formeln schon einmal gehört hatte. Mist! Nana hatte recht. Ich hätte nicht so viel schlafen sollen und stattdessen lieber aufgepasst. Mir fiel auf, dass ich nun die Chance hatte, meinem Schicksal als Besitzerin einer Tankstelle zu entgehen. Wie Chita bereits sagte, wenn ich hier meinen Abschluss machen würde, und dann auch noch einen guten, würde ich ein gutes Leben führen können. Vielleicht könnte ich so sogar meinen Vätern helfen. Wenn ich sie vorher nicht umgebracht habe, versteht sich....

In der kurzen Pause zwischen der Doppelstunde redete fast keiner mit mir. Nur Chita. Und ich fühlte mich irgendwie beobachtet.  Unauffällig ließ ich den Blick durch den Raum gleiten und entdeckte ein rothaariges Mädchen, das mich über ihre Schultern hinweg beobachtete. Ihre Nase und ihre Augen waren rot angeschwollen, sie war etwas blass und hatte leichte Augenringe, als hätte sie die ganze Nacht geweint. Unsere Blicke begegneten sich kurz, dann sah sie weg. 

Etwas irritiert sah ich mich weiter um. Einige Plätze in ihrer Nähe waren leer. Bevor ich mich fragen konnte, wieso, schellte es wieder und der Matheunterricht ging in die zweite Runde. Immer wieder ertappte ich mich selbst und das rothaarige Mädchen dabei, wie wir uns gegenseitig stalkten. Ihr Blick wirkte zwar nicht herabschauend und kalt aber ausdruckslos. Als wäre sie über meine Anwesenheit alles andere als begeistert, versuchte es jedoch nicht zu zeigen.

Der Sportunterricht war seltsam. Der Lehrer war der große knufflige Teddybär aus dem Van, der sich als Nancy vorstellte. Während er sprach und verkündete, was zu tun war, warf ich ihm hasserfüllte Blicke zu. Wegen seiner Sonnenbrille konnte ich nicht erkennen, ob er sie erwiderte, ignorierte oder sie gar nicht erst registrierte. ,,Zuerst wird warmgelaufen.",sagte er mit fester Stimme, ,,Ihr kennt die Regeln, wer die 2000 Meter nicht in weniger als 8 Minuten hinter sich bringt, kann gleich weitere 1000 Meter laufen, während der Rest etwas trinken geht."

Er trug eine Shorts, ein  T-shirt und eine Trillerpfeife, was ihn bedrohlicher wirken ließ, weil seine massenweise Muskeln dadurch zur Geltung kamen. Seltsamerweise schien er aber kein Tiergeist in sich zu beherbergen. Er war ein gewöhnlicher Mensch. Aber leiden ließ er uns, als wäre er ein Monster.

Die 2000 Meter in acht Minuten waren das eher kleiner Problem. Chita hatte recht, ich war schnell und hatte noch dazu eine echt gute Ausdauer. So kam es, dass ich die Strecke in 6 Minuten und 45 Sekunden hinter mich brachte. Und mein Herz raste noch nicht einmal.

Was danach kam, war Hölle. Sit-ups, Liegestütze und andere Foltermethoden. Ich wusste ehrlich gesagt gar nicht, ob ich mich hätte freuen sollen oder nicht, als Nancy mir sagte, ich könne jetzt gehen, um meinen Vorsprung auskosten zu können. Ich warf Chita noch schnell einen hilfesuchenden Blick zu. Sie erwiderte ihn aber nur mit einem breiten Lächeln und zwei Daumenhoch. Ich wusste, jetzt ging es erst richtig los.

Renn, Häschen, RennWo Geschichten leben. Entdecke jetzt