16. Dezember 2016 // 14:34

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Freitag, 16. Dezember 2016

Ich verstehe es nicht. Nein. Ganz und gar nicht. Wie sollte ich denn auch? Wer hätte es so kommen sehen?
Ich nicht.
Warum kann das Leben nicht einfach sein? Nicht ein einziges Mal? Warum gibt es vor gut zu sein, endlich einmal, um dann alles umzuwerfen?

Mein Kopf tut weh. Ich spüre förmlich wie die Gedanken umherhuschen, manche bunt leuchtend und hektisch wie von Sturmböen verwirbelt, andere trist und grau, aber mit einer gewaltigen Aura.
Sie sind zu schnell, um eine einzelne zu erfassen, um ihrer kleinen Stimme zu lauschen oder zu erkennen, ob sie ein Wunsch, ein Gedanke oder eine Erinnerung ist.
Ja, sie sprechen. Jeder hat seine eigene Stimme, mache glockenhell, andere nur wie ein dumpfes Grollen. Man versteht sie, könnte es zumindest, wenn sie sich nicht alle zu einem gewaltigen Chor erhöben und gemeinsam die Begehren verkünden würden.
Geballt zu einem einzigen lauten Wirrwarr mit Farben und Emotionen dröhnen sie in meinem Kopf, zwingen mich fast, mich auf sie zu konzentrieren.
Aber ich will nicht. Ich kann nicht. Es wäre zu viel.
Ich bin zu müde, um ihnen jetzt zu lauschen, mich in ihnen zu verlieren. Auch wenn ich ein paar von ihnen dann ordnen könnte...mir fehlt die Energie.
Ich muss warten. Vielleicht beruhigen sie sich.

Du weißt, was mich beschäftigt. Ich weiß es auch.
Es ging alles einfach viel zu schnell. Ich bin verwirrt und niemand kann mir helfen.
Es ist nicht so, dass ich keine Freunde hätte, die sich meine Probleme und Sorgen anhören würde. Die habe ich.
Doch die meisten wissen nicht mit mir umzugehen, schenken mir nur ihr Mitleid, und das brauche ich nicht. Das will ich nicht.
Mitleid macht mich schwächer, und je schwächer ich werde, desto stärker werden sie. Meine Gedanken.
Ich muss gegen sie Kämpfen, dafür brauche ich meine Kraft. Sie dürfen nicht gewinnen.
Denn verloren...habe ich schon einmal.
Wenn die Gedanken den Kampf gegen dich gewinnen, gehörst du ihnen. Sie besitzen dich, steuern dich, während du dich in ihnen verlierst. Man wird eine Hülle, die physisch vielleicht anwesend ist, aber mental auf weiten Wellen reitet und im Meer ertrinkt.
Deshalb darf man sich nie zu lange mit ihnen aufhalten. Denn je länger du bei ihnen bist, desto mehr Kraft entziehen sie dir. Man muss wissen, wie viel Kraft man hat und wie viel man braucht, um sich wieder von ihnen zu reißen. Hat man nicht genug Energie, sollte man den Kampf nicht wagen, denn man verliert.
Die Gedanken kennen kein Unentschieden oder Mitleid. Nein. Sie gehen auf Leben und Tod. Sie wollen die Macht. Über mich. Über jeden. Gedanken wollen regieren, um jeden Preis.
Verlierst du den Kampf, umspülen sie dich, lähmen sie dich und lassen dich wie in einen Schlaf fallen.
Sie überfordern dich, geben dir ein Thema, das du lösen sollst, lassen zu, dass du dich darin vertiefst, geben dir die Hoffnung, dass du doch noch die Kontrolle zurückerlangst, doch dann, wenn du es fast geschafft hast, entreißen sie es dir und geben dir ein neues. Damit du keine Energie ansammelst. Damit sie weiterhin gewinnen.
Und das tun sie dann. Tag für Tag. Du verlierst dich immer mehr, kennst das alte 'Ich' nicht, siehst es nicht. Vielleicht nie mehr.
Wenn sie dich haben, haben sie dich ganz. Allein kommt man nicht hinaus.
Wenn man Glück hat, wie ich, bemerkt jemand deinen komischen Zustand und holt dich heraus. (Nicht, dass das einfach wäre)

Doch glaube nicht, dass du nach diesem Kampf noch derselbe bist.

Nein, ich bleibe wo ich bin. Den Kopf an das Fenster gelehnt, die Kälte an der Schläfe spürend. Den Blick abwesend auf die Landschaft draußen gerichtet, die Stimmen noch immer im Ohr.

Warum muss alles so kompliziert sein? Noch heute morgen schien alles so perfekt.
Warum musste er sich melden. Warum jetzt?

Das letzte mal, dass ich von ihm gehört habe ist anderthalb Monate her. Es war ein Streit.
Er hat mich angeschrien, wies mich an ihn in Ruhe zu lassen. Obwohl ich doch nur helfen wollte...
Er hatte die Depressionen, nicht ich. Ich sollte diejenige sein, die wütend auf ihn ist, nicht umgekehrt. Ich habe nichts falsches getan. Und trotzdem tut er mir weh.
So weh...

Ich dachte, ich hätte mit ihm abgeschlossen. Hätte ihn als eine weitere Geschichte hinter mir gelassen. Nummer 11, so sollte nur noch sein Name sein.
Keine Gefühle mehr für ihn. Keine Träne sollte er mehr wert sein. Nicht ein einziger Gedanke, sollte seinen Namen schreien.

Ich war doch eigentlich heute morgen schon genug aufgewühlt. Denn gestern war so vieles passiert. So viel gutes. So viel neues.
Doch nein. Aufgewühlt reicht für mich nicht, meint mein Leben. Nein. Man muss mich verwirren, zu Boden schmettern und wieder in den Kampf mit den Gedanken werfen. Erst dann ist es mit mir zufrieden.

Mir uns beiden ging es doch eh so schnell. Ich kenne ihn erst zwei Wochen. Da habe ich doch genug zu verarbeiten.
Nein, sagt mein Leben.
Gestern kam er zu mir, das erste Mal, dass wir allein waren. So viele Gefühle schwirrten in meinem Kopf, so viele Farben und Stimmen. Fast so viele wie jetzt.
Doch das reicht nicht, meint mein Leben.
Für mich reicht 'einfach' nie.
Stimmt, sagt mein Leben, du bist eine Kämpferin.

Als ob ich in Sparta wäre...

Wenn mir wenigstens jemand helfen könnte, die ganze Sache zu verstehen.
Aber genau die Menschen, die dazu in der Lage wären, betrifft es ebenso. Mit ihnen kann ich nicht reden. Mit den beiden...

Verwirrung ist das schlimmste Gefühl. Es trägt die Angst bei sich, sowie die Trauer, auch Schmerz und Wut. Niemand kann sie dir nehmen.
Sie geht entweder von allein,...oder bleibt für immer

- 14:34 [..]

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