22. Dezember 2016

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22.Dezember 2016

Es hat sich nichts geändert. Er ist wie früher.
Ich aber nicht.
Es ist so verwirrend. Es ist doch so anders. Ich weiß nicht, was ich machen soll.

Es sind wieder die singenden Farben, die Gedanken in meinem Kopf, die alles schlimmer machen. Sie rasen umher, verbinden sich zu diesem gewaltigen Chor und wollen mich zu sich rufen. Doch ich werde nicht kommen.
Es ist besser mit ihnen. Besser, als noch vor wenigen Tagen. Sie haben sich beruhigt.

Mittlerweile kann ich diese Gedanken unterscheiden. Sie haben sich zu zwei Heeren gespalten, die, zwar ohne Waffen, aber dafür mit Emotionen und Erinnerungen gegeneinander kämpfen. Jedes Heer, das eine in einem rötlichem Schein, das andere in kühlen blau und grün Tönen, steht für einen von beiden. Es ist mein innerer Konflikt.
Sie kämpfen für mich, um mich, wegen mir.
Ich habe ihnen befohlen einen Kampf zu führen. Unbewusst. Bringe mich so selbst in Gefahr.
Denn es braucht so viel Energie, wenn sie kämpfen. Ein Kampf, den nur einer Gewinnen kann und der andere, der verliert, stirbt. Nicht im echten Leben, aber für mich.

Ich weiß, ich muss den Kampf beenden, muss dafür den richtigen Moment abwarten und treffen. Dann, wenn eines der Heere, egal ob blaugrün oder rot, den Gegner zu Boden wirft, zum vernichtenden Schlag ausholen will, muss ich eingreifen. Dann steht der Sieger fest. Doch niemand wird gänzlich ausgelöscht.
Es sind zwei Heere. Für jeden eines. Nico und Samuel. Rot für meinen Freund, blaugrün für den, für den ich keine Bezeichnung weiß.

Am liebsten würde ich die Augen schließen und aufgeben. Ich kann und will nicht mehr.
Einmal habe ich es wieder leicht, denke, dass ich glücklich bin. Es gibt keinen Störfaktor, der mich verunsichert und alles ist auf dem Weg, perfekt zu werden.
Doch dann kam er. Warf mich aus meiner Bahn. Schon wieder.

"Hey, wollte dir nur viel glück wünschen. Hab gesehen, dass du anscheinend jemanden hast.  Freut mich wirklich :) und allgemein wollt ich mich nochmal für alles entschuldigen, was ich für kacke dir genüber gesagt hab."

Ich musste an die Worte meiner Freundin denken. "Wär erbärmlich, wenn er sich meldet..."
Ich habe zu dem Zeitpunkt gelacht, den Kopf geschüttelt. Geglaubt, dass er sich nie wieder melden würde. Da war ich mir sicher.
Er war nur noch eine meiner Geschichten, sorgfältig mit Nr. 11 versehen, abgehakt.
Keine Gefühle mehr. Keine Liebe, kein Hass. Nichts. Ich blickte nicht mehr zurück.

Und dann blickte ich auf mein Handy. Las seinen Namen. Nico.
Ich wusste in dem Moment nicht, ob ich lachen, oder wütend sein sollte.
Was wollte er? Wieso gerade jetzt?

Der letzte Kontakt, den wir davor hatten, ist über einen Monat her. Er hatte mich damals angeschrien, ich solle ihn in Ruhe lassen.
Obwohl ich ihm nur helfen wollte.
Er hatte niemanden. Niemanden, mit dem er reden konnte. Und ich bot ihm das an. Machte mir Sorgen um ihn.
Wie wurde es mir gedankt?
Er sagte, dass nicht alles in Ordnung sei, so fragte ich ihn jeden Tag, wie es ihm ging. Wollte nicht mehr, nur eine ehrliche Antwort. Wollte ihm nur anbieten, zu reden, wenn er wollte.
Er löschte sein Profilbild, auch den Status. Und ich machte mir Sorgen. Fragte also nach, was denn los sei. Ob alles in Ordnung sei, da ich wusste, dass es nicht so war.
Und er schickte mich weg. Ich ging.

Ich entfolgte ihm auf allen Sozialen Netzwerken, er mir nicht. Noch immer likte er meine Bilder, ich seine nicht.
Ich fragte mich damals, warum er es tat. Fragte aber nicht. Ich war sicher, er wollte nicht von mir hören. Also ließ ich es. Lebte weiter. Lernte nichts für ihn zu fühlen.
Denn er war doch nur eine Geschichte. Nur die Nr. 11.

Natürlich antwortete ich ihm auf seine Nachricht am 16. Dezember. Ich würde ihn nicht ignorieren, wie er es schon mal bei mir getan hatte.
Doch ich hatte drei Wege, wie ich reagieren konnte. Ich wusste nicht, welchen ich wählen sollte.

Sollte ich ihn anschreien? Sollte ich die Wut wieder hervorholen? Ihn somit für alle Zeit verjagen? Damit ich ihn nie wieder sah..?

Sollte ich ruhig bleiben? Vorspielen, dass alles in Ordnung ist? Um dann zum vernichtenden Schlag auszuholen? Rache zu üben?

Oder sollte ich es auf eine Freundschaft anlegen? Damit wir in Kontakt blieben, wie wir es immer gewollt hatten?

Ich entschied mich für das Dritte. Irgendwas in mir schrie danach.
Alte Gefühle? War alles wieder hochgekommen?
Ich war ratlos. Bin es immernoch.

Doch ich und er schreiben heute noch immer. Anfangs war ich misstrauisch, versuchte es aber zu verstecken. Er merkte es.
Er merkt es immer.
Ich sagte ihm, dass ich mir Sorgen machte, dass er wieder gehen könnte. Mich verlassen könnte. Wie er es getan hatte. Weil ich davor immer Angst hatte. Weil es meine größte Angst war.
Weil er mir irgendwie immer noch etwas bedeutete.
Und er versprach mir, es nie wieder zu tun.
Und so dumm, so naiv es klingen mag, ich glaube ihm.

Natürlich musste ich Samuel davon erzählen. Davon, dass sich Nico wieder gemeldet hatte. Es war meine Pflicht als seine Freundin. Ehrlichkeit und Vertrauen waren wichtig.
So rief ich ihn an.
Wir redeten über alles, so wie immer. Über banale Themen, Freunde, Unsinn. Ich genieße solche Telefonate.
Doch ich wusste, dass ich die Stimmung kippen musste. Er würde sauer sein, enttäuscht, wenn ich es ihm verschweigen würde, auch wenn ihm die Nachricht an sich auch nicht gefallen wird.
So erzählte ich es ihm. Davon, dass Nico geschrieben hatte. Davon, was er ungefähr geschrieben hatte.
Ich wollte auf das Thema genauer eingehen, keine Geheimnisse haben, auch wenn ich sie so gern hatte.
Doch Samuel fiel mir ins Wort. Ich hörte, dass er wenig begeistert war. Doch er sagte, dass es ok sei, und ließ das Thema fallen.
Und so beließ ich es dabei.
Ich hatte es erzählt, er wollte nicht mehr hören. Das war ok so.

Doch ich wusste noch immer nicht, wie ich es jetzt regeln sollte.
Denn die Heere kämpften weiter.

Das Tagebuch der singenden FarbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt