22. März 2017 // 11:06

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Er zweifelt.
Tag für Tag.
Ich weiß es.
Und er weiß, dass ich es weiß.

Ich kann sie fast sehen. Die schwarzen Fäden, die seinen Geist in Gewahrsam nehmen wollen, seine Farben, seine wundervollen Farben einengen wollen, sie vertreiben, ihren Platz einnehmen. Ihn einnehmen.
Ich muss es verhindern.
Sonst verliere ich ihn.
Ich darf ihn nicht verlieren.
Ich kann ihn nicht verlieren.
Nicht noch einmal.
Ich würde es nicht ertragen.
Die Ängste würden mich töten.

Es ist schwer Dinge vor einem Menschen zu verbergen, der einen fast besser kennt, als man sich selbst. Einem Menschen, der geringste Veränderungen im Verhalten, die man selbst nicht bemerkt, aufgreift, interpretiert, analysiert und dann auch noch die richtigen Schlüsse zieht.
Ich liebe das an ihm.
Doch im Moment verfluche ich es.

Er hat Zweifel.
Er hat Angst.
Er macht sich Sorgen.
Er zerdenkt sich wieder alles.
Und zerbricht.

Ich wusste von Anfang an, das die Sache mit mir und Nico nicht einfach werden würde.
Als wir uns kennenlernten, hatte er Depressionen, starke Komplexe, die ihn schlussendlich dazu brachten mich zu verjagen.
Er wollte sein Leben in den Griff bekommen und mich vor sich selbst schützen, er sah es als das Beste, wenn er es beendete.
Ich verstand seine Gründe.
Doch die Verlustängste traten trotzdem ein. Nahmen mich mit. Zerstörten mich. Ließen mich liegen.

Ich merke hier an, dass ich, bevor ich Nico vor nun fast acht Monaten kennenlernte, nicht wirklich im Reinen mit mir war. Ich war wechselhaft, reizbar, pessimistisch, tief verletzt. Im Bezug auf Männer war mir zu dieser Zeit noch nichts gutes Widerfahren. Ich war belogen, verarscht, ausgenutzt und verlassen worden. Von jedem männlichen Exemplar unserer Spezies, für das ich mehr empfunden hatte. Und begonnen hatte diese Kette mit meinem Vater.
Man konnte sagen, ich war zu dieser Zeit auch leicht männerfeindlich.
Wer nicht, nach 10 gescheiterten Geschichten?

Mir war es, es war im September 2016, einfach zu viel. Nun hatte Nr. 11 alles beendet, mich mit den Worten 'ich liebe dich, aber das mit uns kann nicht werden, und es wird auch nie passieren' [oh ja, ich kenne sie noch auswendig. Ich weiß das Datum, die Uhrzeit und den genauen Ablauf]
Als mich die Ängste abholten, wehrte ich mich zum ersten Mal gegen gar nichts. Ich ließ mich fallen. Alles in den schwarzen Abgrund in mir Selbst.
In der Schule besaß ich keine Maske wie sonst. Es gab nichts, wofür ich eine Maske brauchen könnte. Ich hatte keine Emotionen. Ich war leer. Gebrochen. Versunken. Ganz und gar in mir selbst.
Es huschten keine Farben in meinem Kopf. Es war alles still.
Ich zog mich vor meinen Freunden zurück, redete kaum, lachte nicht. Es gab keinen Grund für mich, das zu tun. Ich hatte doch schon wieder verloren. Ich hatte alles verloren, wofür ich so lange und so hart gekämpft hatte. Für das, was ich geliebt hatte.
Wieso sollte ich nun also um mich selbst kämpfen? So war es doch angenehm.
Keine Gefühle.
Kein Schmerz.
Es war gut so.
Und ich blieb so.

Ich weiß nicht mehr, wie lange ich gebraucht habe, aber ich schätze, dass ich nach zwei Wochen aus dieser 'Trance' erwacht war. Es kam plötzlich. War einfach da.
Eine kleine Farbe.
In mir.
Ein Funke.
In mir.
Ein Gefühl.
In mir.
Ich kannte es gar nicht mehr.

Doch plötzlich stellte ich alles in Frage. Warum tat ich mir das an? Was war aus mir geworden? Wo war meine Fantasie? Wo meine Freude?
Hatten mich nicht meine Freunde noch vor wenigen Wochen um meine neuartige Positivität gelobt? Auch wenn der Grund dafür weg war, warum sollte ich sie nicht behalten?
Ich musste aus meinen Fehlern lernen. Mich verbessern. Stärker werden. Mich ins Reine bringen.
Und damit begann ich.
Ich dachte den ganzen Tag nach, über mich, mein Verhalten, meine Vergangenheit, meine Fehler. Und ich verband alles davon miteinander. Gab jedem eine Farbe.
Denn alles davon, egal wie gut, wie schlecht es war, war ein Teil von mir. Und oh, es waren viele Teile.
Ich zog mich in dieser Zeit selbst aus meinem Loch heraus, aus den Depressionen, aus der Stille. Und baute mich Selbst.
Mitte Oktober hatte ich es dann.
Ich begann wieder zu reden.
Zu lachen.
Zu fühlen.
Und es war gut. Besser.

Die Verlustängste hatten ihre Arbeit getan, sie hatten mich zerschmettert und zerstört. Aber auch den Schmerz und die Gefühle für das Vergangene von mir genommen.
Nun war ich im Selbst, und ich kam mit mir klar.

Da Nico zu dieser Zeit Geburtstag hatte, beschloss ich, ihn anzuschreiben, zu gratulieren. Ich erhoffte mir daraus gar nichts. Ich fühlte nichts.
Wir begannen wieder zu schreiben und die Farben, die der Erinnerungen, freuten sich, summten und tanzten.
Doch er hatte nicht das geschafft, was ich geschafft hatte. Die selben Ängste und Zweifel nagten noch immer an ihm, ich spürte es. Bedauerte es.
Und ich stellte mich auf das Unausweichliche ein.
Schließlich wurde der Kontakt wieder weniger. Er ignorierte mich wieder.
Ich machte mir Sorgen, wie um einen guten Freund, und fragte nach. Ob ich helfen konnte, wie es ihm ging.
Und schlussends...verjagte er mich erneut.
Er schrie mich fast an, ich solle ihn in Ruhe lassen. Einfach gehen.
Ok.
Das war meine Reaktion darauf.
Ok.
Trocken. Ohne Emotion. Ich empfand nichts. Es war nichts für ihn übrig. So drehte ich mich um und ging. Als wäre nie etwas geschehen.
Ich war im Selbst. Mein Leben ging weiter.

In meiner folgenden Zeit passierten Dinge, die ich nicht kannte. Ich war es gewohnt gewesen Kerlen hinterherzulaufen und schlussends verletzt und gekorbt zu werden.
Nun ja..plötzlich drehte sich der Spieß um.
Um meinen Geburtstag rum, Mitte November [ja, ich bin Skorpion], schrieben mir fünf Typen zur selben Zeit. Ich kapierte die Situation nicht.
Jedoch keiner von ihnen, egal ob sie älter oder gleich alt waren, gab mir das richtige Gefühl. Und ich ließ sie fallen.
Und wenn ich ehrlich war...es gefiel mir nicht eine 'Auswahl' zu haben.
Ich war kein Mädchen, dass einen Freund brauchte, um einen Freund zu haben. Ich kam allein zurecht.
Und auch wenn meine besten Freundinnen [Anmerkung: groß, hübsch, Zwillinge, beide vergeben] [Anmerkung zu mir: Klein, weder Arsch noch Titten, viel zu viel Sarkasmus, Selbstvertrauen und dumme Kommentare] sagten "Du wolltest doch immer einen Freund, und die sind doch so nett", dachte ich mir: Gut, ja, hab ich gesagt. Vor einem halben Jahr. Verzweifelt. Gebrochen. Am Ende.
Sie hatten meine Veränderung wohl nicht bemerkt. Ich schon.
So schoss ich einen nach dem anderen ab, bis ich auf Samuel traf, meinen mittlerweile Ex-Freund. Ab da kennt ihr die Geschichte.

Ich bin ein wenig...gut, ich hab voll und ganz das Thema verfehlt, mein Deutschlehrer würde mich umbringen, verzeiht. Schande über mich.
Aber ich fand es nötig, das zu erzählen. Es passte gut rein.

Aber nun weiter im Text...

Das Tagebuch der singenden FarbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt