20 Years later and a troublesome meeting

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Schweigend saß das blonde Mädchen am Strand und sah aufs Meer hinaus. Wie gerne würde sie sich einfach in die Fluten stürzen und losschwimmen, untertauchen und nie mehr hervorkommen, für immer mit dem Wasser in Berührung bleiben, allerdings war ihr dies verwehrt. Sie war stumm. 

Als sie klein war waren Männer bei ihr zuhause eingebrochen und hatten ihr die Zunge herausgeschnitten, als Strafe dafür, dass sie nicht die Wertsachen ihrer Eltern geholt hatte. Sie wusste damals nicht, wo diese lagen, war einfach losgerannt und hatte irgendetwas hergebracht, was sie für wertvoll hielt. Als ihre Mutter und ihr Vater heimgekehrt waren konnte sie nicht mehr sprechen, ihre Zunge lag mit einem Messer an den Tisch genagelt auf diesem, sie selber saß weinend und schluchzend in der Ecke, das gelockte Haar verdeckte ihre Tränen. Ihr Vater war zu ihr gestürmt und hatte sie in den Arm genommen, auf sie eingeredet, wer das gewesen sei, ihre Mutter hingegen hatte das Messer genommen und war zur Hintertür hinausgestürmt, kam eine Woche nicht nach Hause. Als sie wieder da war, war das Messer verschwunden und Blut klebte an ihrer Kleidung, ihrer Bluse und ihrer Hose. Ihr Vater hatte versucht, ihre Sprache zu retten, jedoch konnte er nichts mehr für sie tun. Sie war nun stumm.

Trotz dieser mehr als düsteren Geschichte in ihrer Vergangenheit war sie ein fröhliches aufgewecktes Mädchen und sie liebte ihr Leben. Sie las viel, viel und gerne, verschlang sämtliche Bücher die sie fand. Träumte von Märchen und der ersten großen Liebe in ihrem Leben. Und vom Meer. Sie fühlte sich zu diesem hingezogen, als würde eine unsichtbare Macht sie anziehen, jedoch hatte ihr Vater ihr untersagt alleine zu schwimmen oder zum Strand zu gehen, sollte ihr etwas passieren konnte sie nicht um Hilfe rufen. 

Adriane, wie das Mädchen mit dem bildhübschen Gesicht hieß, war das einerlei, sie kam jeden Abend hier auf die Klippen hinauf und blickte in den Sonnenuntergang, ließ sich von dem Farbenspiel verzaubern, welches sich ihr hier bot. Wenn sie so in den Sonnenuntergang sah, konnte sie alles vergessen. Die Probleme in ihrem Leben, ihre Einsamkeit, die Last, anders zu sein als die anderen und der Hass auf diese Männer von früher. Sicher, ihre Mutter hatte ihnen weitaus schlimmeres angetan als eine fehlende Zunge, aber das brachte ihr ihre Sprache trotzdem nicht zurück. Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, die Strahlen der Sonne schienen sie aufmuntern zu wollen. 

„Hey, Adriane!" rief ihr jemand von hinten zu, sie drehte sich um. Der Rufende war ein junger Mann, rabenschwarze Haare und ziemlich groß gewachsen, sein Gesicht war überaus markant, seine Augen eisblau. Simon. Er war der Adoptivsohn des Fleischers, Reiner hieß er, glaubte sie. Neben ihm ein Junge mit aschblonden Haaren, wesentlich kleiner und ein freundliches Lächeln für jeden. Er war der Neffe des Schneiders, dessen Bruder leider bei einem Unfall verstorben war. Der Junge schien allerdings nie wirklich verstanden zu haben, das sein Vater und seine Mutter tot waren, allerdings machte sich auch niemand die Mühe es ihm zusagen. Weder Adriane noch Simon noch sonst wer. Die beiden waren die einzigen Kinder hier, abgesehen von Maike und Severa, allerdings saß Maike im Rollstuhl, weshalb wusste niemand, sie wohnte außerhalb mit ihrer Mutter, einer schweigsamen Frau namens Nanaba, und Severa war nicht wirklich eine angenehme Gesellschaft. Sicher, sie war lustig und enthusiastisch, allerdings auch verfressen und nicht wirklich mit Intellekt gesegnet, sie brauchte immer etwas, bis sie Dinge verstand. Wenn man mit jemanden über ernste Dinge reden wollte konnte man sich nicht auf sie verlassen. Warum die beiden nicht dabei waren, wusste Adriane nicht. 

Sie winkte kurz, stand auf und strich ihren Rock glatt. „Siehst du dir wieder Mal den Himmel an?" lachte Simon, Max, so hieß der kleinere, stieß ihm leicht seinen Ellbogen in die Rippe. ‚Lass das, du Vollidiot' drückte er damit aus. Adriane lächelte kurz, deutete auf sie Sonne und ließ ihre Hand langsam sinken. Max hatte sie diese Sprache beigebracht, es hieß so viel wie ‚Ich wollte den Sonnenuntergang sehen.' Max lächelte und antwortete ihr zuliebe ebenfalls in ihrer Gestensprache. Ein Deuten zum Strand hinunter, dann ließ er zwei seiner Finger auf der Handfläche der anderen Hand auf der Stelle laufen. ‚Willst du zum Strand hinuntergehen?' Das Mädchen lächelte, Gott sei Dank hatte sie das Gesicht ihre Vaters geerbt, das warme Blau seiner Augen, nicht die eisigen Stahlstäbe ihrer Mutter, allerdings war ihr Haar von der Farbe ihrer Mutter. Helles gelb, verblassend wie durch ein milchiges Glas hindurchschimmernd. Sie nickte und begab sich in Begleitung der beiden hinunter zum Strand. Ein schmaler, kleiner Sandstreifen an den steilen Klippen ihrer Heimat, einer überaus großen Insel im Meer, kurz vor Frankreich und den Niederlanden, auch bekannt als Großbritannien. Sie lebten in der Nähe von Norwich, einer Stadt an der Ostküste von England. Die meisten Menschen machten sich nicht einmal Gedanken darum, Adriane fand es mehr als beruhigend. Überall um sie herum Meer. Nichts konnte hier passieren, wenn es nicht über das Meer zu ihnen kam. 

Die kleine SireneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt