Kapitel 6

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Frank Miller dröhnt der Kopf. Er hatte am Wochenende vielleicht das ein oder andere Glas zu viel getrunken.

Ob er sich nicht doch den Montag hätte freinehmen sollen? Aber dann hätte er die Frage nicht klären können, die ihm seit Freitagnachmittag im Kopf herumschwirrt.

Er presst seine Kiefer aufeinander und atmet einmal tief ein und aus, als er an seinen toten Sohn denkt. Ein roter Schleier der Wut trübt seinen Blick.

Dr. Cunningham. Sie ist an allem Schuld. Sie ist so schnell verschwunden, zu feige, um sich seinen Fragen zu stellen. Frank war natürlich nicht bei der Empfangsdame gewesen, er braucht doch keine psychologische Betreuung!

Er schüttelt den Kopf, um seine Wut und Trauer loszuwerden. Dann öffnet er die Fahrertür seines Wagens und geht langsam auf das Schulgebäude zu.

In der ersten Stunde würde er Englisch in einer sechsten Klasse unterrichten. Die zweite hat er frei.

Frank ist heute extra so knapp in die Schule gekommen, dass er keine Zeit mehr hat, um vor dem Unterricht noch ins Lehrerzimmer zu gehen.

Seine Kollegen wissen noch nicht, dass es keinen Sohn gibt, zu dem er beglückwünscht werden könnte, und Frank ist auch noch nicht bereit dazu, es ihnen mitzuteilen.

Er schlendert, scheinbar vollkommen gelassen, durch die Gänge des Schulhauses.

Ein aufmerksamer Beobachter hätte vielleicht bemerkt, dass er einen kleinen Umweg zu dem Klassenzimmer geht, um die belebteren Teile der Schule zu meiden.

Aber den Schülern, die den unscheinbaren Englischlehrer freundlich grüßen, fällt das natürlich nicht auf, sie sind ja auch viel zu sehr damit beschäftigt, Neuigkeiten über das Wochenende auszutauschen.

Frank erreicht den Klassenraum, ohne einem anderen Lehrer begegnet zu sein.

Als er die Tür hinter sich schließt, verstummt das Gemurmel der Schüler langsam. Der Lehrer geht zum Pult und legt seine Aktentasche darauf ab.

Er räuspert sich und sagt: "Guten Morgen, alle zusammen!"

Die Schüler erheben sich und antworten gelangweilt und monoton wie jeden Tag: "Guten Morgen, Mr. Miller!"

Frank nickt der Klasse zu, zum Zeichen, dass sie sich setzen kann, und lässt den Blick durch den Raum schweifen. Er bleibt bei einem leeren Platz in der zweiten Reihe hängen. Seine Augen verengen sich zu Schlitzen.

"Wo ist Brian?", fragt er, leicht verärgert. "Ist er etwa krank?"

Die Schüler sehen sich, verwundert über den plötzlichen Ärger ihres Lehrers, an. Schließlich hebt ein Mädchen zögernd die Hand.

"Ja, Lisa, wo ist er?", presst Frank zwischen den Zähnen hervor.

"Äh, also, krank ist er nicht, ich habe heute morgen schon Kontakt zu ihm gehabt..."

"Und wo bleibt er dann? Die Schule beginnt um acht Uhr!" Die Stimme des Lehrers ist laut und wütend.

"Ich, äh, also, ich weiß nicht, wo er ist, aber, äh, er kommt bestimmt glei-"

In diesem Moment geht die Tür des Klassenzimmers auf und Brian stürzt hinein.

"Entschuldigen Sie die Verspätung, Mr. Miller, mein Bruder hat-"

"Es interessiert mich nicht, junger Mann!" Franks Gesicht ist rot vor Wut.

Brian verstummt.

Mit eingezogenem Kopf setzt er sich auf seinen Platz, verfolgt von dem stechenden Blick seines Lehrers.

Blinde Liebe - BTS Jikook ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt