6. Stimme des Schicksals

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6. Stimme des Schicksals

>>Gab es ein Schicksal? War es vorbestimmt was wir taten, erlebten und sagten? Manchmal dachte ich mir, was für Unsinn das doch war. Aber manchmal hoffte ich auch darauf. Ich wünschte mir, dass es wirklich ein Schicksal gab. Denn der Gedanke, dass ich nicht umsonst hier gefangen sass war, dass es mein Schicksal war dies auszusitzen, war immer noch beruhigender als das Gefühl des Unnütz seins. Ja, vielleicht war es Schicksal. Meines war es hier zu sein, für Amaya zu sorgen. Und Toms Schicksal war ein Leben in seiner Welt, ohne mich, ohne diese Welt. Vielleicht war es mein Schicksal unglücklich zu sein, damit er umso fröhlicher sein konnte. Aber möglicher Weise war es das Geheimnis des Schicksals, was uns wirklich vorbestimmt war. Und wir konnten nur erahnen und hoffen, dass es uns gleichgesinnt sein würde…<<

Tom

„Noch Fleisch?“

Dankend nahm Avery mein Angebot an. Beinahe schon selbstverständlich holte ich das saftige Stück vom Feuer und überreichte es dem Elfen. Zwar war mir immer noch unbekannt, von welchem Tier es stammte, doch es schmeckte dem mir bekannten Rindfleisch ziemlich ähnlich.

Drei Tage war ich nun schon hier und langsam begann es mir zu gefallen. Wir verstanden uns ziemlich gut. Wie ich mittlerweile wusste, hatte Avery keine Familie mehr. Alle gestorben und eine Frau gab es nicht. So waren wir beide alleine in dieser Welt. Nun, jetzt ja nicht mehr. Avery hatte mir angeboten bei ihm zu bleiben. Ich wusste, dass dieses Funkeln in seinen Augen Grund dafür war, doch trotzdem freute ich mich darüber, als hätte er es einfach so getan.

Avery war vollkommen in Ordnung. Ich konnte offen mit ihm sprechen und auch mal ein bisschen scherzen, ohne dass er es mir gleich übel nahm und gleichzeitig wusste er aber auch in den richtigen Momenten zu schweigen. Meistens jedenfalls. Wie ich bereits am ersten Abend festgestellt hatte, hatte der Elf des Öfteren seine verrückten Phasen. Doch auch an die gewöhnte ich mich langsam. Manchmal, wenn ich mal wieder etwas melancholisch wurde und an meine alte Heimat dachte, war es sogar das Einzige, das mir in diesen Momenten wirklich half.

„Tom?“

Seine Stimme war vorsichtig. Sofort wusste ich, was dies zu bedeuten hatte. Er wollte wissen, wie es weiterging. Drei Tage lang hatten wir kein Wort darüber verloren. Das Gold in seinen Augen, es stand so zerbrechlich im Raum, so unwirklich, dass wir nicht getraut hatten darüber zu sprechen. Aber nun schien es regelrecht zu leuchten. Es schwamm in dem Meer aus braun, welches Entschlossenheit ausstrahlte.

„Manchmal, da höre ich eine Stimme.“

Mit Klopfendem Herzen hörte ich ihm zu. Da war diese magische Atmosphäre. Als würde die Magie in seinen Augen alleine durch das Aussprechen dieser Worte freigesetzt.

„Ich höre sie lachen, ich höre sie weinen. Manchmal höre ich die Stimme Dinge sagen, die ich nicht verstehe. Aber da ist noch mehr. Etwas, das mich mehr bewegt. Da sind ihre Gefühle. In gewissen Momenten spüre ich sie, als wären sie meine eigenen. Und… So seltsam es auch klingen mag… Manchmal, wenn du sprichst, da beginnt mein Herz schneller zu schlagen. Da ist deine Stimme wie Balsam für meine Seele, sie lässt mich glücklich lächeln.

Von Zeit zu Zeit denke ich fast, dass da in mir wer lebt. Eine zweite Person in meinem Körper. Doch das ist absurd. Diese ganze Situation ist so bizarr. Aber ich spüre auch, wie real sie ist. Wie überzeugend dieser Grund für meinen Verstand ist, ohne ihn wirklich zu kennen.

Ich weiss, dass du es gesehen hast. An diesem einen Abend hast du es wahrgenommen. Auch wenn ich nicht genau weiss, was eigentlich passiert war.

Tom, du bist etwas Spezielles. Genauer gesagt ein Mensch. Und ich weiss, dass du von mir erwartet hast, ich würde dir einen Weg weisen. Dir helfen können. Doch das kann ich nicht. Ich verstehe diese Situation nicht, kann nicht begreifen was hier vor sich geht. Alles was ich sagen kann ist, dass dies nicht normal ist. Hier geht etwas vor sich, das grösser ist als wir beide.

Verenuna - Stimme der Nacht (Feenland 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt