Tom und ich waren nahezu den ganzen Tag unterwegs. Ceci dagegen hatte sich schon etwas eingerichtet, als wir endlich nach Hause kamen. Doch hatte ich kaum Zeit, alles zu bewundern, denn wir mussten uns für das Bankett zurecht machen. So lernte ich nur kurz die Namen der Bediensteten und verschwand dann mit Ceci im Ankleidezimmer. Zum Glück hatte ich ein Abendkleid mitgenommen und hoffte, das meine restlichen Sachen bald nachkommen würden. Das Kleid war scharlachrot und lang, umschmeichelte meine Figur und zauberte ein atemberaubendes Dekolleté. Kaum hatte ich es an und meine Haare gebändigt, hörte ich Tom schon rufen, das die Limousine da wäre. Ceci strahlte über das ganze Gesicht, als sie neben mir die Treppen herunter lief. Sie sah in ihrem hellblauen Kleid wunderschön aus und Tom runzelte besorgt die Stirn. Nun, er würde sie wohl in einen Käfig sperren müssen, um sie von Verehrern fern zu halten! Doch als sein Blick meinen traf, glätteten sich seine Züge. Als würde er sich plötzlich sicher fühlen, nur, durch meinen Anblick. Doch es ging ihm anscheinend auch noch um etwas anderes als Sicherheit, denn er schaute mir direkt in den Ausschnitt. Ich rollte mit den Augen und rauschte an ihm vorbei. Oh, nein! Doch kaum waren wir auf dem Fest, spielte ich wieder die liebende Ehefrau, lächelte ihn an und hielt seine Hand. Und natürlich war irgendwann, nach einem üppigen Mahl und zahlreichen mehr oder weniger interessanten Gesprächen, unsere Zeit gekommen. Cecily machte uns darauf aufmerksam, ob wir nicht langsam mal zeigen wollten, was wir so drauf hatten. Ja, Tom und ich hatten in den wilden Fünfzigern so manche Tanzmeisterschaft- Amateurpreise gewonnen! Natürlich scheute ich mich davor, Tom so nahe zu sein, andererseits half das Tanzen, meine Stimmung zu heben. Tom schaute mich fragend an und ich nickte. Ich liess mich zur Tanzfläche führen und natürlich sorgten wir für staunende Blicke und Applaus. Wir liebten das Tanzen, es war etwas, was uns miteinander verband und so hörten wir nicht auf, selbst, als einige der Männer schon maulten, dass sie Tom wiederhaben wollten. Wir strahlten uns an, ja, manchmal traten wir auch daneben und amüsierten uns köstlich. Nach einigen schnelleren Tänzen spielte die Band plötzlich „The way you look tonight" und Tom zog mich fest an sich. Sein Lächeln verschwand, er schaute mich ernst an. Ich spürte einen Kloß im Hals, und dann sah ich Tränen in seinen Augen glitzern.
„Wenn ich dir gleichgültig geworden bin, warum siehst du mich denn immer noch so an, als wäre ich das Einzige auf der Welt, das du wirklich begehrst?" raunte er heiser.
Ich senkte meinen Blick. Spürte, dass seine Hand in meiner zitterte. Ich drückte sie kurz und legte meinen Kopf an seine Brust.
„Weil du genau das für mich bist, und immer bleiben wirst. Ich war... bin so wütend auf dich, deshalb habe ich dir gestern diesen Blödsinn erzählt." seufzte ich.
„Tom! Es wird Zeit für deine Ansprache!" rief jemand und ich stöhnte auf.
Tom gab mir einen Kuss auf den Kopf und löste sich sanft. Wischte sich die Tränen ab. Ich ging zurück zum Tisch und setzte mich. Schaute mich nach Cecily um, die mit einem hübschen Soldaten tanzte. Sie errötete gerade über irgendetwas, was er gesagt hatte und schaute zu mir, ich nickte ihr aufmunternd zu. Tom betrat das Podium. Nun, heutzutage war er so etwas gewohnt und er wickelte alle um seinen kleinen Finger. Seine ruhige und überzeugend klingende Stimme hallte durch den Raum und ich konnte nicht anders, als ihn wie ein Teenager anzuhimmeln. Nun, ich war nicht alleine, viele andere Frauen, mit oder ohne Ehemann, starrten ihn ebenfalls unverhohlen an. Dann strich Tom sich mit dem Zeigefinger über seine Unterlippe, wie er es öfter tat, wenn er kurz über seine nächsten Worte nachdachte, und man sah im Licht seinen Ehering aufblitzen. Ich war mir sicher, dass er demonstrieren wollte: „Sorry, ich bin schon vergeben..." Ja, sein Blick traf meinen und ich lächelte automatisch. Er lächelte zurück, bedankte sich für die Aufmerksamkeit und wies die Leute an, weiter zu tanzen. Dann bahnte er sich einen Weg zu mir, wurde jedoch immer wieder von seinen Bewunderern aufgehalten. Ich wandte mich meiner Tischnachbarin zu, der älteren Lady Cumberton, die mir etwas über „die Einheimischen" erzählte. Plötzlich entdeckte ich ein bekanntes Gesicht und ich spürte, wie mein Herz vor Aufregung zu rasen anfing. Ich legte der Lady meine Hand auf den Unterarm und sagte:
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Der Mann auf der Brücke
RomantizmIm Nachkriegsdeutschland von 1946 versucht die Norddeutsche Ilse Grieger, wie viele andere Überlebende auch, über die Runden zu kommen. Ihre Tage sind ausgefüllt von der Suche nach der nächsten Mahlzeit, denn sie hat einen kleinen Sohn, den sie alle...