Engel auf abwegen

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Klaus Pov:

„Caroline!“, rief ich durch den Wald und seufzte tief, als ich den Geruch von Blut aufnahm. Mindestens eine Person war ihr schon zum Opfer gefallen.
Ich folgte dem Geruch vorsichtig und erreichte schon bald einen Trampelpfad, dessen Boden rot gefärbt war – natürlich war das auf keinen Fall, vor allem nicht, wenn es nach Blut roch. Ich hockte mich hin und drückte mit zwei Fingern fest auf den weichen Waldboden, bis schließlich ein wenig von dem Blut an die Oberfläche kam. Ich richtete mich wieder auf und folgte dem Weg weiterhin.
Hätten meine beiden Brüder nicht direkt vor dem Grill noch beinahe einen Streit begonnen, wären wir rechtzeitig drin gewesen und ich würde jetzt nicht im Wald nach Caroline suchen.

~Flashback~
„Und Elijah, redest du heute schon mit Elena?“, fragte Kol beiläufig und der ältere Urvampir auf meiner anderen Seite gab nur ein leises Murren von sich. „War das jetzt ein Ja oder ein Nein?“
„Halt dich aus meinen Angelegenheiten heraus, Kol“, keifte Elijah, der plötzlich vor Kol stand und ihn an der Kehle gepackt hatte. Ich zog die beiden auseinander und schob seufzend unseren jüngeren Bruder vor mir her in den Grill.
„Könntet ihr das später klären, wir haben andere Dinge zu tun“, knurrte ich die beiden an und betrat schließlich die Bar, einen belustigten Kol vor mir und einen wütenden Elijah hinter mir. Und mir wurde gepredigt, ich wäre kein Familienmensch und viel zu reizbar. Zumindest was den zweiten Teil anging, sollte Elijah mal in den Spiegel sehen.
~Flashback Ende~

„Warum musste Elijah sich so aufregen? Dann hätte ich jetzt keine schwerwiegenden Probleme“, murmelte ich und drückte einen Ast beiseite, von dem Blut hinabtropfte. Der schmale Trampelpfad verbreiterte sich zu einem breiten Weg und schließlich zu einer Lichtung. Jedoch erinnerte mich beides eher an ein Schlachtfeld, gemessen an der Menge ausgebluteter Menschen, die hier verstreut herumlagen. „Das kann doch wohl nicht ihr Ernst sein. Hat sie eine Gruppe Wanderer überfallen oder was?“ Ich stieß mit dem Fuß gegen einen jungen Mann, der wirklich wie ein Wanderer aussah, und schüttelte den Kopf. Wie ich bereits sagte – ein Todesengel.
Ich stellte mich in die Mitte der Lichtung, schloss die Augen und lauschte auf die Umgebung – weit weg konnte sie eigentlich nicht sein. Die Stille über dem Wald war beinahe unheimlich und ich kam mir einen Moment nicht mehr wie der unsterbliche Jäger, sondern wie der Gejagte vor. Wenn ich nicht Acht gab, konnte ich bei einem plötzlichen Erscheinen ihrerseits ihr die Hand in die Brust graben und ihr Herz herausreißen – und das war das letzte, was passieren durfte. Ich wollte es weder vor ihren Freunden, noch vor ihrer Mutter – und schon gar nicht vor mir selbst – verantworten, sie umgebracht zu haben. Wenn ich sie auf dem Gewissen hatte, würde ich wahrscheinlich selbst meine Menschlichkeit abschalten und das brauchte wirklich niemand – ich würde mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit noch schlimmer als sie werden. Wo steckst du, Liebes?
Auf einmal raschelte es hinter mir und ich fuhr in einer fließenden Bewegung herum, ehe mein Gegenüber auch nur die Chance hatte, sich zu wehren, drückte ich dessen Kehle zu. Caroline, deren Kehle ich umfasste, schnappte verzweifelt nach Luft und ich stieß ein tiefes Knurren aus.
„Du wagst es mich anzugreifen, Liebes? Mir das Genick brechen zu wollen?“, herrschte ich sie an und ich sah einen Moment etwas in ihren glanzlosen Augen aufblitzen – Furcht. Zufrieden lockerte ich den Griff und stieß die Blondine zurück, sodass sie hustend rückwärts stolperte und sich den Hals rieb, bis die Male meines Griffs schließlich wieder verschwanden. Dann verschränkte sie die Arme vor der Brust und funkelte mich an.
„Ja, tue ich. Ich und Angst vor dir? Wieso sollte ich?“ Sie lachte affektiert und ich kniff die Augen zusammen. Natürlich würde ich gerade ihr niemals ernsthaft etwas antun, aber vielleicht würde sie eine handfeste Drohung zurück auf ihren Weg bringen.
„So? Du hast nicht das kleinste bisschen Angst davor, dass ich dich mit einer einzigen Bewegung töten könnte? Als wärst du nichts?“, forschte ich mit harter Stimme nach und sie lächelte siegessicher.
„Nein, habe ich nicht.“
„Dann sollten wir mal eines klarstellen.“ Ich schnellte vor und packte sie wieder an der Kehle, bevor ich sie schließlich kraftvoll zu Boden schleuderte, so dass die Vampirin kurz um Luft rang – ich gönnte ihr die Pause, bevor ich sie wieder hochzog und gegen den nächsten Baum presste. Ich bleckte die Zähne und merkte, wie sie schwer schluckte, als sie die je vier Reißzähne im Ober- und Unterkiefer erblickte und schließlich auch einen Blick in meine verfärbten Augen wagte. So fern konnte ihre Menschlichkeit nicht sein, wenn sie nach wie vor in der Lage war, sich zu fürchten. Ich beugte mich vor, sodass mein Atem ihre Haut strich und ich ihre eigene zittrige Atmung genau abbekam. „Jeder sollte sich wenigstens ein wenig vor mir fürchten“, raunte ich ihr mit kalter Stimme zu und sie presste sich dicht an den Baum. Ich ließ sie los und trat einen Schritt zurück, Caroline atmete schwer und ich konnte ihren Herzschlag klar hören. Ganz an ihr vorbeigegangen war es jedenfalls nicht, was mich ein wenig zum Schmunzeln brachte.
Doch schon als ich mich von ihr wegdrehte, erstarb dieses triumphierende Lächeln wieder. Caroline hatte offensichtlich die Luft angehalten und sich nicht von ihrem Platz wegbewegt, doch ihr Puls sprang von hoch schlagartig auf tief um und als ich einen Blick über die Schulter warf, begann sie gerade wieder zu atmen und jegliches Zeichen von Furcht war wie weggefegt. Sie kämpfte gegen die Rückkehr ihrer Menschlichkeit, was auf keinen Fall gut war – das erschwerte alles nur noch weiter.
„Schlecht für dich, dass ich es nicht tue“, meinte sie leichthin und lief mit einem zuckersüßen Lächeln auf den Lippen an mir vorbei. Ich starrte sie fassungslos an und blieb wie angewurzelt stehen. Als sie schließlich in der Ferne verschwand, blitzte ich ihr hinterher und stoppte direkt vor ihr, sodass sie genau gegen meine Brust lief.
„Was soll das?“, fauchte sie genervt. „Lass mich durch!“
„Planänderung“, erwiderte ich mit einem bösen Lächeln und sie sah mich ausdruckslos an.
„Ja? Schön. Interessiert mich das? Hm...lass mich überlegen...nein“, gab sie zurück und wollte sich an mir vorbeidrängen, doch ich packte ihren Arm und drehte sie zu mir.
„Ich sagte, Planänderung – und dabei bleibt es, Liebes“, knurrte ich und ließ ihren Arm wieder los.
„Ach ja? Sagst du? Weißt du, was ich dazu sage?“, fragte sie und lächelte unschuldig. Ich zog fragend eine Augenbraue hoch und verschränkte abwartend die Arme vor der Brust. „Das!“ Ihre Lippen verzogen sich zu einem boshaften Lächeln und ehe ich mich versah, hatte sie ihre Hände hochgehoben, meinen Kopf gepackt und zur Seite gerissen, sodass ich mein eigenes Genick brechen hören konnte. „Schlaf gut, Honey“, flüsterte sie, dann verschwand alles in tiefer Schwärze.

„Nik, wach auf!“ Eine Hand tätschelte meine Wange und ich stöhnte auf, als ich mich aufsetzte. Mein Nacken schmerzte und kurz gab es einen stechenden Schmerz in meinen Kopf. Dann schlug ich die Augen auf und entdeckte mir gegenüber Rebekah. „Willkommen im Reich der Lebenden“, spottete sie. „Was ist passiert?“
„Sie hat mir einfach das Genick gebrochen – keine Ahnung, wie sie das geschafft hat, aber sie hat es getan“, knurrte ich verärgert und rieb mir den Nacken.
„Das war das Offensichtliche – und jetzt der Rest?“
„Caroline ist in etwa so blutrünstig wie ich, bevor ich sie kannte – aber das hast du wahrscheinlich auf dem Weg hierher bemerkt.“ Die Urvampirin nickte. „Außerdem kämpft sie gegen ihre Menschlichkeit an.“
„Was?!“, rief meine Schwester aus. Ich nickte. „Wie das denn?“ Ich beschrieb ihr rasch, was vorgefallen war und die Blondine fuhr sich deutlich verzweifelt durch die Haare. „Sie kann es uns aber auch nur schwerer machen“, seufzte sie und setzte sich neben mich auf den von Blut getränkten Waldboden.
Eine Weile schwiegen wir und sahen beide einfach nur in den Wald hinaus. „Weißt du, wo sie jetzt ist?“, durchbrach ich schließlich die Stille und sie nickte.
„Kol und Elijah waren ursprünglich mit mir unterwegs, aber sie ist uns praktisch in die Arme gelaufen – sie müsste jetzt bei uns im Haus sein.“
Ich nickte langsam und wir verfielen wieder in Schweigen. Wir mussten sie auf jeden Fall dazu bringen, die Gefühle wieder anzustellen – auch ohne Manipulation.
„Nik?“, brach schließlich Rebekah leise das Schweigen.
„Ja?“, presste ich hervor und drehte meinen Kopf zu ihr.
„Ich kann sie eigentlich nicht wirklich leiden, aber solange sie dich glücklich macht, werde ich alles dafür tun, dass sie wieder zur alten Caroline wird“, flüsterte sie und ich schenkte ihr ein schwaches, aber dankbares Lächeln.
„Danke, Bekah“, antwortete ich ernst und sie lächelte zurück.
„Du weißt doch – für immer und ewig.“
Ich zog sie in meine Arme und konnte spüren, wie sie einen Moment die Luft anhielt und sich verspannte – ich hatte sie schon lange nicht mehr umarmt. Doch kurz darauf schlang sie ihre Arme auch um mich und wir blieben in stillem Einverständnis so sitzen.
Meine Schwester bei meinem momentan schier unmöglichen Vorhaben auf meiner Seite zu wissen, war das Beste, was gerade passieren konnte.

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