Kapitel 1

388 17 9
                                    

Es gab in Neapel zwei verschiedene Arten von Sommern: hell und dunkel.

Helle Sommer sind voll von leichten Leinenstoffen, dem türkisblauen Meer und warmer Sonne, von Kirschen, die sie in ihrem Garten pflückten und hellem Kinderlachen. Spaziergänge an der Strandpromenade und Eis von der Eisdiele, die Giovannas Eltern gehörte und in der die Jugendlichen hin und wieder ihr Taschengeld aufbesserten.

Dunkle Sommer waren wie zähflüssiger Waldhonig, voll von Granatäpfeln, Gewitterstürmen und den hellrosanen Blüten vom Magnolienbaum, der in ihrem Garten stand. Der Geruch von Regen auf warmen Asphalt, Arbeiten in den Weinbergen, ausgiebige Ausritte mit den Pferden. Lange Wochenenden auf dem Landgut ihrer Familie, zusammen mit ihren Freunden. Teurer Tabak, den sie ihren Vätern heimlich stibitzten um sich dann ungestört auf ihrer Veranda selbst Zigaretten zu drehen.

Gaia liebt dunkle Sommer.

Der Sommer, in dem sie nach Hause kommt, ist dunkel.

In dem Moment, in dem sie aus dem Taxi steigt, weiß sie, was sie all die Jahre vermisst hat.

Der salzige Seewind streicht durch ihr dunkelbraunes Haar, das sie mittlerweile fast so lang, wie ihre Mutter trägt, und zieht leicht am schwarzen Stoff ihres Rocks; auf dem Gehsteig liegen hellrosane Blütenblätter.

Ihr Herz wird schwer, als sie an die vielen glücklichen Stunden, die sie in diesen Straßen verbracht hat, denkt.

Inmitten eines Krieges um Bauaufträge, Korruption, Drogen und gekauften Sex.

Inmitten eines Krieges, der jetzt ihr eigener Krieg ist.

Wie sehr sich die Dinge geändert haben...

Sie hatte ihre Umgebung früher nie als gefährlich empfunden, obwohl es sicher genug Leute gegeben hatte, die sie tot sehen wollten.
Das ist immer noch gleich.

Nur, dass es jetzt niemanden mehr gibt, der seine Schwingen schützend über sie hält, wie es damals ihr Vater getan hat.

Gaia ist alleine.

Der Vater von einem britischen Agenten hingerichtet.
Die Mutter durch ihre eigenen Fehler erschossen.

Sie ist nicht mehr die Selbe.
Nicht mehr nur die Tochter von Marco Sciarra.

Kein unschuldiges Mädchen mehr.

Sie hat die Spielregeln verstanden.

Gaia erreicht ihr Ziel mit einem siegessicheren Lächeln auf den Lippen.

Von der einst weißen Außenfassade des Wohnhauses blättern Putz und Farbe ab, immergrüne Kletterpflanzen schlingen sich um das verschnörkelte, rostige Geländer an der Treppe, die zur Haustür führt, und ranken wild an den hellblau gestrichenen, hölzernen Fensterläden hinauf.

Die schwarze Tinte, mit der sie vor über zehn Jahren ihre Namen auf das vergilbte Schildchen neben dem Klingelknopf geschrieben habeben, ist lange verblasst und sie kann die geschwungenen Buchstaben nur noch erahnen.

Obwohl der Zahn der Zeit seine Spuren hinterlassen hat, ist nichts von der Magie dieses Ortes verloren gegangen.

Als wäre die Zeit hier stehen geblieben. Nur für sie.

Die junge Frau zieht ihren Schlüsselbund aus ihrer Umhängetasche und schließt die Tür auf.

Im Flur stehen ein Paar gelbe Ballerinas, Anzugschuhe und knöchelhohe Boots aus hellbraunen Leder...ihre schwarzen Reitstiefel, auf denen noch der Staub von ihrem letzten Ausritt sitzt.
An den Kleiderhaken hängen eine Hundeleine mitsamt Halsband, ein Schulterholster und ein Motorradhelm.

Es riecht nach nassem Hund, Zigarren und Spaghetti Bolognese, nach Honig und Rotwein.

Fast so, als wäre sie erst gestern zum letzten Mal hier gewesen.

Nicht zehn Jahre.

Gaia stellt ihre Tasche ab und schlüpft aus ihren schwarzen Pumps, legt dann ihre Waffe auf der dunkelbraunen, mit hübschen Holzschnitzereien von Blumen und Pflanzen verzierten Kommode ab.

Sie läuft den Flur langsam entlang.
Die Ölgemälde der Küstenlandschaft noch in der gleichen Anordnung an den Wänden, alte, verblassende Polaroidbilder, die immer die gleiche Gruppe von Jugendlichen zeigen, an die breiten, goldenen Bilderrahmen gesteckt.

Von draußen fliegt das Gelächter der jungen Erwachsenen und das Klappern von Besteck und Geschirr zu ihr herüber und im Wohnzimmer läuft eine Oper von Vivaldi.

Immer Vivaldi.

Genau wie früher.

Es ist der Moment, in dem ihr klar wird, wie sehr sie dieses Leben vermisst hat.

Die Holzbretter unter ihren Füßen angenehm warm, als sie auf die Veranda tritt, der leichte Wind wieder in ihrem offenen Haar.

"Ciao..."

Vier Köpfe drehen sich beinahe synchron zu ihr um.
Eine Mischung aus Überraschung und Freude in den Augen ihrer Freunde.

Gino ist der Erste, der aufsteht.
Gino, der seit zehn Jahren auf sie wartet und den sie jeden Tag vermisst hat.

Er legt seine Arme um ihre schmalen Schultern, zieht sie wortlos an sich.
So fühlt sich zuhause an.

Und dann liegen ihre Lippen aufeinander.

Seine Lippen schmecken nach Rotwein und dunkler Schokolade, nach Tomatensauce und Zigarettenrauch.
Sie schließt die Augen, legt ihre Hände auf seine Schultern.

Als würde alles, was sie jemals verloren hat, auf einmal wieder zu ihr zurück kommen.

All das, was sie in London vermisst hat...die Art von Liebe und Aufmerksamkeit, nach der sie verlangt.

Sein Geruch nach Rosenblüten und Meer füllt ihre Nasenflügel.
Genau wie früher.

Für den Moment scheint die Zeit still zu stehen.
Es fühlt sich an, als gäbe es nur sie beide.

"Ich wusste nicht, dass es möglich ist, jemanden so sehr zu vermissen, dass es mir physische Schmerzen bereitet", er legt eine Hand an ihre Wange, fährt mit einem Finger über ihre Unterlippe.

Ihre Augen bleiben geschlossen, ihre Arme fest um seinen Hals gelegt.

"Ich habe dich so sehr vermisst und jetzt..."

Ihre Lippen streifen sich beinahe, während sie spricht. Sein warmer Atem, das gleichmäßige Schlagen seines Herzens so nah.

"Es fühlt sich an, als würde ein Teil von mir zurückkommen. Einer, von dem ich schon fast nicht mehr wusste, dass es ihn gibt."

Der hoffnungslose Romantiker.

"Ich liebe dich, Gino."
Ihr hoffnungsloser Romantiker.
"Mehr als alles auf der Welt..."


[A/N]

Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen, lasst mir sehr gerne euer Feedback da und bis in zwei Wochen! =]
-M

Queen Of Spades - g1nsterkatze - 007 - James Bond Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt