4. Ein Skatepark

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Ich dachte lange Zeit, das schlimmste war, wenn mein Vater heimkam, die Tür aufstieß und jeder wusste, dass es ein scheiß Tag bei der Arbeit gewesen war, der in einen scheiß Tag für uns über gehen würde. Aber das schlimmste war, wenn er ruhig heimkam und versuchte, die Wut hinunterzuschlucken. Denn meistens klappte es nicht. Er hatte es nie ausgesprochen, aber er hasste uns.

Kälte und Regen empfingen mich, als ich nach draußen trat.

7:20 Uhr, drei Stunden Schlaf, mindestens ein halbes Dutzend Alpträume in denen ich gestorben war. Ich hatte meinen Wecker nicht einmal gehört. Mit dem Bus würde ich es vielleicht noch pünktlich in die Schule schaffen.
Ich hasste den Bus.
Ich hasste Menschen.
Ich hasste wie ich alles hassen musste.

Naomi war eine Klassenkameradin von mir. Langes, schwarzes Haar, klein, schlank. Sie war unnatürlich nett zu allen und ich hatte sie mehr als einmal beobachtet, wie sie hinter vorgehaltener Hand über andere Mädchen redete nur, um ihnen dann bei der nächsten Begegnung vor Freude um den Hals zu fallen.
Kurz gesagt: sie war falsch. Aber ich konnte sie trotzdem irgendwie leiden. Vielleicht, weil sie zwar so aus sah wie die Schlampen an unserer Schule, und sich hin und wieder auch so benahm, aber nie wirklich gemein zu jemandem war.

Ich saß im Bus und hatte meinen Kopf gegen die Glasscheibe gelehnt. Der Himmel war ein einziges, großes Grau. Vorboten eines Sturmes prasselten gegen das Fenster. Es war schön zu sehen wie im Regen alles so trostlos aussah. Ich glaube so fühle ich mich. Trostlos.

"Ich war gestern noch so lange wach, um Mathe zu lernen. Ich sag's dir, ich kann echt nicht mehr.", sagte Naomi und sah sogar kurz von ihrem Handy auf. "Wie sieht's aus? Kannst du Mathe?"

Ich schüttelte schwerfällig meinen Kopf. "Nein, ich hatte gestern noch anderes zu tun.", gestand ich und musste an meinen Vater denken.

"Hast du etwa gar nichts gelernt?"
Naomi fragte das so abwertend, dass ich sie doch kurz für ihre Art hasste.

"Weißt du-.", ich setzte mich wieder gerade hin und sah Naomi an. "Kennst du das, wenn dir so viele Sachen durch den Kopf gehen, dass du gar keinen Platz mehr für Neues hast?"

Naomi blickte auf und wir sahen uns in die Augen.

"Hannah, ist etwas los?", fragte sie schließlich.

"Nein. Egal. So meinte ich das nicht."

"Ist es wegen gestern?"

"Wegen Jenna? Nein."

Kurz sah mich Naomi noch an, dann nickte sie und widmete sich wieder ihrem Handy. Ich ließ mich abermals gegen die Glasscheibe sinken und starrte halbherzig nach draußen.

"Weißt du, vielleicht solltest du einfach einmal einen Tag Pause einlegen.", sagte Naomi Minuten später und es überraschte mich, dass sie in Gedanken immer noch bei unserem Gespräch war.

Ich sah sie an und schwieg.

"Du tust dir keinen Gefallen, wenn du heute verkackst."

Ich nickte und sah wieder aus dem Fenster. Ich hatte noch nie geschwänzt zu groß die Angst, dass mein Vater es merken würde. Er hatte diese Gabe Geheimnisse zu erraten, als wären sie mir ins Gesicht geschrieben. Er hatte allerdings auch die Angewohnheit auszuticken, wenn ich schlechte Noten heimbrachte.

Es fiel nicht auf, als ich verschwand, denn Naomi hatte sich bereits mit ihren Freundinnen zusammengefunden.

Dieser Park war um einiges größer als die meisten, die ich kannte. Es floss sogar ein kleiner Fluss hindurch der irgendwo gleich danach versiegen musste, denn ich hatte ihn noch nie wo anders gesehen.
Große Bäume hatten sich überall aus der Erde gerissen. Es waren vor allem Ahorne und Buchen, vereinzelt wuchsen auch kleine Sträucher die ich nicht benennen konnte. Und inmitten von all dem grün, war ein großer, zubetonierte, Skatepark.


Der hauptsächliche Grund, warum ich Regen so liebte war, weil er die Menschen wie Ratten in ihre Häuser zurücktrieb und mir Platz gab, einsam in einem Skatepark zu sitzen.

Der Regen schien nicht nachzulassen und vertrieb auch mich ins innere der verfallenen Skaterhalle. Nachts kamen die Jugendlichen her, spielten laute Musik und beschmierten die Wände. Seit sie die Fenster zerbrochen hatten, gab es hier keine Obdachlosen mehr.

Ich setzte mich an den Rand des Skateppols und zündete mir eine Zigarette. Es sah aus wie Magie, als der Rauch aus meiner Lunge strömte.
Magisch.

Vielleicht würde mir Tante Lydia verzeihen können, dass ich mir aus ihrem Geld Nachschub kaufte. Aber wahrscheinlich würde sie es niemals erfahren.

"Johnson?" Die plötzliche Konfrontation mit meinem Nachnamen ließ mich zusammenfahren. Ich drehte mich um und fand die Augen von Kyle. Er kam langsam auf mich zu, Hände in seiner Lederjacke vergraben, Haare etwas feucht vom Regen. Noch schwärzer als sonst.

"Ich hasse es wenn du das sagst.", entgegnete ich, während mein Herz ein paar Schläge aussetzte. Er war doch nicht etwa wegen Jenna hier?

"Ich wusste gar nicht, dass du schwänzt, geschweige denn, dass du rauchst. Hannah."

Ich sah auf die glühende Zigarette zwischen meinen Fingern herab. Lange nicht mehr geredet, Kyle.

Als ich mich wieder umdrehte stand er schon über mir und blickte auf mich herab. Nah genug, dass ich sein Aftershave riechen konnte.

Ich hab doch keine Angst vor dir.

"Ist ziemlich abgegangen gestern.", sagte er. "Ich wusste gar nicht, dass du Jenna so sehr hasst."

"Beruht auf Gegenseitigkeit."

Kyle nickte und setzte sich neben mich auf den Boden. Er zog eine Schachtel Marlboro Red heraus und steckte sich einen Zigarette in den Mund.

"Vielleicht kannst du mir Feuer geben, jetzt wo du rauchst.", sagte er und schob die Schachtel wieder in seine Tasche.

"Wollen wir so tun, als hättest du mich zufällig gefunden?", sagte ich und zog mein Feuerzeug hervor.

"Ich habe dich zufällig gefunden und um ehrlich zu sein, bin ich mindestens so überrascht, wie du."

"Bist du hier, weil Jenna es dir gesagt hat?"

Kyle sah auf, ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er seine Zigarette anzündete.

Feel the painWo Geschichten leben. Entdecke jetzt