Ich konzentrierte mich aufs Atmen - etwas, dass ich noch unter Kontrolle hatte.
Kontrolle. Wie selten hatte ich wirklich etwas unter Kontrolle?
Die Schulglocke läutete schrill das Ende des Schultages ein.
Atmen.
Das allgemeine Gemurmel vom Gang verstummte langsam, als die anderen Schüler das Gebäude verließen. Eine schwere Stille legte sich um Naomi und mich.
"Du wirst nicht wirklich wegrennen?", fragte sie. Sie klang besorgt. Das ist lächerlich, hätte ich gerne gesagt, die werden mich nicht umbringen. Das ist ein kleines, dummes Highschool Drama, mehr nicht. Aber ich hatte keine Stimme mehr, um es zu sagen.
Ich schob mein Chemiebuch in die Tasche und stand auf. Naomis Frage blieb einfach in der Luft hängen. Ich wand mich zum gehen und sie folgte mir stumm auf den Gang.
Wir traten aus der Schule in ein Gemenge aus Schülern.
Vor den blauen Himmel schoben sich langsam graue Wolken und ein heftiger Wind wirbelte meine Haare durch die Gegend. Trotzdem lag dieser süße Geruch von Frühling in der Luft.
Ich zupfte mein Sweatshirt zurecht und blieb auf den Steinstufen der Schule stehen. Naomi, immer noch stumm, an meiner Seite.
Viele Schüler, die sich auf dem Parkplatz tummelten waren nicht ungewöhnlich. Aber heute waren es besonders viele. Sie standen in kleinen Gruppe, tratschten, lachten und ich hatte das Gefühl, manchmal warfen sie einen verstohlenen Blick zu mir hinüber.
"Hannah.", sagte Naomi geistesabwesend und berührte meinen Oberarm. Ich folgte mit meinem Blick, ihrem, während sie unentwegt mit aufgerissenen Augen auf diesen einem Punkt starrte. Dieser eine Punkt, der irgendwo auf Jennas Stirn liegen musste.
Da stand sie, mit ihrer ganzen Gang und rauchte eine Zigarette. Sogar Jakob und Patrick waren da obwohl sie nach dem "Vorfall", nicht einmal mehr an diese Schule gingen. Da war Joshua, ein blonder Junge aus meiner Schulstufe, Dexter, er hatte mal in der Nachbarschaft gewohnt bis sein Vater genug Geld hatte um in ein wohlhabenderes Viertel zu ziehen, Mariann "Ann", sie war eine von Jennas Schlampen-Freundinnen, Caroline, Christine, Jakob, William „Will" und eine Handvoll weiterer Personen, die ich nicht einmal benennen konnte. Umgeben von einer riesigen Schar meiner Schulkameraden.
Alle waren da, außer Kyle.
Ohne einen einzigen klaren Gedanken fassen zu können, starrte ich in das Getümmel. Wie ein Reh im Scheinwerferlicht, ich konnte nicht fassen, was mir bevor stand. Plötzlich hob Jenna ihren Kopf und sah mir direkt in die Augen. Ich glaube das war das erste Mal, dass sie mich wirklich angesehen hatte, seit sie umgezogen war. Vielleicht hatte sie an guten Tagen sogar vergessen, dass ich existierte. Ja ich lebe noch, dachte ich mir uns nickte langsam. Jenna bewegte ihre Lippen, während sie mich mit ihrem Blick an die Wand nagelte.
Sie musste etwas über mich gesagt haben, denn plötzlich sahen sie alle her. Neugierige, erwartungsvolle Blicke musterten mich. Sie waren alle hier, um zu sehen, was Jenna mit Mädchen tat, die sie hasste - die sie wirklich abgrundtief hasste.
☂
So etwas hatte es schon einmal gegeben. Patrick und Jakob waren damals in allen Zeitungen gewesen nachdem sie ein Mädchen aus meiner Schulstufe verprügelt hatten - zwar nicht alleine und ich hatte mich häufig gefragt, ob Jenna und Kyle auch dabei gewesen waren - aber sie waren als einzige von der Schule geflogen und direkt in den Jugendknast gewandert. Und an einem sonnigen Frühlingsmorgen, als mein Vater Zeitung lesend am Küchentisch saß, zog er für eine ganze viertel Stunde in Betracht, mich von der Schule zu nehmen. "Aber du machst ja eh keine Probleme?" Ich hatte den Kopf geschüttelt. "Na dann ist ja gut."
☂
Jenna beugte sich zu Patrick und bewegte abermals ihre Lippen. Sie wandte ihren Blick für keine Sekunde ab, in ihren Augen loderte purer Hass. Als sie fertig war lächelte Patrick. Ich hasste sein hässliches Grinsen.
"Hannah-", sagte Naomi leise und schielte zur anderen Seite der Straße. "Hau ab. Jetzt sofort."
Sie hatte Angst und mir wurde klar, dass es kein klärendes Gespräch geben würde - dass es jetzt zu spät war. Jenna ließ ihre halbe gerauchte Zigarette fallen und kam auf mich zu. "Hey Schlampe!", rief sie mir entgegen. "Lange nicht mehr gesehen."
"Ich muss gehen.", flüsterte Naomi. "Tut mir leid."
Ich hob beschwichtigend die Hände in die Höhe. "Was auch immer du gehört hast, es stimmt nicht.", sagte ich.
"Das lässt sich alles klären.", entgegnete Jenna und blieb vor mir stehen. "Entweder heute, oder morgen, oder übermorgen. Du kannst dich den Rest deines Lebens in eurem Keller verstecken, aber glaub' nicht, dass ich dich vergessen werde." Sie verzog ihren Mund angeekelt. "Los gehen wir."
"Wohin?", fragte ich und folgte ihr, bevor mich einer ihrer Freunde zwingen würde.
"Du weißt wohin.", sagte sie. "Und denk nicht einmal daran wegzulaufen. Ich schwör's dir, ich schlage dir all deine Zähne aus, wenn du mir noch einmal Probleme machst."
Auf Abstand folgten uns die anderen in den Skatepark. Die Sonne verschwand hinter Regenwolken, der Himmel über uns färbte sich unheilvoll dunkelgrau.
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Feel the pain
Teen FictionMit Problemen zuhause hilft es nicht, dass Hannah sich auch noch mit der "Tussengang" an ihrer Schule anlegt. Als auch noch Kyle auftaucht und sie trotz seiner Freundin küsst, gibt es kein zurück mehr. Zu tief steckt Hannah in allem drinnen als Kyl...