5. Ein Bluterguss

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"Nein.", sagte Kyle schließlich. "Das würde ich nicht für Jenna tun, auch, wenn sie mich darum gebeten hat."

"Wohl eher befohlen, so wie ich sie kenne."

Kyle schmunzelte. "Was machst du hier?"

"Das gleiche wie du.", entgegnete ich.

Die Antwort ließ ihn lächeln, dieses Mal war es echt. Eine Rauchwolke tanzte um seinen Lippen. "Das bezweifle ich."

"Ich drück' mich vor dem Mathe Test.", gestand ich. Die Situation war absurd, ich war zu alt, um zu schwänzen. Zu alt, um Angst davor zu haben, was geschehen würde, wenn ich eine schlechte Note heimbrachte. "Jetzt bist du dran.", sagte ich, aber mein Lächeln war verschwunden. "Warum bist du hier?"

"Ich bin hier, um etwas Taschengeld zu verdienen. Genauer gesagt, warte ich auf eine Lieferung."

"Was für eine Lieferung?"

"Ecstasy.", sagte Kyle, seine Augen funkelten.

"Sag bloß, du nimmst das!"

"Viel besser." Kyle und lächelte seine Zigarette an, "Wenn du willst, kannst du am Samstag mitkommen, wenn ich es verticke."

Der Rauch blieb mir im Hals stecken. "Das ist, was du jetzt tust?", fragte ich. "Du verkaufst Drogen?"

Kyle schwieg.

Ich schüttelte meinen Kopf. "Warum tust du das? Wegen dem Geld? Ich weiß, was für eine große Rolle das spielt, aber- aus dieser Sache kommst du nicht mehr heraus."

"Was weißt du schon über diese Dinge?", fragte Kyle, aber es lag keine Wut in seiner Stimme.

Ich griff nach meiner Tasche. Meine anfängliche Überraschung war einer tiefen Enttäuschung gewichen. "Besser ich gehe jetzt.", sagte ich und drückte mich hoch.

"Wohin willst du gehen?", fragte Kyle und sah auf seine silbern glänzende Uhr, die aller Welt ins Gesicht schrie 'schaut her, ich deale jetzt mit Drogen'. "Die Schule ist erst in - fünf Stunden aus."

"Ich weiß nicht, vielleicht nach Hause.", sagte ich und konnte mich nicht von dem Anblick losreißen. Es war nicht die Uhr, die mein Interesse geweckt hatte.

Es war sein Handgelenk.

Sein lilanes Handgelenk.

"Nach Hause? Dann hättest du dir echt nicht die Mühe machen brauchen."

Ich sah verlegen zu Boden und musste an seinen Vater denken und dann an meinen. Das waren Dinge, über die wir früher reden konnten, aber wir waren zu alt geworden für alles, das sich schwer aussprechen ließ.

"Okay.", sagte ich nickend und hätte gerne gefragt. "Aber reden wir nicht mehr über Drogen."

"Ist notiert."

Ich ließ mich neben Kyle sinken. "Du und Jenna also?", fragte ich während mein Blick über den kalten Beton wanderte. "Warum? Wegen dem Geld? Wegen dem Haus?"

"Wenn ich sagen würde aus Liebe, würdest du es mir glauben?"

"Nicht einmal im Traum. Jemanden wie Jenna kann man nicht lieben." Ich zwang mir mein bestes Lächeln auf und auch Kyle musste schmunzeln.

"Du bist hart zu ihr, weißt du das?"

Ich sah zu Boden und schwieg. 

"Keiner von euch hat mir je erzählt was damals passiert ist. Ich weiß noch, wie wir deinen Geburtstag gefeiert haben. Bei ihr zuhause, in ihrem Wohnzimmer."

"Weil sie die einzige war, die Freunde einladen durfte.", ergänzte ich.

"Weil ihre Mutter die einzig normale Person in der ganzen Straße war." Kyle grinste.

Ich lächelte. "'Normal' ist ein großes Wort."

"Die einzig erträglich wahnsinnige.", korrigierte er sich und hätte es nicht besser treffen können. "Dann bin ich weggezogen. Und dann- dann wache ich auf, wir sind alle auf der selben Highschool und doch ist nichts mehr, wie es einmal gewesen war."

"Ein paar Monate nach dir, ist auch Jenna weggezogen.", half ich ihm auf die Sprünge. "Nur statt ein paar Straßen weiter, ist sie nach Lakeview gezogen."

"Ist das der Grund, warum ihr nicht mehr redet? Weil sie es als einzige aus diesem scheiß Rattenloch geschafft hat."

"Hat sich herausgestellt, Geld verändert Leute.", sagte ich zynisch und dachte an Kyles Uhr. "Wir haben uns gestern fast geprügelt."

Kyle schnippst seine Zigarette in die Betongrube unter uns und schwieg.

"Jenna denkt, sie kann alles tun. Als hätte man sie zur Königin der Welt gekrönt, als ihre Mutter diesen Geldsack geheiratet hat. Also warum, Kyle? Denn aus Liebe bist du nicht mit ihr zusammen."

"Du hast recht.", sagte er und nickte langsam. "Du hast die Wahrheit verdient. Das zwischen Jenna und mir ist nicht echt." Etwas Aufrichtiges lag in seinen Augen. "Es ist nur Show, damit sie auch weiterhin die Königin der Welt spielen kann."

"Und du spielst mit?"

Kyle fuhr sich durchs Haar. "Man tut was man muss, aber es ist nicht echt. Nichts davon ist echt." 

"Und doch sitzen wir genau heute hier und reden über Jenna.", stellte ich ruhig fest, während sich Kyle eine weitere Zigarette zwischen die Lippen schob. "Nach all den Jahren, genau heute." Kyle hielt in seiner Bewegung inne, die Flamme des Feuerzeugs tanzte vor seinem Gesicht. "Ich will nur die Wahrheit hören, Kyle. Hat Jenna dir gesagt, du sollst mich finden?"

Kyle ließ das Feuerzeug mitsamt der Zigarette sinken und für eine Moment glaubt ich Schuld in seinen Augen zu sehen. Als hätte ich ihn dabei ertappt, etwas wirklich Schreckliches tun zu wollen. "Nein.", sagte er schließlich. "Du irrst dich. Sie hat mir gar nichts zu sagen." In der langen Sekunde, die folgte, fand Kyles Hand meine Wange und ich brauchte niemanden der mir erklärte, was zu tun war, um Jennas kleine Traumwelt zu zerstören - zumindest in meinem Kopf. Ein stiller Akt der Rebellion.

Feel the painWo Geschichten leben. Entdecke jetzt