13. Ein Blutstropfen

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"Er hat mich geküsst.", sagte ich eindringlich, als Jenna auf dem Basketballplatz stehen blieb.

Verstohlen sah ich mich um, außer uns war der Park leer. Jennas Clique stand in einem Halbkreis um uns herum, gehässige Augenpaare funkelten mich an. Nur Joshua lehnte etwas Abseits an einem Baum wo er gemütlich eine Zigarette rauchte und die Straße im Blick hielt.

Der Geruch von Gewitter lag in der Luft. "Kyle war es der mich geküsst hat.", wiederholte ich leise aber eindringlich.

"Sag nie wieder einen Namen.", zischte Jenna. Der Schlag ins Gesicht traf mich unerwartet und hätte mich fast zu Boden geworfen. Ich griff mir an die schmerzende Wange. Patrick und ein paar der Mädchen jubelten.

"Na willst du jetzt immer noch meinen Freund küssen, du Schlampe?", fragte Jenna nun laut, damit es alle hören konnten. Das war Teil der Show, Teil ihrer kleinen Inszenierung.

Ich holte tief Luft. "Nur wenn du ihn nicht mehr küsst - er schmeckt dann immer nach Scheiße."

Die Realität hatte sich selten so grausam und doch so real angefühlt. Jenna packte mich am Hals, ihre Augen weit aufgerissen, ihr Gesicht zu einer hässlichen Grimasse verzogen. Ich griff nach ihren Haaren und riss uns beide zu Boden. Der Beton fing mich unsanft auf. Jennas Kopf landete in meiner Magengrube.

Ich keuchte auf und ließ ihre Haare los, um ihren Körper von mir zu drücken, aber zu meinem Entsetzen blieben sie einfach an meiner Hand hängen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich auf den dunkelbraunen Haarballen zwischen meinen Fingern. Jenna schrie auf.

"Scheiße!", sie betastete mit ihrer rechten Hand ihren Kopf. Paralysiert starrte sie auf das hellrote Blut, das nun an ihren Fingern klebte.

Ich riss mich von dem Anblick los bevor es Jenna tun konnte und stützte mich mit beiden Händen vom Betonboden ab. Kieselsteine bohrten sich in meine Handflächen, als ich mich nach oben drückte und taumelnd aufstand. Die Welt schaukelte wie ein Schiff auf hoher See.

"Du hast meine Haare ausgerissen!", brüllte Jenna. "Schlaaampe!"

Ich klopfte mir die Haare von den Händen und versuchte die funkelnden Sterne davon zu blinzeln.

Jemand packte mich am Handgelenk ehe ich wieder hinfallen konnte. Es war Patrick, sein Grinsen war verschwunden, er sah benommen aus fast leer. Ich rüttelte an seinem Griff, aber er hatte seine Finger tief in meine Haut gebohrt.

Für einen Moment hatte ich mich stark gefühlt, als würde ich das richtige tun, wenn ich mich Jenna stellte, aber nun war die Wut verschwunden. Ich hatte Angst. Angst vor dem Moment wenn sie mit mir fertig sein würde und mein Leben endgültig aus der Bahn geworfen hätte.

In meinem Kopf herrschte eine Weltordnung.

Es war normal, dass mein Vater mich schlug, aber nicht meine Mutter.

Es war normal, dass Jenna mich hasste, aber mich ignorierte.

Es war nicht normal, dass ich Angst vor ihr haben musste.

Nicht normal, dass sie nach der Schule auf mich wartete, um mir den Kopf einzuschlagen.

Ohne groß nachzudenken holte ich mit meinem tauben Bein aus und trat Patrick in die Eier.

Er krümmte sich und ich riss mich zitternd los. Zwei Schritte konnte ich tun ehe ich gleich darauf wieder nach vorne stürzte. Obwohl ich mit ausgestreckten Händen versuchte den Sturz abzufedern, prallte ich abermals hart gegen den Boden.

Jenna schlug mir auf den Hinterkopf und für einen Moment hatte ich das Gefühl sie würde meine Nase auf dem Beton brechen. Ich warf meine Arme nach hinten und zerrte sie an ihrem Oberteil von mir herunter. Sie fiel seitwärts auf den Beton. "Schau nicht so blöd und hilf mir!", rief sie irgendjemandem zu.

Noch ehe ich aufstehen konnte, packte mich eine Hand an meinem Oberarm. Es war Jakob, der beschlossen hatte Jenna zu helfen. Jenna, die nicht allein mit mir fertig wurde. Am liebsten hätte ich ihr ins Gesicht gespuckt.

Ein braunhaariger Junge half ihr auf die Beine. An ihren Bewegungen konnte ich sehen, dass sie sich auch verletzt hatte. Ich warf ihr einen angewiderten Blick zu. "Fick dich.", zischte ich. Sie wäre so gerne alleine mit mir fertig geworden. Aber sie war schwach, schwaches kleines, eingebildetes Bie-

Jenna verfehlte meine Wange und traf meine Nase. Ich riss den Kopf zu spät zur Seite. Für einen Moment glaubte ich, sie hätte mir die Nase gebrochen. Ich kniff die Augen zusammen.

"Iiii, sie blutet ja.", hörte ich Mariann kreischen. Langsam blickte ich an mir herab. Schwere, dunkelrote Tropfen fanden ihren Weg von meiner Nase, über mein Kinn bis zum Boden, wo sich ein faustgroßer Fleck bildete. Ungläubig beobachtete ich einen weiteren dunkelroten Tropfen, der zu Boden fiel und dort zersprang. Patrik und Jakob zerrten mich wieder auf die Beine.

"Na, los! Gib's ihr!", rief Caroline und reichte Jenna ein Taschentuch, um sich das Blut von der Handfläche zu wischen. Sie nahm es geistesabwesend entgegen, richtete ihr Haar (zumindest das was noch davon übrig war) und blieb nur wenige Zentimeter vor mir stehen.

Sie bleckte die Zähne wie ein wildes Tier. "Niemand-", zischte sie, "-fasst meinen Freund an."

Adrenalin schoss durch meine Adern als ich sah, dass sie zu einem Schlag ausholte. Sie gab mir eine Watsche - nicht so fest, wie erwartet, aber ich war mir sicher, dass sich ihr Handabdruck rot auf meinem Gesicht abzeichnete.

Jenna sah mir tief in die Augen. Ich blinzelte einige dunkelgraue Punkte weg.

"Niemand, küsst meinen Freund.", zischte sie und holte abermals zum Schlag aus. Instinktiv presste ich die Zähne zusammen. Für einen Moment blieb die Welt stehen. Ob absichtlich oder nicht - Jenna hatte mein Ohr getroffen und es war als hätte sie mein Trommelfell zerrissen. Ein schrilles Piepsen verschlang jeden aufkommenden Gedanken. Jenna sagte etwas zu mir, ihre Lippen bewegten sich, aber der grelle Ton in meinem Kopf verdrängte jedes Geräusch.

Jakob stellte sich vor mich und erwiderte etwas. Sein Blick hing an meinem Gesicht. Mir war, als würde er mustern, wo er am besten hinschlagen konnte. Doch ehe er tatsächlich zum Zug kam schob Jenna ihn beiseite. Der Ton in meinem Kopf wurde leiser.

"Jetzt schau nicht so blöd.", sagte Jenna dumpf und lächelte. Ihre Stimme klang, als wären Wände zwischen uns. "Was dachtest du was passiert, wenn du wieder kommst? Hör auf mich so blöd anzusehen!"

Jenna abermals die Hand und ich presste instinktiv die Augen zusammen.

"Du viel zu schreckhaft.", sagte sie. Kein Schlag. Sie hatte geblufft.

"Weißt du, mit geschlossenem Mund gefällst du mir so viel besser. Vielleicht können wir ja wieder Freundinnen werden, wenn das hier vorbei ist.", sagte Jenna und ich hörte jemanden auflachen. "Wenn du mich so ansiehst tust du mir fast schon leid. Aber ich kann nicht anders, du lässt mir keine Wahl. Jemand muss es dir ja beibringen."

Jenna sah mir tief in die Augen. „Du hättest dich mit jemand anderem anlegen sollen." Ihre Hand wirbelte durch die Luft und riss mir die Unterlippe auf.

Feel the painWo Geschichten leben. Entdecke jetzt