8. Eine Notlüge

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Ich hörte die Tür ins Schloss fallen und musste mich zwingen nicht die Luft anzuhalten als mein Vater, an uns vorbei, ins Wohnzimmer stapfte. Vorsichtig wischte ich die Tomatensoße vom Teller und legte ihn schaumig in die Spüle. Leise schnitt meine Mutter hinter mir die Zwiebeln in Würfel. Klack, klack, klack, machte das Messer, als es gegen das Holzbrett schlug. Ob sie wohl auch manchmal die Luft anhalten musste?

„Was ist das?", fragte mein Vater sich selber, als er den Wohnzimmertisch erreicht hat. „Zwei Dollar? Zwei Dollar! Hannah!" Ich legte augenblicklich den schmutzigen Teller zurück in die Spüle. Ohne mir den Schaum von den Hände zu wischen stellte ich mich in den Türrahmen und spähte ins Wohnzimmer.

„Was ist das?"

„Rückgeld.", krächzte ich. Das Zwiebelschneiden hinter mir wurde langsamer.

„Zwei Dollar?", rief mein Vater. „Ich weiß vielleicht nicht so viel wie du, aber ich weiß, dass sechs Bier keine acht Dollar kosten! Oder willst du mir das weismachen? Willst du das?"

„Ich-"

„Du hast das Restgeld gestohlen? Hah!"

„Dad-"

"Bestiehlst du mich also seit neuestem? Komm her!" Er fuchtelte wild mit den Armen.

"Dad! Ich kann gar kein Bier kaufen. Ich bin sechzehn!"

„Denkst du ich weiß nicht wie alt du bist?", rief er.

Ich hob beschwichtigend die Hände - sie zitterten. „Ich musste jemanden bezahlt, dass er mir welches kauft."

Kurz war er stumm, das schien Sinn zu ergeben. Sogar in den Augen meines Vaters, aber er wollte nicht, dass es Sinn ergab.

"Wen hast du bezahlt?", kläffte er.

"Einen- Freund von mir. Einen Bekannten.", korrigierte ich schnell, aber es war zu spät.

"Was für einen Freund?"

"Einen Schulfreund.", log ich, ohne eine Sekunde nachzudenken. Meine Muskeln waren steif wie Beton.

Mein Vater sah mir tief in die Augen. Er hatte immer schon ein besonderes Gespür für Lügen gehabt. Meine Luftröhre fühlte sich an als wäre sie zugeschnürt worden. Ich nahm einen winzigen Atemzug.

„Lügst du mich an?", fragte er langsam und starrte mir gleichzeitig bis in meine Seele.

„Nein.", erwiderte ich sofort und schüttelte den Kopf. Noch ein winziger Atemzug, der mir so schwer fielen als läge die ganze Erde mit allen Menschen auf meinem Brustkorb.

"Du scheiß Lügnerin!", grollte mein Vater und kam auf mich zu. "Deine Schulkameraden sind sicher nicht einundzwanzig! Hörst du? Sieh mich an, wenn ich mit dir rede du verlogenes Miststück!"

Ich zwickte meine Augen zusammen und als ich sie wieder öffnete hatten sich Tränen in ihnen gesammelt. Mein Herz raste. Ich kriege einen Herzinfarkt. Um Gottes Willen! Ich werde sterben.

„Du hast es doch nicht etwa geklaut?", fragte mein Vater.

Panisch griff ich nach hinten und tastete nach dem Küchentisch.

„So, wie du mich beklaut hast?"

Ich schüttelte den Kopf. Mein Herz raste so sehr, dass ich befürchtete, es würde sich jeden Moment aus meinem Brustkorb reißen.

Er gab mir eine Watsche. Für einen Moment vergaß ich, wie man atmete.

„Ich hatte einen wirklich miesen Tag heute.", sagte mein Vater. Ich traute mich nicht mehr, ihm in die Augen zu sehen und starrte lieber die verschwommenen Fließen an. „Und dann komme ich nach Hause, zu meiner Tochter, die ich seit sechzehn Jahren hier wohnen lasse und durch füttere, um festzustellen, dass sie mich seit neuestem bestiehlt. Und nicht nur bestiehlt sonder belügt und betrügt."

„Ich schwör's dir-", sagte er und packte mich mit seinen groben Händen am Oberarm. „Wenn die Polizei hier auftaucht und mir sagt, dass du heute gestohlen hast." Er starrte mich mit den weit aufgerissenen Augen eines Wahnsinnigen an. „Dann bring ich dich um." Er nickte. „Hast du das verstanden?"

„Ja.", piepste ich.

„Ich will die Wahrheit, denn wenn die Polizei hier klopft, ist es zu spät für dich." Ich wischte mir die Tränen mit dem Ärmel meines freien Armes weg. Mit seinem plumpen Zeigefinger deutete mein Vater auf den Wohnzimmertisch. „Hast du es geklaut?", fragte er.

„Nein." Ich schüttelte vehement den Kopf und zwang mich sogar, meinem Vater in die Augen zu sehen. „Ich schwör's."

Er ließ mich los und ich sackte auf den Fließen zusammen.

Niemand hielt mich auf, als ich statt des Abendessens, auf mein Zimmer ging. Ich beugte mich über die Kloschüssel und kotzte die Magensäure aus.

Feel the painWo Geschichten leben. Entdecke jetzt