SIEBEN

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Samstag
20.05.2017

In manchen Augen kann man sich verlieren. In seinen jedoch ertrank ich. Je länger man sie sich ansah, je mehr bemerkte man die Ehrlichkeit in ihnen, aber noch mehr erkannte man all seine Lügen. Jede einzelne Lüge stand für eine Besonderheit in seinem Auge, da seine Lügen so umwerfend waren. Sie mich besser fühlen ließen. Ich ertrank in all seinen kleinen Lügen.

Im Moment  hatte er allerdings seine Augen geschlossen und trotzdem sah ich alles was ich wissen musste. Sein Plan war gestern Nacht gescheitert und nun brauchte er einen neuen. Für meine Eroberung hatte er sich drei Tage vorgenommen zumindest zeigte dies sein Handy an, welches für kurze Zeit aufgeleuchtet  war.

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Diese Erinnerung hätte er mir ersparen können und sich selbst auch, denn ich saß hier und war kein bisschen verliebt.

Es war Samstag. Heute war eine Party in der Schräglage, die der Hammer werden sollte und er hatte mich an der Backe. Immerhin hätte er aufgeben können, für sein Ego wahrscheinlich nicht akzeptabel.

Mit seinem Finger klopfte er zum Takt der Musik auf den neueren Holztisch vor sich . Er war müde, das war ich auch. Carlo hingegen war so angeschlagen, dass er selbst die Kellnerin ignorierte, die unsere Bestellungen aufnehmen wollte. Einige Mal fragte sie bei ihm nach. Schlussendlich stand jedoch nur ein Glas Wasser auf ihrem Blatt, welches sogar ich bestellt hatte. Der Mann vor mir war nicht ansprechbar.

Gestern waren wir in der Wiese eingeschlafen und wurden am Morgen von ein paar Jugendlichen geweckt. Anscheinend kannte sie Carlo auch wenn sie ihn nicht so nannten. Er war so freundlich zu ihnen, wirkte jedoch zunehmend genervt. Als wir alleine waren fragte ich ihn was das war, eine Antwort blieb allerdings aus.

Dann sind wir zu diesem Café gelaufen und er hatte mir erklärt, dass man meine Rampen eigentlich Pipe nannte. Seine Laune wurde immer besser und ich war mir sicher den richtigen Carlo vor meinem Augen zu haben. Den Carlo frei von all den Lasten, die ihn zum Wahnsinn treiben ließen.

Das Wasser wurde vor mir abgestellt und mit einer erhöhten und gezwungen freundlichen Stimme fragte sie, ob wir uns jetzt entschieden hätten.

Hatten wir schon. Wir wollten genau dieses eine Wasser. Trotzdem blieb sie stehen.

Langsam sah Carlo zu der Rothaarigen auf, lächelte ihr zu und ihre Laune änderte sich schlagartig. Auf einmal wirkte sie wie aufgeweckt. Dabei war sein Gesicht gar nicht  besonderes.

"Schwarzen Kaffee, Irish Cappuccino, am besten ein Croissant und ein Nutellabrot mit Butter."

Carlo sah mich lächelnd an, dann wieder zu ihr. Die Rothaarige lächelte ihn freundlich an, warf mir dennoch einen tödlichen Blick zu und verschwand kurz darauf in der Küche.

"Natürlich ist die zu dir nett."

Genervt verschränkte ich meine Arme vor der Brust. Wer war dieser Carlo denn schon, dass jeder mit ihm reden wollte?

Leicht beugte er sich über den Tisch vor und flüsterte mir leise Worte ins Ohr. Das einzige was ich jedoch noch in Erinnerung trage war dieses eine.

Eifersüchtig?

Er grinste, lehnte sich zurück,  während ich meinen Kopf schüttelte. Liebe hatte ich noch nie angesehen und ohne Liebe keine Eifersucht. Somit hatte ich weniger Probleme.

"Keine Angst ich werde nur mit dir mein Essen teilen."

In diesem Augenblick kam das Essen an. Die Kellnerin ließ ihre Augen nicht von ihm und legte anschließend noch eine Serviette offensichtlich auf den Tisch bevor sie verschwand.

Prüfend begutachtete Carlo sie und reichte sie mir hinüber.

"Und jetzt eifersüchtig?"

.Mit perfekter Schrift stand ihre Nummer darauf. Darunter konnte man ihren Namen lesen. Wer hieß schon Veronika und warum gab sie ihm ihre Nummer, wenn sie mich doch gesehen hatte? Was für eine falsche Kuh.

Unschlüssig sah ich die Serviette weiterhin an. Der Typ vor mir allerdings teilte alles jeweils auf und erklärte mir seine Sichtweise vom Teilen.

"Jetzt kann ich von allem etwas Essen, ohne dass sie Hälfte übrig bleibt."

Anschließend schob er mir einen Teller mit der Hälfte des Essens hinüber.

Ich legte die Nummer beiseite. Nahm einen Biss und sah zu Carlo auf.  Ein Thema Wechsel musste folgen,  irgendwie.

"Du kannst von der Musik Leben?"

"Gerade so. Dafür lebe ich meinen Traum."

An den Wänden hingen verschiedene Bilder, Bilder von Künstlern, die ich kannte und welche von Künstlern, von denen ich noch überhaupt nichts gehört hatte. An so einer Wand wollte ich auch hängen und wenn das Geld zum Leben reichte, genügte das mehr als nur.

"Wie hast du das geschafft?"

Das Nutellabrot fand den Weg auf den Teller, stattdessen nahm er einen Schluck von dem Kaffee.

"Zur richtigen Zeit am richtigen Ort und BAM du bist ein Star."

"Also sollte ich dich kennen?"

Alles schloss darauf nur er nicht.

Unschlüssig zuckte er mit den Schultern, stand auf und ließ einen 20€ Schein auf dem Tisch zurück. Nicht gerade viel, dennoch 1c mehr als die Rechnung es vor unseren Augen angezeichnet hatte.

"Nicht unbedingt. Es würde zwar alles leichter machen, aber ich steh auf Herausforderungen."

Er nahm mich an der Hand und zog mich sich nach. Hinaus irgendwo hin. Wir liefen Hand in Hand durch die Stadt. Man sah uns an. Zuerst war es fremd dieses Gefühl, ich wollte, dass er aufhörte mich losließ, dann allerdings hörte ich auf mich zu wehren und plötzlich fühlte es sich ganz normal an. Er fühlte sich nicht mehr an, wie der Typ, der an der Bar stand und ich war nicht dieses Mädchen, das nach seinem Name fragte. Wir waren Carlo und Lina gefangen in unserem eigenen Spiel. Dabei war uns dies damals unklar.


"Morgen Schräglage?", fragte er mich in dem Moment in dem wir vor meiner Haustür standen. Heute war die Party des Jahres und morgen trafen wir uns wieder. Er wollte seinen Spaß haben. Das wollte ich auch.

"Ne, lass mal. Ich hab morgen gar keine Zeit. Sorry, Carlo."

"Is okay. Mir treffen uns irgendwann wieder."

Er lief nach Hause und ich sah das Skateboard in meiner Hand an.

"Hoffentlich."

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