Juni - III

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Ding Dong."

Ari griff träge nach ihrem Handy. Über dem Nachrichten-Symbol klebte eine kleine rote 1 und meldete eine ungelesene Nachricht. Es war fast Ein Uhr nachts. Ein flaues Gefühl regte sich in ihrem Magen. Sie tippte auf das Symbol und die App sprang auf. Als sie den Namen des Absenders las wurde ihr Mund trocken. Der kurze Text enthielt nur einen Straßennamen. „Rosa Lux.Str"

Ari zog die Brauen zusammen. Nur ein Straßenname. Gleich bei ihr um die Ecke.

„Oh Fuck."

Sie sprang so heftig von ihrem Stuhl auf, dass er zurückrollte und gegen ihr Bücherregal stieß, doch Ari kümmerte es nicht. Sie stürzte aus ihrem Zimmer, schlitterte über das Parkett durch den Flur, griff gerade noch rechtzeitig nach dem Türrahmen zum Schlafzimmer ihrer Mutter und zog sich rutschend in den kleinen Raum. Aus der Bewegung heraus schlug sie mit der Faust auf den Lichtschalter, bis sie vor dem alten Kleiderschrank zum Stehen kam. Sie riss die Türen auf und zerrte die rote Tasche aus dem untersten Fach. Hektisch zog sie den Reißverschluss an der Seite auf und griff nach der separaten Erste-Hilfe-Tasche, der die wichtigsten Materialien enthielt. Die kleine grüne Tasche unter den Arm geklemmt, rannte sie zur Wohnungstür, erinnerte sich gerade noch daran Schuhe anzuziehen und nach ihrem Schlüssel zu greifen und hastete die Treppen hinunter, ohne auch nur in Betracht zu ziehen auf den Fahrstuhl zu warten.

Nicht schon wieder. Dieser Idiot. Katrin liegt kaum zwei Wochen im Krankenhaus und er zieht die Scheiße schon wieder ab.

Es roch nach Regen. Die Nacht war warm und schwül. In ihrer Eile fiel Ari nicht mal auf, dass sie nur im Tanktop und ihren kurzen Schlafanzughöschen zur Rosa-Luxemburg-Straße rannte. Die Straßen waren still und leer. Neben den alten Laternen waren nur noch wenige Fenster erleuchtet. Sie jagte auf eine Kreuzung zu und hielt nach einem Straßenschild Ausschau. Als sie es an der Hausfassade des Eckgebäudes erkannte und den ersehnten Namen las, fegte sie ungebremst um die Ecke.

Die Straße war verflucht lang und Ari hatte keine Ahnung auf welcher Seit sie suchen sollte. Die Bordsteine wurden von parkenden Autos überwuchert wie Unkraut und ließen keinen Blick auf die gegenüberliegende Seite zu. Dem Mädchen stand der Schweiß auf der Stirn und ihr Herz hämmerte schmerzhaft gegen ihre Rippen.

„Tom", rief sie mit sich überschlagender Stimme und scherte sich nicht um die Ruhestörung, die sie verursachte. Sie kämpfte die aufkeimende Panik nieder und fokussierte ohne anzuhalten ihren Blick auf das Pflaster des Fußweges und jeden Schatten der auch nur annähernd die Form einer menschlichen Gestalt haben konnte. Sie rannte und rief seinen Namen, bis am Ende der Straße angelangte. Japsend und den Tränen nahe, sprintete sie auf die andere Seite, und lief in die entgegengesetzte Richtung.

Als sie ihn schließlich fand, wäre Ari fast über ihn gestolpert. Thomas saß mit dem Rücken an eine Mauer gelehnt, im Schatten eines Müllcontainers. Seine Beine lagen ausgestreckt auf den Gehweg, die Arme hingen schlaff zu beiden Seiten seines Körpers. In der rechten Hand hielt er noch sein Handy.

Ari ließ sich neben ihm fallen und hielt ihr Ohr dicht an seinen Mund. Sie hielt die Luft an, schloss die Augen und blendete ihre Umgebung samt Geräusche ganz und gar aus. Leiser Atem. Etwas beruhigt stieß sie die Luft aus, griff nach seiner Hand und drückte sie sanft.

„Tom, hörst du mich? Ich bin da, ich hab dich", stammelte sie, hin und hergerissen zwischen Angst, Ärger und Erleichterung.

„Ari...", hauchte er schwach, „wurde ja auch Zeit."

Sie lachte schwach. Die kleine Spitze nahm ihr eine Last von der Schulter. Sie tastete vorsichtig seinen Kopf ab und spürte sofort klebrige Feuchtigkeit an den Fingerspitzen.

No Limits - No Rules - No FearWo Geschichten leben. Entdecke jetzt