Oktober - I

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Tom ließ in den nächsten Tagen wie erwartet nichts von sich hören, doch Ari erfuhr von ihrer Mutter, dass er jeden Tag im Krankenhaus war. Sie erkundigte sich nach jeder Schicht ihrer Mutter, sobald sie durch die Tür trat, ob er wieder da war und wie es ihm und seiner Mutter Katrin geht. Conny berichtete ihr, dass es Tom zusehends besserging, während Katrins Zustand stagnierte. Sie war im Laufe des Tages nach ihrer Einlieferung aus dem künstlichen Koma erwacht. Conny hatte Tom daraufhin sofort angerufen und seither verbrachte er die meiste Zeit an ihrer Seite. Conny hatte bei einer dieser Gelegenheiten auch veranlasst, dass nochmal nach seinen Rippen gesehen wurde.

Ari war beruhigt. Das neue Semester begann in ein paar Tagen und sie hatte die Zeit genutzt, um etwas vorzuarbeiten und sich mit dem Stoff vertraut zu machen, da sie in dieser Woche nicht in der Praxis gebraucht wurde. Die Vorbereitung auf die Uni half ihr, sich zu entspannen und von Tom und seiner Mutter abzulenken. Trotzdem bekam sie ihn nicht ganz aus dem Kopf. Diese Nacht am Krankenhaus schien nur aus Extremen bestanden zu haben. Schreckliche Augenblicke voller Schmerz und Angst, aber auch jenen seltenen Momenten, die ihre eine Hoffnung auf einen Tom machten, den sie längst verschwunden geglaubt hatte. Was war das zwischen ihnen? Sah er sie inzwischen als gute Freundin, von der er wusste, dass sie immer für ihn da war und hatte daraufhin ein Vertrauen zu ihr gefasst, dass ihm kurze, schwache Momente gestattete? Doch bei wem sonst, als ihrer eigenen Mutter, Cornelia, konnte er noch Trost suchen. Sie schienen die einzigen zu sein. Aris Herz schmerzte vor Mitleid. Und ein unwillkommener Gedanke erwachte. Wenn er nur sie hatte, und lange nicht aufgesucht hatte, wie lange würde es dann dauern, bis er wieder etwas brauchte, um seinem Schmerz und seiner Wut ein Ventil zu geben. Seine Mutter berichtete von seiner Genesung. Ari zweifelte keine Sekunde daran, dass sich Thomas in den nächsten Kampf stürzen würde, sobald sein physischer Zustand es erlaubte.

Ari ballte die Hand zur Faust und fasste einen Entschluss. Wenn sie ihn schon nicht daran hindern konnte, würde sie zumindest dafür sorgen, dass nächste Mal nicht erst an Ort und Stelle zu sein, wenn sein Zustand so kritisch war, wie in jener letzten Nacht oder vor ein paar Monaten, als sie ihn von der Straße gekratzt hatte. Sie würde herausfinden, wann der nächste Kampf sein würde und wo. Und sie wusste auch schon genau, wen sie für diese Informationen aufsuchen musste.

Sie nahm ihr Handy zur Hand und scrollte durch die Liste angenommener Anrufe bis sie das Datum jener Nacht fand und eine unbekannte Nummer. Kurz entschlossen tippte sie auf die Nummer und wartete auf den Verbindungsaufbau.

„Ja - Hallo?" – „Äh, hi, hier ist Ariel. Sind Sie Peter, Thomas Trainer?" „Nein. Peter grad nicht erreichbar. Er trainiert jemanden. Kann ich was ausrichten?" Ari überlegte einen Moment. „Nein, aber können Sie mir vielleicht die Adresse geben, dann komm ich vorbei." „Klar, Kalistraße 11." „Ok, super. Danke." „Wiederhören"

„Siri", sprach Ari Handy an, nachdem sie aufgelegt hatte. „Zeig mir den Weg zur Kalistraße 11." „Ich suche nach der Kalistraße 9", antwortete die KI und öffnete die Kartenapp mit einem Routenvorschlag. Ari wählte den Fußweg und die App verkündete eine Wegzeit von 32 Minuten. „Uff", machte Ari und überlegte. Sie hatte keine Lust soweit zu laufen, aber mit dem Fahrrad würde es gehen. Sie stand vom Schreibtisch auf und ging zum Schrank um sich anzuziehen. Sie war dem ganzen Tag zu Hause gewesen und hatte es deshalb nicht für nötig befunden, ihren Schlafanzug auszuziehen, auch wenn es schon nach 14 Uhr war. Aus einem Schubfach zog sie frische Unterwäsche, ein dunkelblaues T-Shirt und einen schwarzen Pulli. Über ihrem Wäschekorb hing noch ihre graue Jeans, die sie die letzten Tage anhatte, aber noch sauber war. Sie zog alles an, angelte sich ihre Kopfhörer und ging für einen Wetter- und Temperaturcheck auf ihren Balkon. Für Anfang Oktober war es noch mild und sie würde keine dicke Jacke brauchen. Zurück in ihrem Zimmer stellte sie sich vor den Spiegel und betrachtete ihre zerzausten Haare. Sie kämmte ihre Mähne kurz durch und frisierte sie zu einem einfachen Pferdeschwanz, damit ihr die Haare beim Radfahren nicht ständig ins Gesicht wehten.

No Limits - No Rules - No FearWo Geschichten leben. Entdecke jetzt