Kapitel 27

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Anas POV

Ich stellte mir immer öfter die Frage, wie Valentin und ich es geschafft haben von Hass zu enger Freundschaft (und vielleicht sogar Liebe) umzuschlagen.

Wenn man sich diese ganzen Streitereien ins Gedächtnis ruft und wie er mich am Anfang unbedingt los werden wollte, hätte man niemals gedacht dass ich ihn irgendwann mal meinen Freund nennen würde.

Sogar das Verhältnis mit Konrad hat sich verbessert. Er ist nicht mehr so kalt und redet ganz normal mit mir, so als ob es nie irgendwelche Probleme zwischen uns gab. Darum bin ich aber froh, denn einen Neustart mit Konrad kann ich gut gebrauchen. Er wird niemals ein Vaterersatz und Nicole auch niemals ein Ersatz für meine Mutter sein, aber ein Versuch ist es doch wert.

Mit Konrad hatte ich jetzt also ein gutes Verhältnis. Für mich war das ein Zeichen dafür, dass es an der Zeit war meine Eltern zu besuchen. Es spielte keine wirkliche Rolle mehr, wieso sie taten was sie eben gemacht hatten. Natürlich habe ich Konrad bis heute dafür nicht verziehen. Aber was bleibt mir anderes übrig, als zu gehorchen? Wenn ich abhauen würde, wäre ich in spätestens einem Tag wieder bei ihm.

Wir sind vor einer Woche wieder vom Spa zurück gekehrt und seit diesem Wochenende hat sich einiges in meinem Leben verändert. Ich habe mich bei unserem Aufenthalt sowohl geistlich als auch körperlich verändert. 

Ich habe viel mit Paul geredet und er hat mich dazu überreden können Mama, Papa, ihn und meinen kleinen Bruder David zu besuchen. 

Im Moment stehe ich deshalb vor meinem alten Zuhause und klammere mich an Valentin fest, der mir immer wieder zumutende Worte ins Ohr flüstert. Ich weiß dass ich keine Angst haben sollte, aber was mache ich hier eigentlich, wenn sie mich doch sowieso weggeschickt haben?

"Vielleicht wäre mir das Alles leichter gefallen, wenn wir uns in neutralem Terrain getroffen hätten und nicht in meinem alten Zuhause. Zum Beispiel in einem Restaurant oder in einem Park", sagte ich leise und hatte Schwierigkeiten meine Stimme auf dem gleichen Niveau zu halten.

"Du schaffst das schon, Liebling. Ich weiß dass es schwer für dich ist, aber du solltest es versuchen. Ich bin bei dir und werde dich nicht verlassen. Versprochen", munterte Valentin mich auf und küsste mich aufs Haar. Seine Hand strich dabei beruhigend über meinen Rücken und ich spürte, wie sich meine Muskeln unter seiner Berührung entspannten.

Ich konnte mir selbst nicht wirklich erklären, wieso ich so aufgewühlt war. Natürlich konnte ich nicht einfachso beseite schieben oder vergessen, dass sie mich praktisch 'verkauft' haben.

Aber wenn man liebt, verzeiht man Fehler ohne dabei auf sich selbst zu achten. Und genau das tat ich gerade.

Ich nahm all meinen Mut zusammen und stieg langsam aber sicher die Stufen zur bekannten Haustür hoch. In dem Moment als ich mit beiden Füßen vor Tür stand und darüber nachdachte, ob ich klopfen oder klingeln sollte, wurde mir diese Entscheidung von eben dieser Tür abgenommen als sie aufgerissen wurde und ein kleiner Blondschopf auf mich zugerannt kam.

"ANA! Du bist wieder da!", schrie der kleine Junge und sprang an mir hoch und klammerte sich an meine verblüffte Form, so als ob das Leben des kleinen fünfjährigen Jungen daran hing.

"Ich hab' dich so sehr vermisst, Ana", weinte mein kleiner Bruder, der sich immer noch an mir festklammerte. Erst dann kam ich aus meiner Versteinerung hervor und schlang genauso fest meine Arme um den kleinen Körper des Jungen. Ich atmete den familiären Geruch meines kleinen Bruders ein und ohne jegliche Vorwarnung liefen mir die Tränen übers Gesicht.

Ich hatte dieses kleine Bündel an Lebensfreude und Energie mindestens genauso sehr vermisst, wie er mich. Mich überkamen unglaubliche Schuldgefühle als ich Davids weinende und zitternde Figur fest an meinen Körper drückte. Er hatte Angst um mich gehabt; hat nicht verstanden wieso seine große Schwester so plötzlich verschwunden war. An dem einen Tag hatten wir noch zusammen lachend LEGO-STAR-WARS gespielt und plötzlich war ich am nächsten Tag weg. Ich hatte nicht nur Schuldgefühle weil ich ihn so plötzlich verlassen hatte und mich nicht einmal verabschiedet hatte. Ich hatte auch nicht einmal in den Monaten, die ich von ihm getrennt verbracht hatte, an ihn gedacht. Mich nicht einmal gefragt wie es ihm geht oder wie ein kleiner Junge mit solch einem Verlust klar kommt.

No LightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt