Kapitel 8

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Meinen ersten Tag an Bord vergeudete ich größtenteils mit schlafen. Einmal schaute meine Grams vorbei und brachte mir einen Apfel zu Mittag. Ich weiß nicht woher meine plötzliche Müdigkeit kam. Vielleicht hatte ich in der letzten Nacht einfach zu wenig Schlaf abbekommen? Obwohl mich so etwas normalerweise gar nicht störte. Oder vielleicht machte mich das sanfte Schaukeln der Wellen so schläfrig? Es dämmerte bereits, als ich mich langsam aufrichtete. Der ganze Raum schwankte ein wenig und alles schien unklar, beziehungsweise nebelig. "Keyani!"  flüsterte eine Stimme in meinem Kopf. Ok... Zwei Dinge begannen so langsam mich zu beunruhigen! Erstens: Jemand kannte meinen vollständigen Namen, den ich aber eigentlich nur meiner Grams anvertraut hatte. Und zweitens: Diese Stimmen! Egal ob im Traum oder wie eben. Bekam ich Wahnvorstellungen? "Keyani!" flüsterte die Stimme wieder "Komm zu mir! Wir warten doch schon so lange auf dich!" rief sie noch, ehe sie verstummte. Gänsehaut bildete sich, trotz meiner Jacke, auf Armen und Beinen. Plötzlich durchzuckte ein heftiger Schmerz meine ganze rechte Seite. Keuchend krempelte ich den Ärmel meiner Jacke hoch, um zu schauen was dort war. Die blauen Schuppen, welche sich gestern Abend gebildet hatten, begannen nun sich unter meiner Haut durch ins Freie zu schieben. Es fühlte sich annährend so an, wie wenn ein Neugeborenes seine ersten Zähne bekommt. Nur tausendmal schlimmer! "Armes Mädchen."  säuselte die Stimme "Ich kann dir helfen diesen Qualen ein Ende zu setzen! Du musst nur tun was ich dir sage. Abgemacht?"  Am liebsten hätte ich das Angebot abgelehnt, denn wer hörte schon auf einen körperlosen Geist? Doch die Schmerzen wurden immer stärker und das atmen fiel schwerer. "Ja ok. Meinetwegen." ächzte ich "Was muss ich tun?" fragte ich. "So ein braves, starkes Mädchen." kicherte die Stimme und ich kam mir vor wie ein Hund der das Stöckchen geholt hatte. "Die erste Aufgabe ist ganz einfach." schnurrte sie "Du nimmst jetzt deine ganzen Sachen und gehst damit an Deck." Ich tat wie geheißen und lief, leicht schwankend, zum Fahrstuhl. Während ich auf diesen wartete ging ich die Liste mit meinen Habseligkeiten noch einmal durch: Handy? Gecheckt! Kopfhörer? Gecheckt! Und so ging das die ganze Zeit, bis der Fahrstuhl endlich ankam und ich mich, samt Taschen und Koffer, hinein schleppte. Als sich die Türen wieder öffneten schlug mir ein eisiger Wind entgegen und ich musste husten. "So. Da bin ich! Und was jetzt?" rief ich in die kalte Nachtluft. Während ich auf die Antwort von Miss Körperlos wartete sah ich mich auf dem Deck um. Es war menschenleer und ich fragte mich, wo meine Großmutter wohl steckte. Vielleicht war sie ja ich so eine Rentnerdisko oder irgendetwas dergleichen gegangen? Endlich antwortete die Stimme in meinem Kopf: "Die erste Aufgabe hast du ganz gut gemeistert!" kicherte sie "Aber die zweite Aufgabe ist schon etwas anspruchsvoller!" meinte sie noch. "Sag mir doch einfach was ich tun soll!" keifte ich. "Jetzt werd mir mal nicht zickig!" schnappte die Stimme. "Aber egal. Du gehst jetzt mit deinen Sachen zu Reling, kletterst darüber und spriiiingst!" rief sie, wobei sie so klang als würde sie selbst irgendwo runterspringen. "Spinnst du!" schrie ich "Du willst mich doch umbringen!" "Nicht ganz." schnurrte sie sarkastisch "Das schaffst du gut alleine! Die Schmerzen werden dich in den Wahnsinn treiben wenn du meine Hilfe nicht annimmst! Und glaub mir, ich weiß wovon ich rede! Ich sprang wegen ihnen vom Dach des Palastes." erklärte die Stimme voller Ernst und ich schenkte ihr Glauben. "Wer bist du?" fragte ich sie. "Alles zu seiner Zeit." meinte sie nur und offenbar hatte sie ihre gute Laune wieder gefunden. Ich tappte vorsichtig vor, an den Rand des Schiffes und schaute auf die tosenden Wellen unter mir. Das Meer war diese Nacht verdammt wild und ich spürte, dass etwas nicht stimmte. "Hörst auch du sie rufen?" fragte Fräulein Namenlos traurig. "Was soll ich hören?" murmelte ich verdutzt "Die Menschen im Wasser. Sie wollen sich gegen den falschen König erheben! Aber sie brauchen einen Anführer... Sie brauchen DICH!" "Mich?" quietschte ich verwirrt und stolperte entrüstet ein paar Schritte rückwärts, nur um dann stöhnend zu Boden zu sinken. Die Schmerzen, welche ich bis eben noch einigermaßen habe verdrängen können, kamen mit voller Wucht zurück. "Entweder du springst... oder du stirbst."  meinte die Stimme knallhart. Es war also egal wie ich handelte? Entweder ich sprang und würde ertrinken, oder ich sprang nicht und würde mich wegen der Schmerzen auf irgendeine andere Art und Weise töten? Beides klang nicht unbedingt verlocken, aber wenn ich schon dem Tode geweiht schien würde ich lieber ertrinken! "Eigentlich will ich noch gar nicht streben." maulte ich leise vor mich hin "Dann rate ich dir zu springen, Mädchen. Im Wasser kann ich dir helfen! Den Schmerz lindern." antwortete es in meinem Kopf. Ich seufzte und stand langsam auf. Gekrümmt schlich zur Reling und schwang erst das eine und anschließend das andere Bein hinüber. Nur das Gewicht der Koffer und Taschen bewahrte mich vor einem unkontrollierten Absturz. Ich nahm die kleine Tasche und schlang sie mir um den Hals. Danach tat ich das gleiche mit der anderen Tasche. Zu guter Letzt hievte ich auch den tonnenschweren Koffer über den Rand und klammerte mich mit meiner freien Hand an der Reling fest. Unter mir tobte das Meer und die Schaumkronen der Wellen schlugen gegen das Schiff bis es schwankte. Mein Griff verstärkte sich. "Ich kann das nicht!" schniefte ich halb verzweifelt und wollte schon wieder zurücksteigen, als mich ein heftiger Windstoß erfasste und weit hinaus auf das Meer warf. Schwarze Wellen empfingen mich und ich schluckte massig Wasser. Beinahe hätte ich den Koffer losgelassen würde nicht eine hohe Stimme in meinem Schädel Randale machen. "Nicht loslassen!" schimpfte sie "Bist du des Teufels, Mädchen?" "Sag mir lieber was ich jetzt tun soll." keifte ich wild hustend. "Ach ja! Gut das du mich erinnerst! Lass dich einfach treiben. Irgendwann wirst du sinken. Mehr brauchst du nicht tun."  "Du willst mich also wirklich umbringen?" knurrte ich schwach. "Wo denkst du hin? Ich hab doch versprochen dir zu helfen!" meinte sie schnippisch. "Ok ok! Also einfach sinken, ja?" gab ich nach. "Genau. Ab hier verlasse ich dich. Doch wir werden uns schon bald wieder sehen, tapferes Mädchen." sagte sie "Du lässt mich einfach so alleine?" fragte ich entrüstet während meine Kräfte schwanden. Als keine Antwort kam schrie ich frustriert auf. Nach wenigen Minuten verließen mich meine letzten Kräfte und ich tauchte unter. Mein (noch immer!) schmerzender Körper sank Meter um Meter und schon bald spürte ich einen starken Druck auf meiner Brust. Die letzten Bläschen entkamen meinem Mund ich schloss müde die Augen. "Versuche wach zu bleiben! Nicht einschlafen!" meldete sich eine hysterische Stimme in meinem Kopf. Sie war also doch noch da? Ich zeigte ihr in Gedanken den Mittelfinger und versuchte einzuschlafen. "Wenn du jetzt einschläfst stirbst du wahrhaftig, dummes Gör!" keifte sie. Ich zuckte die Achseln und sank tiefer und tiefer...

Offenbar hatte ich anschließend das Bewusstsein verloren, denn an mehr kann ich mich nicht erinnern. Ich hatte nur noch gespürt, wie der Druck nach weiteren zahllosen Metern, endlich abgenommen hatte und ich plötzlich wieder frei atmen konnte. Dennoch war mein Körper noch nicht in der Verfassung aufzuwachen. Erst Stunden später sollte ich erfahren, wo ich gelandete war...

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