Kapitel 12

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"Aufstehn! Hast du etwa noch gelesen? Keya!" schrie mich eine Stimme aus dem Schlaf und ich fuhr hoch. "W-was ist los?" jammerte ich verschlafen und klappte das Buch, welches ich offenbar als Kopfkissen benutzt hatte, zu. Ich fuhr mir mit den Händen übes Gesicht und spürte die Furchen, die die spitzen Buchecken hinterlassen hatten. "Wie lange warst du gestern noch wach?" fuhr die hohe Stimme mich wieder an und endlich schaffte ich es den Kopf so weit zu heben, um der Person ins Gesicht zu schauen. "Ouh. Guten Morgen Amaltheia." grunzte ich ins mein Kissen, da mein Schädel bereits wieder nach unten geplumst ist. "Zieh dich an und komm frühstücken. Ich will dir das mit der Telepathie nochmal näher erläutern. Vielleicht kommen wir auch schon so weit, dass wir uns schließlich über größere Distanzen verständigen können." sagte sie und meine Augen wurden größer und begannen zu leuchten. "Ja geht klar. Ich beeil mich." freute ich mich und sprang auf, nur um sofort eiskalt auf den Boden zu klatschen. "Aua..." murmelte ich finster und betrachtete den blauen Fleck, der sich sofort an meinem Knie gebildet hatte. Die anderen ignorierte ich geflissentlich. Der dunkelblaue Fleck war mit tieflila Punkten versehen. Doch schon nach wenigen Sekunden verblasste der Bluterguss bis nur noch ein kleiner gelber Punkt zu sehen war. "Das ist echt cool." sagte ich und sah zu Amaltheia auf. "Ja manchmal hat das schon was." stimmte sie mir schließlich zu, doch ein dunkler Schatten verfinsterte ihr Gesicht. "Was ist los?" fragte ich behutsam, doch sie schüttelte nur den Kopf. "Nichts, es ist nur echt schwer zusehen zu müssen wie meine Heimat nach und nach zerstört wird und ich weder etwas dagegen tun kann, noch endlich zu sterben." schiefte sie und ich nahm sie in den Arm, was ziemlich knifflig war, da meine Arme durch sie hindurch gehen würden, hätte ich sie nicht angespannt. "Das tut mir echt Leid." versuchte ich sie zu trösten und sie nahm es mit einem kleinen Nicken hin. "Los jetzt du Schlafmütze." wagte sie sich an ein Lächeln und ich tat es ihr gleich. "Ist gut. Ich brauch auch nicht lange. Versprochen." lachte ich und stürmte los. In der Küche schaufelt ich mir ein paar muschelförmige Pfannkuchen mit Nutella rein. Das es hier unten auch Nutella gab war wie ein kleines Weihnachten für mich und ich versuchte sparsam damit umzugehen. Als ich fertig war wollte ich schon wieder in mein Zimmer, legte jedoch noch einen kurzen Zwischenstop im Bad ein. Danach zerrte ich eine Hose und ein Top aus meiner Reisetasche und entschied mich gegen die Klamotten, die ich mit Amaltheia eingekauft hatte. Als ich in mein Zimmer gehen wollte war dieses jedoch leer. "Komm zur Weide." hallte eine Stimme in meinem Kopf wider und ich versuchte mich an einer telepathischen Antwort. Heraus kam allerdings nur ein leises "Mhmm..."  ins Nichts. Also drehte ich mich wieder um und bewegte mich Richtung Weide. Bisher hatte ich die wunderschönen Hippocampi nur aus der Ferne sehen können und hoffte diesmal eines berühren zu können. Die letzten hundert Meter rannte ich und spürte voller Befriedigung, wie die Muskeln, die ich mir in den letzten Wochen antrainiert hatte, unter meiner Haut arbeiteten. Amaltheia stand bereits mitten auf der Weide, umgeben von friedlich grasenden Hippocampi. Während ich die schimmernden Tiere durchzählte fiel mir auf, dass es ein Hippocampus mehr war als früher. "Eine der Stuten hat Fohlen bekommen."  erklärte die bekannte Stimme in meinem Kopf und plötzlich lief mir ein Schauer den Rücken runter. "Wie tausend kalte Rattenfüße!" fluchte ich und die Pferde stoben auseinander. "Tut mir Leid. Aber was ich wissen will: Hast du gerade meine Gedanken gelesen?" fragte ich gerade heraus und Amaltheia sah beschämt zu Boden. "Vielleicht ein kleines bisschen." versuchte sie es mit einem Lächeln und ich schüttelte empört den Kopf. "´Tschuldigung." flüsterte sie noch hinterdran und ich verzieh ihr sofort. "Versprich mir einfach, dass das nicht nochmal unaufgefordert passiert, ja?" grinste ich sie verschmitzt an und sie nickte bestimmt. Dann packte sie meine Unterarme und befahl mir, es bei ihr ebenso zu machen. "Konzentriere dich voll und ganz auf die Berührung unserer Haut. Spürst du das elektrische Kribbeln deiner Nerven?" fragte sie und ich konzentrierte mich fieberhaft. Tatsächlich vernahm ich nach wenigen Minuten ein sanftes Kribbeln, wie wenn viele kleine Nadel in meine Haut stachen. Plötzlich sah es so aus, als würden winzige blaue Funken über unsere Arme tanzen und ich blinzelte verwirrt. Und schon waren sie wieder weg. Ich nickte um Amaltheia zu verdeutlichen, dass ich jetzt auch soweit war. "Gut. Und jetzt versuche einen Gedanken durch unsere Verbindung zu mir zu schicken." erklärte sie und ich stellte mir bildhaft vor, wie unsere Nerven miteinander verwoben waren. Dann suchte ich mir einen leichten Gedanken, der mich nicht sofort überfordern würde und entschied mich für: Ich möchte reiten! Nun stellte ich mir vor, wie die Worte durch meinen Körper, bis hin zu meinen Händen flossen, doch kurz vor der Verbindung erstarb der Gedanke und ich seufzte frustriert auf. "Nicht aufgeben! Das war gut. Versuch es noch einmal, aber beschränke dich lieber auf ein kurzes Wort. Das strengt weniger an." munterte sie mich auf und ich nickte entschlossen. Ok. Neuer Versuch, neuer Gedanke: Kekse! Ein Lächeln huschte über mein Gesicht und ich schloss die Augen um mich nicht ablenken zu lassen. Das Wort jagte durch meinen Körper und überquerte diesmal problemlos die Barriere. Als Amaltheia plötzlich auflachte riss ich schockiert die Augen auf. "Super gemacht." grinste sie und meine gute Laune stieg an. "Ok diesmal zwei Worte." entschloss sie. Beinahe scheiterte ich an einer logischen Wortverbindung mit nur zwei Wörtern als ich schließlich doch eine Idee hatte: Bücher lesen. Und wieder waberte der Gedanke durch mich hindurch, stockte kurz an meinen Schulter, doch ich gab ihm einen imaginären Tritt in den Hintern und die Worte schossen hinüber zu Amaltheia. "Na das klappt doch ganz gut. Ab jetzt sollte es leichter werden. Jetzt werden wir anfangen kleine Unterhaltungen zu führen." meinte sie und in mir bereitete sich ein unwohles Gefühl aus. "Ach ja und versuch nicht die Wörter durch deinen ganzen Körper zu schicken, sondern wähle die kürzeste Verbindung." riet sie mir. Und so ging es dann noch eine ganze Weile, bis wir uns auf dieser Distanz einwandfrei telepathisch verständigen konnten. Doch dann Entfernte Amaltheia sich so weit, dass sich unsere Fingerspitzen gerade so berührten und meine Gedanken über diese Entfernung zu schicken war schon etwas schwieriger. Aber auch das schaffte ich mit etwas Übung. Es dämmerte bereits, als wir etwa drei Meter voneinander entfernt standen und der Schweiß lief mir übers Gesicht. "Wie lange hast du gebraucht um das zu lernen?" fragte ich sie und ihr Gesicht wurde nachdenklich. "Ich weiß nicht genau. Ich hatte schließlich viel Zeit. Aber ich verlange ja nicht von dir, dich über Länder hinweg mit mir zu unterhalten. Um unsere jetzige Distanz zu überbrücken habe ich etwa eine Woche benötigt." erklärte sie und ich riss die Augen auf. "Und wie weit kommst du jetzt?" stellte ich die nächste Frage. "Naja über Länder hinweg halt. Vom Norden Atlantis´bis hin zum Süden ist jedenfalls kein Problem und das wirst du auch noch schaffen. Komm lass uns essen gehen. Morea hat gerufen." endete sie und ich joggte verwirrt zu ihr. "Ich habe Morea gar nicht gehört." stellte ich verwirrt fest und Amaltheia erklärte: "Weil du nur mit meinen Nerven vertraut bist. Wenn du erst so eine Bindung mit Itys und Morea herstellst hörst du auch sie." Ich nickte verstehend und den Rest des Weges gingen wir schweigend bis ein leises Schnauben mich inne halten ließ. Langsam drehte ich mich um und sah in glänzende schwarze Augen. "Oh. Hallo Kleiner." sagte Amaltheia und streichelte den jungen Hippocampus. "Wieso kannst du andere berühren und sie dich nicht?" rutschte es mir raus und sie lächelte milde. "Weil ich lebende Dinge berühren kann, aber tote Dinge sind für euch quasi nicht existent. Deshalb kann ich Menschen, Tiere und Pflanzen ganz normal berühren. Für dich und andere sollte ich jedoch gar nicht mehr existieren, deshalb kannst du mich nur sehen, aber von dir aus nicht anfassen." erklärte sie ruhig und ich verstand. Plötzlich stupste mich jemand am Arm und nun streichelte auch ich den kleinen Hengst. "Er mag dich. Ich werde mit Morea und Itys reden und sie fragen, ob er nicht dein Reittier werden kann. Schließlich musst du auch irgendwie selbstständig werden." überlegte Amaltheia laut und ich hüpfte vor Freude auf und ab. Der Hippocampus warf mir ein paar neugierige Blicke zu, um dann kopfschüttelnd zurück zu seiner Mutter zu gehen. "Wenn er dich als seine Reiterin akzeptiert, kannst du auch mich ihm eine solche Bindung eingehen." flüsterte die andere mir fast schon verschwörerisch ins Ohr und ich konnte es gar nicht erwarten, Itys Meinung zu hören. "Los komm schon!" trieb ich sie an und sie lachte schallend. "Ganz ruhig! Morgen hast du erst mal frei. In der Zeit versuche ich mit den beiden zu reden. Er wird es dir Montag schon selber sagen." ärgerte sie mich und ich schnaubte. "Oh ja. So gefällst du den Hippocampi ganz sicher. Hörst dich ja schon fast an wie sie." rief sie neckend, während sie nun schneller vor mir hertrieb, als wolle sie vor mir weglaufen. Konnte sie haben. Ich setzte zum Sprint an und folgte ihr lachend. Keuchend und schwitzend kamen wir im Haus an wo wir uns an den Tisch hievten und das Essen runterschlangen. "Ich wusste gar nicht, dass du auch mal erschöpft sein kannst." überlegte ich und Amaltheia kicherte schwach. "Ich bin vielleicht tot, aber noch menschlich genug. Deshalb kann ich genauso wie du lachen, weinen, schwitzen, frieren und alles mögliche. Manches mehr, manches weniger. Aber im Prinzip bin ich wie du." sagte sie und ich nahm es mit einem Nicken zur Kenntnis. Trotz einer kalten Dusche und frischen Sachen konnte ich mich nur noch ins Bett schleppen. Das war ein echt anstrengender, aber auch sehr schöner Tag gewesen. "So könnte es immer sein." schickte ich Amaltheia zu und nach wenigen Sekunden kam ein erschöpftes, aber glückliches, "Ouh ja."  zurück.

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