Kapitel 7

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Diegos Sicht

Nach dem Unterricht wartete ich noch auf Ludmila, die noch ihre Bücher aus dem Spind holen wollte. Wie jeden Tag wurden wir von einem Fahrer abgeholt, der pünktlich wie eh und je vor dem Studio stand. Ich lehnte mich an das Auto, während ich ungeduldig mit dem Fuß wippte. >>Da bin ich Bruderherz!<< hörte ich Ludmi schon von weitem rufen. Sie kam auf ihren hohen Schuhen zu mir hinübergestöckelt und ich umarmte sie. >>Na, Schwesterchen?<< sagte ich. Ich hielt ihr die Wagentür auf und sie stieg ein. Ich folgte ihr, nickte dem Fahrer kurz zu und er fuhr los. >>Mamá hat mir einen Nachricht geschrieben. Sie will uns heute mit auf diese Wohltätigkeitsveranstaltung mitnehmen. Sie hat dir ein Kleid aus Paris einfliegen lassen. Es ist maulbeerfarben. Keine Ahnung was das bedeutet, aber ich soll eine Krawatte tragen, die zu deinem Kleid passt. << Ludmi lachte. >>Keine Angst, ich such dir die passende Krawatte heraus.<< Erleichtert atmete ich aus. >>Gut, eine Sorge weniger.<< Ich betrachtete Ludmilas Gesicht. Sie wirkte irgendwie nachdenklich. So, als würde sie etwas wahnsinnig beschäftigen. >>Was ist denn los mit dir? Geht es immer noch um die Sache mit dem Neuen? Dass er dir gedroht hat?<< Ludmila nickte und zupfte nervös am Saum ihres Rockes. >>Ich will einfach nicht, dass du Schwierigkeiten bekommst. Dieser Italiener könnte echt gefährlich werden. Er mischt sich in Sachen ein, die ihn nichts angehen.<< Ich legte ihr einen Arm um die Schulter. >>Mach dir keinen Kopf. Leon und ich werden dafür sorgen, dass er lernt seine Grenzen einzuhalten. Spätestens in ein paar Tagen wird der Kerl vergessen haben, was er gesehen hat.<<

Unsere Villa war mit Abstand die größte in unserer Straße. Der Fahrer hielt um vor den Toren und sofort begannen sie sich zu öffnen. Wahrscheinlich hatte der Sicherheitsbeauftragte uns schon durch die Videoüberwachung kommen sehen und die Tore geöffnet. Als wir ausstiegen, knackste Ludmila mit dem Fuß um und schrie auf. Sofort sprintete ich zu ihr. >>Alles in Ordnung?<< fragte ich besorgt und stützte sie. Doch sie schob mich weg. >>Ja, nichts passiert. << wehrte sie ab. >>Tja, selber Schuld, wenn du diese Schuhe anziehst.<< witzelte ich. Unser Anwesen erstreckte sich über fast einen Hektar Land. Dazu gehörte das gigantische Haupthaus mit 14 Schlafzimmern, die separate Garage in der unter anderem auch die Oldtimersammlung unseres Vaters stand und dann gab es natürlich noch einen Pferdestall, den fünf Pferde ihr Zuhause nennen durften. Unsere Mutter ritt für ihr Leben gern, genauso, wie Ludmila. Doch seit Violetta im Studio aufgetaucht war und meine Schwester hart darum kämpfte, die beste zu sein und zu bleiben, hatte sie kaum noch Zeit zum Reiten. Als wir das Haupthaus betraten, roch es schon herrlich nach Schokoladenkuchen, den unsere Haushälterin Juanita heute Mittag gebacken hatte. >>Ruf mich, wenn du dich fertig machen willst, dann helfe ich dir.<< Und schon verschwand sie nach oben. Wahrscheinlich um Hausaufgaben zu machen oder für irgendeine Arbeit zu lernen, in der sie eh schon als Klassenbeste abschneiden wird. >>Diegito! Schön dich zu sehen.<< Juanita kam auf mich zugelaufen. >>Wo ist denn Señorita Ludmila? Es gibt gleich Mittagessen.<< Besorgt legte sich ihre Stirn in Falten. >>In ihrem Zimmer. Ich werde ihr später etwas zu Essen hoch bringen.<< Juanita nickte und lief dann wieder in Richtung Küche.<< Die Eingangshalle der Villa war groß und geräumig. Auf dem Kamin stand ein Bild von unserer Familie. Ludmila und ich posierten zusammen mit unseren Eltern. Die Aufnahme wirkte wie die Darstellung einer perfekten Familie. Der Mann hatte einen Arm um seine Ehefrau gelegt und die Kinder lachten fröhlich in die Kamera. Doch man sollte auf die Details achten. Denn die Wahrheit ist, dass die verbissene Mutter den Arm ihres Mannes um sich zog und in den Augen der Kinder Angst vor den harten Worten ihrer Mutter lag. Es hatte eine halbe Ewigkeit gedauert, ehe der Fotograph das perfekte Bild geschossen hatte.

>>Ludmi?<< Ich klopfte an ihre Zimmertür. In der Hand hielt ich ein Tablett auf dem ein dampfender Teller mit Spaghetti Arabiata und ein Glas mit frisch gepressten Orangensaft stand. >>Ja?<< Ich betrat den Raum und lächelte, als ich sah, wie meine Schwester vor dem Spiegel stand und das Kleid an sich drückte, dass ihr Mamá aus Paris hat einfliegen lassen. Wie sich herausstellte war maulbeerfarben ein dunkles rotviolett. >>Es sieht schön aus, oder?<< fragte Ludmi und legte dass Kleid langsam wieder in den rechteckigen, dunkelblauen Karton, der auf ihrem Himmelbett lag und mit Papier ausschraffiert  war. >>Ja, fabelhaft. Ich hab dir etwas zu Essen mitgebracht.<< sagte ich und stellte das Tablett auf ihren Schreibtisch ab. Das Zimmer meiner Schwester war ordentlich und ziemlich groß. Zwei Türen führten zu einem Bad und einem begehbaren Kleiderschrank, für den einige Mädchen hundertprozentig töten würden. >>Vielen Dank. Ich habe deinen dunkelgrauen Anzug auf dein Bett gelegt und daneben die maulbeerfarbene Krawatte, von der Mutter sprach. Sie hat mich eben noch einmal angerufen um zu sagen, dass wir in zwei Stunden abgeholt werden. Wir treffen uns dort mit ihr. Papá hat ein geschäftliches Treffen und kann deswegen nicht kommen.<< Ich nickte. >>Danke, dass du mir die Sachen herausgelegt hast. Ohne dich wäre ich so was von aufgeschmissen.<< Sie lachte. >>Ich weiß.<<

Auf die Minute genau hielt zwei Stunden später die Limousine vor unserer Villa, die unsere Mutter arrangiert hatte. Ludmila kam in dem bodenlangen Kleid, dass am Rock mit schwarzer Spitze bestick war, die Treppe herunter. >>Du siehst wunderschön aus, Schwesterherz.<< sagte ich. Gemeinsam liefen wir nach draußen. Die Sonne war gerade dabei unterzugehen und man konnte schon einzelne Sterne am Himmel erkennen.

Die Fahrt dauerte vielleicht eine halbe Stunde. >>Bist du nervös?<< fragte Ludmila grinsend, als sie bemerkte, wie ich mit den Fingerkuppen einen Rhythmus auf meine Knie trommelte. >>Natürlich nicht.<< streite ich ab, doch meine sie kennt mich einfach viel zu gut- immerhin ist sie meine Schwester. >>Ja, klar!<< lachte sie, nahm aber dennoch meine Hand, um mich zu beruhigen. Als die Tür der Limousine aufgehalten wurde, stieg Ludmila- elegant wie immer zuerst aus und zog mich dann an der Hand hinter sich her. Ein paar Fotographen und Reporter standen an dem ausgerollten, roten Teppich. Eine Frau mit Mikrophon kam auf uns zu und hielt uns ein Mikrophon zu, ein Kameramann folgte ihr. >>Ludmila Ferro? Wer hat Ihr Kleid entworfen?<< fragte sie und lächelte uns freundlich an. >>Lela Rose.<< antwortete Ludmila. >>Sie ist eine gute Freundin unserer Mutter und hat das Kleid extra für mich entworfen, als wir das letzte Mal in Paris waren.<< Zufrieden nickte die Reporterin. >>Es steht Ihnen fabelhaft.<< schleimte sie. >>Aber sagen Sie, warum sind Sie heute nur zu zweit gekommen?<< Ich kam Ludmila mit der Antwort zuvor. >>Sind wir nicht, unsere Mutter trifft sich hier mit uns.<< Ich wollte weitergehen, doch sie hielt uns zurück. >>Ein Moment bitte. Heißt das, Ihr Vater ist heute nicht hier? Das kommt in letzter Zeit öfters vor, dass sich ihre Eltern in der Öffentlichkeit nur einzeln zeigen. Gibt es da etwas eine Ehekrise, von der wir nichts wissen sollen?<< Sie musterte uns aufmerksam mit ihren grauen Augen. >>>Kein Kommentar.<< Und schon hatte ich Ludmila zum Eingang der großen Galahalle gezogen. >>Diese Frau ist doch verrückt! Unsere Eltern haben doch keine Ehekrise, nur weil Papá einen Geschäftstermin hat!<< schimpfte Ludmi, als wir uns an all den High Society Tussen und ihren reichen Ehemännern vorbei gedrängt und im Lounge Bereich Platz genommen hatten. Schuldgefühle überkamen mich. Ich hatte Ludmila nie von jene Nacht erzählt, als ich von lautem Geschrei wach geworden war. Ich hatte mich aus meinem Zimmer geschlichen und auf der Treppe gesessen, um zu hören, worüber unsere Eltern so lautstark diskutierten. >>Du Schlampe!<< hatte mein Vater geschrien. >>Ich weiß, dass du mich mit ihm betrügst! Schon immer habe ich es gewusst!<< Meine Mutter hatte nicht geantwortet, also kam mein Vater die Treppe hoch gerannt. Schnell war ich wieder in meinem Zimmer verschwunden. >>Oder?<< Ludmila sah mich entsetzt an. >>Nein, natürlich haben sie keine Ehekrise.<< sagte ich schnell und hoffte, dass Ludmila mir nicht ansehen würde, wie viel Angst ich vor der Wahrheit hatte.


Fedemila und Diecesca- Mit dir oder ohne dich?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt