Isabella hatte aufgehört, die Stücke zu zählen. Sie tanzten sicher schon seit Stunden miteinander. Hie und da streifte ihr Blick den ihrer Mutter oder den von Giulia. Beide grinsten sie aufgeregt an. Die Adelstochter verdrehte die Augen und ein spitzbübisches Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. "Was gibt's denn? Habe ich was verpasst?", fragte Elouise, die offenbar einen ganz passablen Mann abgab. Isabella lachte. "Die Blicke meiner Mutter sprechen Bände."
"So? Was sagen sie denn?", fragte die Andere durch ihre Maske. Isabella lachte wieder."Oh. Bella, Schatz. Wie schön, dass du endlich erwachsen wirst und dich für die Männer zu interessieren beginnst", äffte sie ihre Mutter nach. Ein Schmunzeln drang durch die schwarz-weiße Maske. "Kommt mir irgendwie bekannt vor. Hat sich irgendein Schalter umgelegt, seit wir 14 sind?", fragte die Maskierte. Die Andere stieß geräuschvoll die Luft aus. "Augenscheinlich. Giulia meinte auch zu mir, man würde mir endlich ansehen, dass ich eine Frau bin. Ich hätte mich auch einfach als Mann verkleiden sollen." Isabella wartete auf das wohlklingende Lachen ihrer Freundin, doch blieb es aus. Sie sah tief in die bernsteinfarbenen Augen, in denen sie sich schon so oft verloren hatte.
Ein Lächeln umspielte sie, das konnte die Adelstochter auch durch die Maske erkennen, aber so richtig wurden ihre Augen nicht davon erreicht. Isabella lachte ihre Verwirrung weg. "Hättest du das getan, wäre heute Nacht allen ein atemberaubender Anblick entgangen." Und ihr Lachen erstarb sofort wieder. Elouise Stimme klang ruhig, beinah leise, wie aus weiter Entfernung. Der Blondschopf kam nicht umhin, schamhaft dem Blick der Anderen zu entfliehen, während sich eine zarte Röte auf ihre Wangen schlich.
Was war das denn jetzt?
Lag es daran, dass Elouise wie ein Mann gekleidet war?Plötzlich spürte sie die Hände der Anderen ganz deutlich und bewusst an ihrer Taille. Vorher war jede Berührung selbstverständlich gewesen, kein Blick zu viel. Isabellas Herz schlug schneller und ihr Bauch zog sich merklich zusammen. Nun lachte die Maskierte doch noch. "Seit wann kannst du mit Komplimenten nicht mehr umgehen, Bella?" Die Angesprochene hörte kaum hin. Sie fühlte sich auf einmal merkwürdig ertappt und unwohl. Sah der Anderen direkt in die Augen, um ihrer folgenden Aussage den nötigen, bittenden Nachdruck zu verleihen. "Ich will hier weg, Louis." Elouise wusste, was das hieß und so nickte sie nur. Dieser Punkt kam irgendwann immer, an dem es dem Blondschopf auf der Feier zuwider wurde und sie sich in ihre Zweisamkeit flüchtete.
Die Maskierte verbeugte sich ganz leicht, bevor sie auf dem Absatz umdrehte und davon schritt.
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Maskenball
Historical FictionElousie reist seit ihrer frühesten Kindheit jedes Jahr mit ihren Eltern nach Venedig. Bei ihrem ersten Besuch in der Stadt der Kanäle lernte sie Isabella kennen, deren Eltern immer zu dieser Zeit einen weit bekannten Maskenball veranstalten. Die bei...