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  "Darf ich dieses Jahr mit auf den Ball, Maman?", fragte Elouise ihre Mutter. Sie wurden teilweise mächtig durchgeschüttelt in ihrer Kutsche, aber das war das Mädchen mittlerweile gewohnt. Sie reisten viel und vorallem lange.
Diese Reise war allerdings mit Abstand ihre Liebste. Endlich würde sie Bella wieder sehen. Seit fünf Jahren kamen sie nun zu den Feierlichkeiten rund um den Maskenball der Familie Grimaldi. Obwohl es immer ein ganzes Jahr brauchte, bis die beiden Mädchen sich wieder sahen, war es stets wie nach Hause kommen für die Tochter eines reichen Geschäftsmannes.

In ihrem eigenen Haus in Südfrankreich wartete rein gar nichts auf sie. Mit ihren Eltern war sie eh mehr auf Reisen als zu Hause. Hier war das ganz anders. Draußen erspähte sie schon die markanten Gebäude, die in Prunk und Architektur ihresgleichen suchten. Der eigenwillige Duft der Kanäle stieg ihr in die Nase und die Sonne fiel warm durch das Fenster der Kutsche. Ihre Mutter lächelte milde. "Nächstes Jahr, Cherie." Elouise verschränkte die Arme vor der Brust und zog eine Schnute. "Tröste dich, Ma Petite. Soweit ich weiß, darf die junge Grimaldi auch erst nächstes Jahr an den Festlichkeiten teilnehmen”, versuchte ihr Vater sein Glück. Er strich seiner Tochter sanft über die hellbraunen Haare und ihr Widerstand war rasch gebrochen. Sie liebte ihre Eltern sehr, wenn auch sie ihr dieses Leben voller Entbehrungen aufdrängten. Sie schenkte ihm das Lächeln, das er so an ihr liebte, und sank zurück in ihren Sitz.

Im Laufe der Jahre war die Freundschaft der Mädchen auch bei ihren Eltern nicht unbemerkt geblieben und so war es Elouise erlaubt worden, während ihres Aufenthaltes im Zimmer von Isabella zu übernachten. Ein Lächeln zierte die rosigen Lippen und voller Vorfreude schaute sie hinaus zum Fenster. Die Sonne ging bereits unter und tauchte die Stadt in die schönsten Farben.
Ein Ruf zog ihre Aufmerksamkeit auf sich und sie schaute sich um, entdeckte jedoch nichts. "Louis!" Jetzt war es ganz deutlich. Das war Isabella, aber wo war sie? Elouise konnte sie nirgends ausmachen. Ein unverkennbares Lachen erklang.

"Louis!" Plötzlich eine Hand am Fensterrahmen, gefolgt von dem gold umrahmten Gesicht. Ein spitzbübisches Grinsen zierte die vollen Lippen von Isabella. "Kind, was tust du denn da?", stieß Elouise' Mutter hervor. "Euch begrüßen, so früh wie möglich. Schließlich muss ich immer ein ganzes Jahr warten." Die Frau schüttelte lächelnd den Kopf und deutete ihrem Mann, die Kleine herein zu lassen, bevor sie sich noch den Hals brach. "Sie nennen dich nicht umsonst Wirbelwind, Kind”, schmunzelte er, während er die Türe öffnete, und den Blondschopf galant hinein geleitete.
Drinnen wurde sie ad hoc von Elouise in die Arme geschlossen und so verblieben sie eine ganze Weile, die Nähe der anderen genießend. "Ich hab dich so vermisst, Bella." Die Angesprochene grinste breit und kratzte sich verlegen am Nacken. "Meine Aktion gerade spricht ja wohl mehr als tausend Worte, oder?" Die drei Maronnes lachten herzhaft.
Isabella wusste einfach, wie sie jedem ein Lächeln ins Gesicht zaubern konnte.

Als sie schließlich angekommen waren, trennten sich die Eltern von den Mädchen. Sie mussten sich noch auf den Ball vorbereiten.
Isabellas Zimmer hatte sich nicht verändert. Gold im Überfluss. Selbst die Pfosten ihres Himmelbettes waren vergoldet. In dem Moment kam auch schon Giulia rein gestürmt. "Ah, Señorita Maronne. Schön dich wieder zu sehen. Dieses Jahr ein eigenes Bett oder teilt ihr euch wieder das von Isabella?" Die Adelstochter, die sich gerade auf eines der Sofas gelümmelt hatte, nahm Elouise die Entscheidung ab.

"Geh raus, Giulia. Wenn sie nicht in meinem Bett schlafen will, werde ich ihr schon selbst ein Anderes bereiten. Ansonsten weißt du es als Erste." Die Ältere schüttelte missbilligend mit dem Kopf, lächelte jedoch. "Hunger?", fügte sie im Gehen aber noch hinzu. "Giulia, raus jetzt!", brüllte das blonde Mädchen fast. Die Bedienstete musste lachen, während sie die Tür hinter sich ins Schloss fallen ließ. Elouise kam nicht umhin, ebenfalls zu lachen. So kannte sie Isabella. Rebellisch und direkt, immer mit dem großen Zeh über der Grenze. Eine Eigenschaft, die sie bewunderte. Beizeiten sogar beneidete, aber sie selbst war da nunmal wesentlich ruhigeren Gemüts.

"Und hast du?", fragte der Blondschopf.
"Was denn?"
"Na, Hunger?" Das Lächeln von Isabella hatte sich in den Jahren nicht im geringsten geändert. Noch immer brachte es jeden Entschluss in Elouise zum Wanken und ihr schwante schon, was da gleich kommen würde. "Schon, ja", antwortete sie wahrheitsgemäß. "Dann zieh dich um!", befahl das blonde Mädchen und öffnete ihre Schranktüren. Sie war ihren Prinzipien treu geblieben. Trug auch jetzt eine braune, kurze Hose und ein oranges Hemd, mehr nicht. Nicht mal Schuhe. Ihre Haare waren zwar länger geworden, nachdem Isabellas Mutter sich durchgesetzt hatte, dafür waren sie stets zu einem Zopf geflochten.

An dieser Stelle diskutierte Elouise schon gar nicht mehr. Stattdessen trat sie neben ihre Freundin und begutachtete den Inhalt des Schrankes. Sie ließ sich Zeit. Pure Absicht. Bald würde Isabella ihre Geduld verlieren und das gefiel der Brünetten aus mehreren Gründen. Einerseits vergnügte es sie einfach unheimlich, sobald der Blondschopf aus der Haut fuhr. Dabei kräuselten sich ihre Lippen immer auf diese ganz niedliche Weise. Andererseits würde es sie dazu bringen, die Kleidung selbst auszusuchen und Elouise einfach in die Hand zu drücken. Diese fühlte sich nämlich recht unwohl dabei, in einem anderen Schrank herum zu wühlen. Und so kam es, wie es kommen musste.

"Louis! Immer dasselbe mit dir. Was stierst du denn so rum? Nun nimm dir eine Hose und ein Hemd und dann lass uns los. Ich hab neulich ein neues Restaurant entdeckt. Es ist aber am anderen Ende der Stadt. Wir werden brauchen, bis wir dort ankommen." Elouise hatte sie mit Freuden aus dem Augenwinkel beobachtet und musste sich hart zur Ruhe rufen, um nicht los zu kichern. "Ja, Bella. Ich weiß, aber du hast so viele Sachen. Ich kann mich einfach nicht entscheiden." Die Adelstochter rollte deutlich mit den Augen und stieß laut die Luft aus.

"Fein. Hier nimm die und...ehhhh das hier." Wie erhofft, drückte sie der Anderen eine Hose und ein Hemd in die Hand. Und wie immer viel farbenfroher als das, was sie selbst am liebsten trug.
Elouise lächelte dankbar und entledigte sich eilig ihres hellblauen Kleides, griff sich die grüne Hose und das gelbe, ärmellose Hemd und streifte sie über. "Endlich. Nun komm schon!", befahl der Blondschopf und zerrte sogleich an Elouise' Handgelenk. Durch das Fenster stiegen die Beiden hinaus. Ein altbekannter Weg, bis hin zu dem Baum, der über die Mauer führte.

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