Die Bediensteten der Grimaldis registrierten nur unterbewusst, dass die junge Dame und das junge Fräulein dieses Jahr ungewöhnlich wenig im Garten vorzufinden waren und das, obwohl Señorita Elouise einige Tage länger als sonst blieb. Wie sollten sie auch ahnen, was im Zimmer der jungen Dame Unschickliches vor sich ging?
Für die beiden heranwachsenden Frauen waren die folgenden Tage die Schönsten ihres Lebens und nur schweren Herzens konnten sie sich am Ende voneinander trennen.
Dennoch zierte ein seichtes Lächeln die Lippen von Isabella, als sie zum wiederholten Male mit den Fingern darüber fuhr und Elouise Kutsche dabei zusah, wie sie langsam aus ihrer Sicht verschwand.Schweigend betrachtete die junge Frau den Schnee, der wie in Zeitlupe an dem Fenster, an dem ihr Schreibtisch stand, vorbei fiel. Sie legte ihren Federkiel zur Seite und bettete das Gesicht in ihre Hände. Es war der erste Schnee und auch wenn er ihr ins Gedächtnis rief, dass die Zeit immer vorwärts lief, war es doch ein Trugschluss. Der erste Schnee kam dieses Jahr äußerst früh. Es war noch nicht einmal fünf Monate her, seit sie Venedig das letzte Mal verlassen hatte. Und obwohl sie ihren Wildfang nun nicht mehr so schmerzlich vermisste wie die Jahre zuvor, verging die Zeit einfach viel zu langsam.
Oft saß sie hier am Fenster, über ihre Studien gebeugt, und starrte hinaus, bis ihr Blick unscharf wurde und sie ihr Spiegelbild betrachtete. So auch jetzt. Dann fuhr sie mit den Fingerspitzen über ihre Lippen, wie sie es so oft bei Isabella gesehen hatte, nachdem die entscheidenden Worte endlich ausgesprochen waren. Sie suchte nach dem süßen Geschmack, den die liebevollen Küsse hinterlassen hatten. Und wenn die Erinnerung sie dann anheim suchte, glitt ein verräterisches Lächeln über ihre Lippen.
"CHERIE!", rief ihre Mutter von unten. "Ja, Maman?"
"Dein Vater kehrt zurück." Das musste sie ihr nicht zweimal sagen. Elouise sprang auf, klappte ihre Bücher zu und stürmte die Treppen hinunter, um ihren Vater zu begrüßen.
Unten angekommen sprang sogleich die Türe auf und ihr Vater trat ein. Die junge Frau stürmte ihm direkt in die Arme. "Papa, ich habe dich so vermisst. Wie schön, dass du wieder da bist." Der Mann lachte und strich seiner Tochter beschwichtigend über den Kopf.
"Ich habe große Neuigkeiten mitgebracht", erklärte er freudestrahlend.Doch je mehr er von seinem Besuch bei seinem spanischen Geschäftspartner erzählte, umso unglücklichere Züge nahm das junge Gesicht seiner Tochter an. Ernüchterung machte sich breit. "Wann?", fragte sie tonlos, nachdem er geendet hatte. Er lächelte schief. Offenbar hatte er mehr Freude von seiner Kleinen erwartet.
"Wenn die Winde mit uns sind, sind wir nächstes Jahr um diese Zeit bereits in der neuen Welt." Ihre Kiefer zuckten, als sie die Zähne aufeinander biss."Was hast du denn, Cherie?", fragte ihre Mutter besorgt. Doch Elouise wollte ganz bestimmt nicht darüber reden, warum ihr diese Neuigkeit mehr als nur missfiel. Sie brauchte auch keine Erklärungen. Ihr war schon klar, dass ein gewaltiger Batzen Geld winken musste, damit ihr Vater sich dazu entschloss, sein geliebtes Frankreich für immer zu verlassen. "Werden wir es noch ein letztes Mal zum Maskenball der Grimaldis schaffen?" Sie starrte reglos auf den Esstisch, an dem die kleine Familie mittlerweile Platz genommen hatte.
Weder wollte sie das Kopfschütteln ihres Vaters, noch das verständnisvolle, schiefe Lächeln ihrer Mutter sehen. Als hätten sie auch nur einen blassen Schimmer. "Geplant ist es nicht, Kleines", sagte er bemüht mitfühlend. Diesen Unterton konnte er sich sparen. Elouise wusste sehr genau, dass ihr Vater keinen Sinn für diese Bälle hatte. Ohne das Zutun ihrer Mutter, die es immer vermochte, einen lukrativen Termin in der Nähe zu finden, wären sie wohl schon lange nicht mehr nach Venedig gereist.
Der altbekannte Schmerz drohte, sie zu ersticken und bevor er sie übermannen konnte, entschied sie sich, hoch auf ihr Zimmer zu stürmen. Der traurige Blick ihrer Mutter verfolgte sie, bis sie außer Sicht war.
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Maskenball
Historical FictionElousie reist seit ihrer frühesten Kindheit jedes Jahr mit ihren Eltern nach Venedig. Bei ihrem ersten Besuch in der Stadt der Kanäle lernte sie Isabella kennen, deren Eltern immer zu dieser Zeit einen weit bekannten Maskenball veranstalten. Die bei...