Eigentlich war Geduld nicht ihre Stärke, aber Elouise' Worte wogen zu schwer. Hie und da wurden sie von einem sanften Lächeln begleitet, doch das vorherrschende Gefühl, das sie übertrugen, war tiefe Sehnsucht. Währenddessen war der Kloß in ihrem Hals übermächtig geworden und auch als ihre Freundin schließlich zum Ende gekommen war, war es ihr nicht möglich, ihre eigenen Gefühle weiter hinten an zu stellen.
Isabella erinnerte sich nur schemenhaft an diesen Kuss im Baum. Der Schlaf war noch zu gegenwärtig gewesen. Gedankenverloren strich sie sich erneut mit den Fingerspitzen über die Lippen. Suchte nach Spuren, die er hinterlassen hatte. Ein leises Schmunzeln riss sie aus ihren Überlegungen."Ich sagte doch, vergiss es”, erklang die melodische Stimme der Brünetten. Vergessen?
Nein.
Wie sollte sie?
Jetzt, da sie wusste, dass die Andere dasselbe durchgemacht hatte, wie sie es in diesem Moment tat.
Jetzt, da sie wusste, wie ihre Gefühle zu deuten waren.
"Warum hast du nie etwas gesagt?", fragte Isabella. Wieder ein leises Schmunzeln. Elouise brach den Augenkontakt ab. Ihr Gesicht verzog sich leicht."Mir war doch die ganze Zeit selbst nicht klar, was mit mir nicht stimmt. Und sobald ich bei dir war, ging’s mir ja wieder prächtig. Als mir letztes Jahr klar wurde, dass es..." Sie unterbrach sich. Atmete einige Male tief durch, bevor sie leiser als zuvor fortfuhr: "Als mir klar wurde, dass es Liebe ist, war ich selbst zu erschrocken von dieser Erkenntnis." Diese Wahrheit nun ausgesprochen zu hören, sorgte dafür, dass sich auch Isabellas Herz schmerzhaft zusammen zog. Und sie musste abermals schlucken, um ihrer ausgetrockneten Kehle weitere Worte zu entlocken.
"Und was wolltest du dieses Jahr mit der neu gewonnenen Erkenntnis anstellen?" Elouise fuhr herum. Das Gesicht nun deutlich gezeichnet von dem Schmerz, der die Sehnsucht vor allem im letzten Jahr mit sich brachte. "Damit anstellen? Gar nichts! Was denkst du denn? Dass ich dir davon erzähle? Meiner besten Freundin! Obwohl es doch um dich geht? Dich da mit rein ziehe? Womöglich unsere Freundschaft aufs Spiel setze? Niemals! Ich entschloss, damit zu leben. Glücklich zu sein, über jeden Tag, den ich mit dir verbringen darf. Und dieses Jahr war alles etwas leichter. Wer hätte das gedacht?"
Wieder unterbrach sie sich. Ballte die Hände zu Fäusten und sog scharf die Luft ein. "Aber dann las ich auf einmal all das in deinen Augen, was mich selbst so lange beschäftigt hatte und schon ist die Leichtigkeit dahin." Diese Worte pressten sich erneut hart in Isabellas Verstand und die Erkenntnis, die ihr eben noch so detailliert beschrieben wurde, brannte sich ein. Ohne weiter darüber nachzudenken, schloss sie Elouise sanft in ihre Arme und flüsterte ihr leise zu: "Du hast recht. Ich liebe dich auch, Louis."
Sie spürte, wie der Körper in ihren Armen erst erstarrte, nur um Herzschläge später zu erschlaffen und jegliche Anspannung von sich zu stoßen. Elouise Tränen zerbarsten auf der Schulter von Isabella und ihr Körper begann zu beben. Sanft zog sie die Brünette mit sich auf die Bank, bevor sie auf die Knie sacken konnte und legte Elouise' schwarze Jacke über sie beide. "Bella ...", schluchzte Elouise. Der Blondschopf drückte ihre Freundin fest an sich und spürte dabei jede Unebenheit, die Elouise als Frau aufwies. Und auch wenn sie es unpassend fand, spürte sie den aufkeimenden Drang, den die Andere Augenblicke vorher beschrieben hatte.
Sie wollte ihre Kindheitsfreundin berühren und ja, sie wollte sie unbedingt küssen. Ihre Hand, die noch eben beschwichtigend auf dem Oberschenkel der Brünetten ruhte, strich nun vorsichtig auf und ab. Isabellas Griff um Elouise Schulter wurde fester und unnachgiebig.
Offenbar spürte Elouise diese Veränderung, denn ihr Schluchzen erstarb und sie sah auf in die dunkelblauen Augen. Eine fragende Überraschung lag in den Bernsteinfarbenen und sie wollte gerade anfangen zu sprechen, doch Isabella ließ sie nicht. Zärtlich legte sie erst ihren Zeigefinger auf die zartrosanen Lippen und löste ihn schließlich durch ihre eigenen ab.Elouise wusste offenbar nicht, wie ihr geschah und erst als sich die freie Hand der Adelstochter sanft auf ihre Hüfte legte und sie leicht daran noch näher zog, war sie in der Lage, sich auf diesen Kuss einzulassen.
Isabella fing augenblicklich Feuer. Dies hatte nichts mit den Küssen gemein, die sie vorher ausgetauscht hatten. Sie spürte Elouise Sehnsucht durch ihre hungrigen Lippen, die sie wohl nie wieder loslassen wollten.
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Maskenball
Historical FictionElousie reist seit ihrer frühesten Kindheit jedes Jahr mit ihren Eltern nach Venedig. Bei ihrem ersten Besuch in der Stadt der Kanäle lernte sie Isabella kennen, deren Eltern immer zu dieser Zeit einen weit bekannten Maskenball veranstalten. Die bei...