Obwohl die Sonne schon lange untergegangen war, war ihr noch immer heiß. Die kühle Nachtluft besänftigte zwar ein wenig ihren aufgewühlten Gemütszustand, aber sie glühte noch immer. Ein dünner Film Schweiß sammelte such auf ihrer Stirn. Dieses blöde Kleid war schuld daran. Samt Unterkleid war es einfach unerträglich. Wie hielten andere Frauen es nur aus so etwas jeden Tag zu tragen?
Isabella rief sich abermals zur Ruhe. So konnte es nicht weitergehen.
Was war denn plötzlich in sie gefahren?Der Blondschopf riss sich die weiße Maske vom Gesicht und schaute hinauf zum Himmelszelt. Der Mond hatte schon immer etwas Beschwichtigendes. Etwas Tröstendes. Immer wenn sie Elouise vermisste und zum Mond schaute, war ihr das Herz nicht mehr ganz so schwer.
Eine vertraute Stimme erklang. Dennoch wagte sie es nicht, ihren Blick von dem silbernen Himmelskörper abzuwenden. "Guten Abend, meine Teure. Wie ist es möglich, dass so eine Schönheit ganz allein hier draußen ist, während da drinnen die Feier tobt?"Schon wieder solche Worte. Der Unterton war zwar ein ganz Anderer und ließ auf eine harmlose Neckerei schließen, dennoch zog sich ihr Magen bei solchen Worten aus Elouise' Mund irgendwie zusammen. Aus dem Augenwinkel erkannte sie ihren Baum. Ihren Fluchtweg. Und sie ließ ihren Blick daran hinab gleiten. Viel Zeit blieb nicht mehr um zu antworten. Die Brünette würde bald merken, dass etwas mit ihr nicht stimmte und was würde sie ihr dann antworten?
Die Maskierte, die im blassen Mondlicht noch weniger als Frau zu erkennen war, kam schließlich bei ihr an. Isabella biss die Zähne hart zusammen und drehte sich zu ihr. Mit ihrer Rechten fuhr sie hinauf um den Hals der Anderen und öffnete vorsichtig die Schlaufe, die die Maske am Hinterkopf zusammen hielt. Sie fiel ins dunkelgrüne Gras, dicht zu Isabellas Schwanenmaske, und keine der Beiden machte Anstalten, sie aufzuheben. "Vielleicht hatte ich genug von dem Spiel da drinnen und wollte hinter die Maske sehen."
Isabelles Gesicht war angespannt. Konzentriert, beinah angestrengt, starrte sie in das der Anderen. Wollte keine Regung verpassen. Jede Veränderung wahrnehmen. Auch Elouise war plötzlich kein Kind mehr. Ihr Gesicht hatte jegliche Rundlichkeit verloren. Ihre bernsteinfarbenen Augen waren scharf und eindringlich auf sie gerichtet. Diese kindliche Leichtigkeit schienen sie gänzlich verloren zu haben. "Und? Bist du enttäuscht?" Der Ausdruck auf dem Gesicht der Brünetten hatte sich rapide verändert. Mit einer Mischung aus Überzeugung und Hoffnung schaute sie Isabella entgegen und wartete auf ihre Antwort. Allmählich beruhigte sich ihr Herzschlag und blieb bei einem, noch immer ungewöhnlich schnellen, aber steten Takt.
"Wie könnte ich enttäuscht sein? Immerhin habe ich wieder ein Jahr auf dich gewartet. Ich habe dich unglaublich vermisst, Louis." Auf den blassrosanen Lippen bildete sich ein breites Lächeln und ohne Vorwarnung überwand Elouise den winzigen Abstand zwischen ihnen und schloss ihre Freundin fest in die Arme. "Ich dich auch. Du weißt gar nicht wie sehr, Bella." Der Blondschopf brauchte einige Herzschläge, bis sie die Umarmung erwidern konnte. "Stimmt etwas nicht mit dir? Ist im letzten Jahr etwas Schlimmes passiert?" Die Adelstochter verstand die Frage nicht und stieß sich sanft zurück, um in die bernsteinfarbenen Augen zu blicken und dort eine Antwort zu finden.
Elouise Blick war undeutbar. Als spielten sich hunderte Gefühle gleichzeitig in ihr ab. Ihre Rechte legte sich sanft auf Isabellas Wange und strich mit dem Daumen unter ihrem Auge entlang. Erst da fiel dem Blondschopf auf, dass sie tatsächlich weinte. Erschrocken riss sie die Augen auf, doch Elouise schüttelte beschwichtigend mit dem Kopf und bedeutete ihr so, sich zu beruhigen. Der Druck mit dem Daumen auf Isabellas Wange nahm leicht zu und auch der Griff um ihre Taille festigte sich etwas. Elouise sagte nichts, wie so oft war sie in der Lage, nur mit Gesten ein Gefühl der Geborgenheit zu vermitteln, das die Adelstochter bei niemand Anderem fand. Sie gab Isabella einfach die Zeit, die sie brauchte. Diese überlegte. Fieberhaft.
Was war nur in sie gefahren? Diese ganzen wirren Gefühle und nun weinte sie, obwohl sie doch glücklich sein müsste, dass die Andere wieder bei ihr war.
Sie atmete tief durch. Überlegte. Gab es womöglich wirklich etwas, das ihr so sehr aufs Gemüt geschlagen hatte?
War jemand gestorben? Blödsinn.
Was dachte sie da nur?
Niemand war verstorben und sie war weit entfernt davon, unglücklich zu sein. Sie hatte liebevolle Eltern, die ihr jede Freiheit gaben. Isabella bildete sich wahrlich nicht ein, dass sie nichts von ihre Eskapaden und Streifzügen wussten. Doch sie ließen sie gewähren."Ich weiß es nicht. Es ist nichts passiert." Elouise lachte leise, doch auf Isabellas Gesicht musste noch immer die Verwirrung abzulesen sein. Sie sah ihr tief in die dunkelblauen Augen. "Vielleicht freust du dich einfach so sehr, mich zu sehen? Menschen weinen wohl durchaus auch vor Freude. Hat mir meine Mutter zumindest mal erzählt”, versuchte sich die Brünette an einem Scherz und wandte den Blick ab. Sie ließ ihre Rechte von Isabellas Wange streifen und irgendwie vermisste der Blondschopf die Berührung sogleich. Die Hand gesellte sich jedoch zu ihrer Linken an der Hüfte der jungen Adligen, bevor sie laut weiter überlegte.
"Was ich da gesagt habe, war aber auch ziemlich rührselig. Vielleicht liegt es auch daran? Ach, was weiß ich?" Sie lachte, sichtlich nervöser als zuvor, und fuhr sich mit der Rechten durch die hellbraunen Haare. Der Blondschopf kam nicht umhin, sich von ihrem Lachen anstecken zu lassen und es ließ sie ihre merkwürdigen Gedanken vorerst vergessen. Vermutlich hatte Elouise sowieso recht und sie war einfach nur glücklich, sie wieder zu sehen.
"Wollen wir dann?", fragte die Brünette schließlich und nickte zum Baum. "Ich weiß nicht. Ich hab doch noch mein Kleid an." Erneut erklang das melodische Lachen der Anderen. "Das hat mich damals auch nicht aufgehalten", meinte sie mit einem verführerischem Zwinkern.
Moment. Verführerisch?Was dachte sie denn da?
Isabella schüttelte unmerklich den Kopf und versuchte sich ihrer wirren Gedanken zu entledigen."Wir können ja tauschen", überspielte sie frech ihre Verwirrung und ließ ihren Blick an der Anderen rauf und runter gleiten. Elouise grinste keck. "Heute nicht, Bella. Heute bist du die Prinzessin." Wieder zwinkerte sie, griff nach dem höchsten Ast, den sie erreichen konnte, und zog sich hinauf.
"Na komm, Bella."
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Maskenball
Historical FictionElousie reist seit ihrer frühesten Kindheit jedes Jahr mit ihren Eltern nach Venedig. Bei ihrem ersten Besuch in der Stadt der Kanäle lernte sie Isabella kennen, deren Eltern immer zu dieser Zeit einen weit bekannten Maskenball veranstalten. Die bei...