"Na komm, Louis. Die Zeit rennt”, erklärte der Wildfang grinsend und griff sofort wieder nach ihrem Handgelenk, sobald sie festen Boden unter den Füßen spürte. "Hier lang!", presste sie ihr aufgeregt entgegen und zog sie mit sich.
Die Stadt war zu dieser Zeit wahrlich eine Augenweide. Die mittlerweile untergegangene Sonne hinterließ nun dunkle Orangetöne, die hie und da sogar bis ins Lilane gingen. Zwischen den Häusern waren Leinen gespannt, an denen Lampions in allen Farben leuchteten. Die Straßen waren belebt zu dieser Zeit, die Temperaturen milde und der Geldbeutel saß locker.Immer wieder sprangen sie in Gondeln, um den Weg etwas abzukürzen. Dabei hatte jeder Gondolieré ein freundliches Lächeln auf den Lippen, denn sie alle kannten und mochten Isabella.
Als die Sonne den Himmel kaum noch verfärbte, erreichten sie endlich ihr Ziel. Ein kleines Eiland, auf dem nur ein Haus stand. Dahinter ein Kräutergarten und eine einzige Bank.Die Adelstochter zerrte ihre Freundin hinein. Das Lokal war nicht besonders groß, was man von außen schon erahnen konnte. Nur die Küche war ein wenig abgegrenzt, ansonsten gab es keine anderen Räumlichkeiten. Elouise zählte 20, vielleicht 22 Tische, aber es war rustikal und hübsch eingerichtet. Nur wenige Kerzenleuchter an Wänden und Tischen beleuchteten den Raum. Gaben ihm eine intime Atmosphäre. "Isabella, Kind! Weißt du, wie spät es ist? Schau nur raus! Es ist schon dunkel." Eine kleine, runde Schwarzhaarige war an die Beiden herangetreten und wollte sie schon wieder hinausschieben.
"Bitte, Valentina. Das ist Elouise. Ich hab dir doch erzählt, dass sie nur ein Mal im Jahr kommt und da muss ich ihr doch das beste Lokal in ganz Venedig zeigen." Innerlich musste die Brünette lachen. Wenn ihr Dickschädel nicht weiter kam, nutzte der blonde Wildfang ihren unvergleichlichen Charme. Sie hatte dieses Talent dafür, dass es nie aufgesetzt klang. Und auch bei der runden Wirtin verfehlte die Schmeichelei nicht ihr Ziel. "Na gut, na gut. Kommt! Da hinten ist noch ein Tisch für Zwei." Seichte Musik drang an Elouise Ohren, doch einen Musikanten konnte sie hier merkwürdigerweise nirgendwo ausmachen. Kam die Musik von draußen?
"Also, was kann ich euch bringen?" Als Elouise zurück zu Isabella schaute, erspähte sie schon einen gefährlichen Funken in den dunklen, blauen Augen und ihr schwante mal wieder Böses. "Zwei Gläser Rotwein, Valentina. Und das, was noch da ist, zu essen." Die Alte machte große Augen. "Sag mal! Wie alt seid ihr überhaupt?", fragte sie pikiert. Elouise wäre beinah mit einer ehrlichen “neun” heraus geplatzt, doch sie biss sich stattdessen auf die Unterlippe. "Alt genug", antworte der Blondschopf nur und ließ ihren Geldbeutel laut scheppernd auf den Tisch knallen.
"Schon gut. Ich schau mal, was noch da ist." Als Valentina außer Sicht verschwand, schüttelte Elouise nur mit dem Kopf. Sie hatte selbst auch schon einmal Wein getrunken und auch, wenn er ihr nicht sonderlich gut schmeckte, musste sie zugeben, dass die Wirkung Spaß machte. In diesem Moment verfluchte sie die Tatsache, dass sie sich alles erzählten. Dennoch sagte sie: "Du weißt, wie alt wir sind, Bella?" Die Angesprochene grinste nur spitzbübisch. "Tu nicht so heilig, Louis. Ich weiß genau, dass du auch Lust darauf hast." Sie gluckste nur wissend.
Die Alte brachte ihnen schließlich zwei Gläser und Teller.
Nachdem sie aufgegessen hatten, bezahlte Isabella die gutherzige Frau überschwänglich und ließ sich noch zwei Gläser mitgeben. "Komm mit! Wenn das Wetter uns nicht im Stich lässt, sollten wir einen fantastischen Blick auf die Sterne werfen können." Irritiert und schon leicht benommen folgte Elouise der Aufforderung. Durch die Küche traten sie hinaus in die kühle Nachtluft. Begierig sog die Brünette diese in sich auf und ließ sich von Isabella durch den Kräutergarten zu der kleinen Bank führen.Als sie Beide Platz genommen hatten, reichte der Blondschopf ihr ein Glas und hielt ihr das Eigene zum Anstoßen entgegen. "Schau hoch!", forderte sie sanft und Elouise kam dem, ohne zu zögern, nach. Isabella hatte wie immer nicht zu viel versprochen. Von hier aus schien das Sternenzelt anders auszusehen. Die Sterne strahlten heller. Die Bilder, die sie zeichneten, waren klarer zu erkennen. Noch faszinierender als von jeder anderen Stelle der Welt, dachte sich die Brünette.
Es dauerte lange, bis sie sich von dem Anblick losreißen konnte und schließlich in das dunkle Blau der Anderen schaute. Es übte mit Sicherheit eine genauso große Faszinationen aus wie das gleichfarbige Sternenzelt. "Wirklich wundervoll. Danke, Bella." Die Adelstochter grinste glücklich und hielt ihr Glas noch etwas höher. Elouise gehorchte und stieß an. "Heute Nacht möchte ich dir ein Versprechen geben. Und ich möchte, dass auch du mir was versprichst, Louis." Diese war zwar ein wenig überrascht, aber lächelte.
"Na klar. Alles, Bella." Der Blondschopf nickte ernst und so erstarb schließlich auch das Lächeln auf Elouise Lippen. "Als du damals fast vom Baum gefallen wärst, habe ich schon darüber nachgedacht, doch ich wusste nie, was ich von dir als Versprechen im Gegenzug wollte. Heute ist es mir eingefallen. Ich verspreche dir, Elouise Maronne de Fleur, dass ich dich immer beschützen werde, ganz gleich was auch kommt." Sie atmete ihre Anspannung aus, was Elouise innerlich schmunzeln ließ. Sie war sich sicher, dass Isabella dies auch ohne ein Versprechen getan hätte.
"Und du versprichst mir, dass du mich weiterhin jedes Jahr besuchen kommst. Auch, wenn wir schon erwachsen und verheiratet oder unsere Eltern irgendwann verstorben sind. Diese Zeit im Jahr bleibt für immer unsere. Versprochen?" Das hatte Elouise nun nicht erwartet und irgendwie hatte es ein ganz anderes Gewicht. Sie überlegte. "Dein Versprechen kannst du ja nur dann einlösen, wenn ich in deiner Nähe bin. Das funktioniert ja ohne meins schon mal gar nicht. Da musst du mir schon mehr bieten", sprach die Brünette ihre Gedanken laut aus und kicherte vergnügt.
"Was willst du denn?", fragte Isabella, nachdem die erste Verwirrung abgeklungen war. Erneut überlegte Elouise. Sie war zwar noch ein Kind, doch wollte sie so ein schwerwiegendes Versprechen eigentlich nicht unüberlegt abgeben. Dafür mochte sie Isabella viel zu sehr und die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihr Versprechen irgendwann brechen würde, schien ihr relativ hoch. Da kam ihr ein merkwürdiger Einfall, der den Blondschopf ganz sicher abschrecken würde.
"Ich gebe dir dieses Versprechen, wenn du mit mir übst, wie man küsst." Der Wirbelwind machte erst große Augen und wirkte dann zunehmend genervt. "Wozu willst du denn Küssen üben? So ein kindischer Vorschlag. Wenn du erst verheiratet bist, ist es ganz egal, wie du küsst. Und davor machst du das eh nicht." Elouise musste in sich hinein grinsen. Hatte sie es doch gewusst. "Das sind meine Bedingungen", erklärte sie ruhig und verschränkte die Arme vor der Brust, wobei der Wein bedrohlich in ihrem Glas schwabbte.
Doch dann geschah etwas Unerwartetes. Isabella beugte sich blitzschnell vor und presste ihre Lippen auf die der Anderen. Einige Augenblicke verharrten die Mädchen reglos, bis der Blondschopf sich langsam wieder zurück zog. Ihre Lippen hatten sich nicht bewegt und doch hinterließen sie ein verhaltenes Kribbeln auf denen von Elouise. "So, abgehakt", sagte sie im Brustton der Überzeugung. Doch Elouise, sichtlich überrumpelt, schüttelte nur entschieden den Kopf. "So doch nicht! Wir sind doch noch viel zu jung für sowas. Oder hast du schon mal darüber nachgedacht, einen zu küssen?"
Isabella verschränkte einen ihrer Arme hinter dem Kopf und überlegte ernsthaft. "Nö", kam es knapp. "Siehst du."
"Also wann?", fragte der blonde Wirbelwind und wirkte dabei allmählich ungeduldig. "Na, wenn es eben soweit ist. Ich weiß es doch jetzt noch nicht, deshalb will ich es ja ausprobieren." Jetzt wurde der Blondschopf allmählich hellhörig und verzog sogar undeutbar das Gesicht. "Ich fasse mal zusammen. Du willst küssen üben, aber erst dann, wenn du dich soweit fühlst, zu küssen?" Elouise überlegte kurz, nickte dann aber."Ok, ich küsse dich jedes Mal, wenn du herkommst ein Mal, bis du sagst, du bist soweit und dann üben wir. Dafür versprichst du mir, für immer ein Mal im Jahr herzukommen." Sie klang ernst, wenn auch noch immer leicht genervt. Sie hielt Elouise erneut ihr Glas hin, um den Schwur zu besiegeln, doch die Brünette zögerte. So hatte sie sich das nun nicht vorgestellt. Obwohl, der Gedanke, jedes Jahr einen Kuss von Isabella zu bekommen, hatte gerade irgendwie ihr Interesse geweckt. Und auch, wenn sie es riskant fand, solch ein Versprechen abzugeben, so wollte sie ja dasselbe. Sie seufzte tief, ehe sie begann zu sprechen. "Also schön, aber das mit dem Beschützen auch noch", verlangte sie ernst. Die Andere nickte und so besiegelten sie diesen ungewöhnlichen Pakt.
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Maskenball
Historical FictionElousie reist seit ihrer frühesten Kindheit jedes Jahr mit ihren Eltern nach Venedig. Bei ihrem ersten Besuch in der Stadt der Kanäle lernte sie Isabella kennen, deren Eltern immer zu dieser Zeit einen weit bekannten Maskenball veranstalten. Die bei...