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  Die Zeit in dem kleinen Kräutergarten schien still zu stehen. Über den beiden heranwachsenden Frauen erstreckte sich das Sternenzelt und der Mond spendete ausgiebig sein silbernes Licht. Isabella beobachtete schweigend die Spiegelungen der unterschiedlichen Lichter auf der Wasseroberfläche vor ihr. Die Stadt war noch immer hellwach und ihre bunten Farben fügten sich nahtlos in das Lichterspiel ein. Gedankenverloren strich sie mit dem Zeigefinger den Rand ihres Glases entlang. Ihre Sinne kreisten um den letzten Satz, der ausgesprochen worden war.
Ich betrachte dich schon eine ganze Weile auf eben diese Art, die ich plötzlich auch in deinen Augen erkennen kann.

Elouise hatte sich danach wieder auf die Bank gesetzt und geschwiegen. Sie hatte ihre grazilen Beine, die in der hochgeschnittenen Hose noch länger aussahen, übereinander geschlagen und den Blick gen Himmel gerichtet. So verharrte sie seither.

Sie sah nicht einmal auf, als Isabella wieder neben ihr Platz nahm. Der Blondschopf fragte sich, ob die Andere ähnlichen Gefühlen unterlag wie sie selbst. Die Frage, ob es dieselben sein mochten, ließ sie hadern. Wie sollte sie das herausfinden, wenn sie sie selbst weder zuordnen noch betiteln konnte?

Ein Frösteln durchfuhr ihren Körper und Isabella fragte sich unweigerlich, wie lange sie schon hier saßen. Sie spürte, wie sich sanft ein Stoff um ihren Oberkörper schmiegte und sah zur Seite in das freundlich lächelnde Gesicht ihrer Freundin, die grade ihre Hände zurückzog. "Wir sollten wirklich umkehren", sagte Elouise sanft. Isabella betrachtete den letzten Schluck Rotwein in ihrem Glas schon wieder und schwenkte ihn ein wenig. Der Blondschopf ging nicht auf das Gesagte ein. Stattdessen knüpfte sie an ihre Gedankengänge an. "Ist jetzt alles anders? Sind wir jetzt keine Freunde mehr?", sprach sie einfach aus, was in ihrem Kopf gerade herumschwirrte.

Elouise schien überrascht und brauchte einen Augenblick, um sich zu fangen, doch dann lächelte sie sanft. "Ich hab dir doch was versprochen, oder nicht?" Ihre bernsteinfarbenen Augen schauten sanft in Isabellas, doch kam sie nicht umhin, einen alten, traurigen Glanz darin auszumachen. "Warum fühlt es sich dann so anders an?" Das Lächeln der Brünetten wurde matt, passte sich ihrem Blick an, den sie schließlich abwandte. "Wir sind keine Kinder mehr, Bella. Die Zeit der unschuldigen Spielereien ist vorbei." Ihre Worte waren noch immer undeutbar, dennoch sagte ein Teil in Isabella, dass Elouise genau wusste, was in ihr vor sich ging.

"Ich nehme an, das weißt du auch schon eine geraume Zeit. Nur an mir ist dieser Umstand irgendwie spurlos vorbei gegangen." Unwillkürlich war Isabellas Ton bei dieser Feststellung kühler geworden und das erschrak sie selbst. Elouise stieß seufzend die Luft aus. "Für mich hat sich unsere Freundschaft verändert, seit wir uns das erste mal geküsst haben, auch wenn mir das erst viel später klar geworden ist." Wieder wandte sie den Blick von dem Blondschopf ab und der traurige Glanz in ihren Augen schien beträchtlich zu zunehmen.

Isabella strich sich abwesend mit den Fingerkuppen über die Lippen und fragte sich, ob sie ähnliches durchmachte. Sie musste es wissen. Vielleicht würde es ihr helfen, ihre eigene Gefühlswelt wieder in stete Bahnen zu lenken. "Erklär mir, was sich verändert hat." Elouise Blick wurde starr. Sie fixierte einen undefinierbaren Punkt im Wasser. "Vergiss es einfach, Bella! Ich habe schon viel zu viel gesagt." Die junge Adlige wurde wütend. Ausgerechnet jetzt zog die andere ihre Mauern hoch?

Sie packte Elouise an der Schulter und drängte diese, sie anzusehen. Widerstrebend kam sie dem Druck nach und Isabella erschrak, als sie Tränen in ihren Augenwinkeln glitzern sah. "Seit wann bist du schon so traurig, Louis?", presste sie fassungslos hervor. Wieder versuchte die Angesprochene den Blick abzuwenden, doch der Blondschopf ließ sie nicht. Entsagte ihr die Kopfbewegung, in dem sie eine Hand bestimmend auf ihre Wange legte. "Wie konnte ich das übersehen?" Elouise riss sich los und stand auf. Drehte sich aufgebracht von ihrer Freundin weg.
"Sag sowas nicht. Wir waren Kinder, sind es beinah noch."

Isabella war ebenfalls aufgestanden und nah an die Andere herangetreten. Sie legte ihre Hand auf deren Unterarm und schwieg. Wollte nicht weiter drängen. Geduldig wartete sie, dass Elouise von allein weiter sprach. Ihre eigenen Gefühle hatten sich automatisch in den Hintergrund gestellt. Verloren an Belang, als ihr gewahr wurde, wie ihre Freundin litt. "Sobald ich in deiner Nähe war, war ich nicht mehr traurig", begann die Brünette zögerlich, den Blick wieder starr auf das ruhige Gewässer gerichtet. "Das ganze Jahr steigerte sich diese unterschwellige Trauer. Ich vermisste dich und konnte an nichts anderes mehr denken. Mit jedem Tag, der verging und mich näher an unser Wiedersehen brachte, stieg diese unbekannte Aufregung in mir an. Mein Herz schien mit jedem Augenblick schneller zu schlagen. Aber als ich dich dann auf unserem ersten Ball spielen hörte, dich schließlich sah und in die Arme schließen konnte, fiel all das von mir ab. Es war befreiend."

Elouise lächelte seicht, als sie sich an diesen Moment erinnerte. "Ich dachte, ich hätte mich nur in etwas reingesteigert. Genoss die Zeit mit dir wie in den Jahren zuvor. Aber das darauf folgende Jahr war noch schlimmer. Erst letztes Jahr wurde mir klar, was in mir vorging..."  

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