Chapter 20

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Das Frühstück nahmen wir noch in alte Decken gehüllt ein, aber dann schlüpften wir in unsere sauberen, geflickten Klamotten, und alle Gangster sahen aus wie edle Männer in schwarzen Anzügen.

„Tadaa“, sagte Aron stolz und drehte sich im Kreis. Missbilligend sah Marvin ihm dabei zu.

„Tauschen wir?“, fragte er, aber Dennis grinste nur böse.

„Kommt nicht infrage“, bestimmte er, bevor Aron auch nur den Mund öffnen konnte. „Du musst leider den Bediensteten spielen.“

„Du meinst wohl den Diener oder Sklave!“, jaulte Marvin, was ihm jedoch auch nicht weiterhalf.

„Still jetzt. Wenn wir hier ohne Zwischenfälle rauswollen, müssen wir schnell sein.“ Mit diesen Worten eilte Dennis voraus, den grummelnden Marvin im Schlepptau. Nur langsam bahnten wir uns unseren Weg nach draußen, immer darauf bedacht, nicht schmutzig zu werden, und keinem unserer Nachbarn über den Weg zu laufen. Trotzdem ließ es sich nicht vermeiden, dass viele böse Augen uns hinterherstarrten, als wir die Fabrik verließen. Ein Angriff erfolgte erstaunlicherweise jedoch nicht.

Fünf Minuten später hatten wir den Stadtkern erreicht, und somit auch ein edel aussehendes Kleidergeschäft.

„Nicht schlecht“, sagte Josh so arrogant wie nur möglich und trat mit hoch erhobenem Kopf ein. Erst kicherte ich, aber als Dennis auch mein Kinn hochdrückte, verging mir das Grinsen. Arroganter Schnösel spielen – das war nicht gerade meine Lieblingsrolle.

„Sieh mal, was für ein wunderschönes Kleid!“, rief ich deshalb auch, sobald ich den Laden betreten hatte, und schwebte förmlich auf ein seidenes Kleid zu, dass das Licht sanft reflektierte.

„Aber sieh doch mal“, warf Sophie mit schnöseliger Stimme ein und zupfte an dem Kleid. „Das ist ja entsetzlich teuer. Für so einen schlichten Stofffetzen.“

„Aber junge Dame! Das ist ein hochwertiges Kleid aus reiner Seide mit silberner Borde und perfekt dafür geschnitten, sich im Wind aufzublähen. Das ist der letzte Schrei“, erklärte der Ladenbesitzer, augenblicklich in seinem Element.

Vielleicht der letzte Entsetzensschrei, dachte ich mit einem Blick auf den Preis, hütete jedoch meine Zunge. Das war kein Satz, den eine „junge Dame“ sagen sollte.

„Wir suchen ein prächtiges Ballkleid“, sagte Josh in diesem Moment. Deutlich schwangen die Worte „nicht so einen alten, unmodischen Fetzen“ mit, aber der Ladenbesitzer ging erst gar nicht darauf ein. Solche Kunden musste er gewohnt sein.

„Da seid ihr in der falschen Ecke, meine Damen und Herren. Hier entlang.“ Eifrig führte er uns in einen Bereich des Ladens, in dem die prächtigsten Kleider hingen. Unten so breit, dass ein Tanzpartner wohl ziemlich lange Arme gebraucht konnte, um mit der Kleidträgerin in Kontakt zu bleiben und oben so schmal, dass es beinahe Absicht schien, dass das Mädchen früher oder später ohnmächtig wurde. Ob das die Leute hier unter „Romantik“ verstanden?

Leise seufzend nahm ich das erste Kleid mit in die Umkleidekabine, die von dicken, roten Samtvorhängen verschleiert war, und schlüpfte hinein. Das Kleid war schwer. So schwer, dass es mich buchstäblich in die Knie zwang.

Oh mein Gott!, dachte ich mir und sah an mir herunter. Ein Rüschenkragen schnürte meinen Hals ab und Silber und Rüschen wechselten sich auf dem Weg nach unten ab, wo sie schließlich durch einen mindestens dreilagigen Rock ersetzt wurden. Unten waren natürlich wieder Rüschen.

Entsetzlich.

Grauenvoll!, waren die einzigen Gedanken, die mir zu diesem Kleid einfielen. Wie sollte ich damit bloß laufen?

Mit aller Kraft schleppte ich mich aus der Kabine, kämpfte noch einmal kurz mit dem roten Samtvorhang, trat auf eine meiner diversen Rockstoffe und stolperte in Marvins Arme, der mich unverschämt breit grinsend ansah. Also dafür waren diese elenden Röcke gut!

„Verdammtes Kleid!“, nuschelte ich in Marvins Hemd und hob mühevoll meinen Kopf. Der Kragen drohte, mich zu ersticken, und hätte Marvin ihn nicht geistesgegenwärtig geöffnet, wäre ich wahrscheinlich röchelnd zusammengebrochen.

„Dieses Kleid ist die Hölle!“, klagte ich, als ich wieder Luft bekam, verstummte jedoch, als der Ladenbesitzer vorbeiwuselte.

„Den Eindruck habe ich allerdings auch“, meinte Marvin und half mir auf die Beine. „Lass uns ein anderes suchen.“

„Wie ich sehe, hast du schon etwas gefunden“, sagte ich, während wir durch die Ballkleider stöberten, die sich gegenseitig in der Anzahl der Rüschen und Stoffschichten zu übertrumpfen schienen.

„Ja. Ich finde es eigentlich in Ordnung. Du hättest die anderen sehen sollen. Selbst die Männer tragen hier Rüschen!“

„Entsetzlich“, wisperte ich und wartete, bis der Ladenbesitzer wieder verschwunden war.

„Allerdings. He, sieh mal. Was hältst du von diesem Exemplar?“

„Das soll wohl ein Witz sein“, knurrte ich. Schon der Anblick der vielen Rüschen und geschmacklosen Verzierungen ließ mich schaudern.

„Nicht das“, sagte Marvin, der meinem Blick gefolgt war. „Das daneben.“

Und tatsächlich. Ein verhältnismäßig schlichtes, hellblaues Kleid, verziert mit feinen Bernsteinsplittern hing dort. Höchstens zwei Lagen Stoff und keine mörderische Halskrause. Ich war zwar kein Fan von Kleidern, aber dieses sah so aus, als könne man ein Abend darin durchaus überleben.

„Probier es an“, drängte Marvin und schob mich vor sich her.

„Achtung!“, rief ich und wäre Dennis nicht in diesem Moment vor mir erschienen wäre ich sicher der Länge nach hingefallen.

„Dein Kleid stellt ein gewisses Gefahrenpotenzial dar“, bemerkte Dennis mit einem kritischen Blick auf mich. Ich, die immer noch an seinem Hemd hing, blickte kritisch zurück.

„Das Teil nehme ich auch nicht. Marvin hat ein besseres gefunden“, sagte ich und hievte mich wieder auf die Beine. Gar nicht so einfach mit den zusätzlichen Stoffmassen an meinem Körper.

„Du trägst Rüschen“, stellte ich mit einem Blick auf Dennis fest und musste grinsen.

„In meiner Größe gab es nichts ohne“, antwortete er. „Außerdem ist das hier Mode. Ich bin also voll im Trend.“ Leise lachend, damit der Ladenbesitzer nichts mitbekam, schob er mich in die Kabine zurück, reichte mir das Kleid und verschwand mit Marvin, um Aron zu begutachten.

„Ich fasse es nicht. Lila Rüschen auf dunkelblauem Hemd. Sicher, dass das Männerkleidung ist?“, hörte ich Arons kritische Stimme, die Antwort des Ladenbesitzers ging jedoch im Rauschen meines Kleides unter, als ich die ganzen Stoffschichten über meinen Kopf hievte.

Das letzte Tor - Kein ZurückWo Geschichten leben. Entdecke jetzt