Dagurs gute verrückte Seite

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Ich sah dem Rumpelhorn erschrocken in die Augen und warf dann Dagur einen entsetzten Blick zu. Auch wenn er unser Feind war, konnte ich nicht mit ansehen, wie er von einem Drachen getötet wurde. Das verdiente kein Wikinger. Selbst wenn ich ihn nicht besonders leiden konnte, er hatte bestimmt auch eine gute Seite. Echt unglaublich, dass ich das Beste in ihm sah, obwohl er Berk, oder besser gesagt mir, Rache geschworen hatte. Jetzt saß er da, blickte dem Tod ins Angesicht und rührte nicht einen Finger. Er wirkte wie gelähmt und sah nur den gewaltigen Drachen vor sich. Der Rumpelhorn bildete einen Feuerball, kniff seine Augen zusammen und schoss. ,,Nein!" Mein Ruf hallte über die stille Insel. Ohne darüber nachzudenken, war ich gegen den Kopf des Drachens gesprungen. Ich fiel unsanft auf den Boden und rappelte mich ungeschickt auf. Dagur saß da mit weitaufgerissenen Augen und starrte mich an. Der Rumpelhorn schnaufte mir ins Gesicht und knurrte. Langsam streckte ich meine Hand aus und drängte ihn vorsichtig zurück. Der Drache musterte mich argwöhnisch und knurrte mich an. Während ich meine Hand erhoben hielt, senkte ich meinen Kopf. Plötzlich spürte ich die Schnauze des Rumpelhorns und ich sah auf. Ich kraulte ihn und sah dann zu Dagur, der mich stumm beobachtet hatte. Der Feuerball hatte ihn knapp verfehlt. Neben ihm war eine riesige verrußte Stelle in der Felswand und überall lagen kleine Steinsplitter. Dagur schien es am meisten getroffen zu haben, aber es kümmerte ihn nur im geringsten. Knurrend trat der Drache wieder auf Dagur zu, ich stellte mich schnell dazwischen und hielt einen Arm in seine Richtung ausgestreckt. Der Anführer stampfte auf und brüllte. Ich blieb unbeirrt stehen und sah ihm fest in die Augen. Langsam senkte er seinen Kopf und trat zur Seite.

,,Danke, Hicks Bruder." Dagur war aufgestanden und stand direkt hinter mir. Erschrocken drehte ich mich um und sah ihn misstrauisch an. Dagur krazte sich verlegen am Hinterkopf und öffnete seinen Mund, aber Astrid kam wie aus dem Nichts auf ihn zu und hielt ihm ihre Axt an seine Kehle. Anscheinend hatte sie die Axt sich wieder zurückgeholt, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass sie sichtlich wütend war.

,,Wie hast du diesen Drachen nur so aggressiv werden lassen? Normalerweise benehmen sich Drachen nur so, wenn sie mit dir eine Rechnung offen haben." Fragend sah ich Dagur an und schob Astrids Axt langsam weg. Dafür erntet ich eine wütenden Blick, aber ich kümmerte mich nicht darum.

Dagurs Blick war auf Astrid gerichtet. ,,Ich hab keine Ahnung, woher ich diesen Drachen kennen sollte."

Ich überlegte. ,,Warst du..."

Er unterbrach mich. ,,Da fällt mir doch noch was ein! Auf einer Insel mit einem Vulkan habe ich mal Drachen gejagt. Ich glaube, dass er auch dort war." Er zeigte auf den Rumpelhorn.

Nachdenklich betrachtete ich Dagur und dann den Rumpelhorn. ,,Wahrscheinlich wollte er sich nur dafür rächen, dass du seine Drachen verletzt hast. So ist jeder Anführer."

Der Berserkeranführer sah mich nachdenklich an und schien etwas zu begriffen zu haben. Er streckte eine Hand in meine Richtung aus und ließ sie wieder sinken. ,,Was wolltest du damit sagen?"

Leicht verwirrt starrte ich ihn an und begriff, was er wahrscheinlich meinte. Er hatte eine ganz andere Sache interpretiert, etwas, dass ich gar nicht meinte. Ich warf Astrid einen kurzen Blick zu, die mich leicht entgeistert musterte. Anscheinend wusste sie schon wieder, was ich vorhatte oder an was ich dachte. Sie schüttelte kaum merklich den Kopf, aber ich wendete mich wieder an Dagur. ,,Was denkst du denn, was ich meinte?"

,,Ist doch offensichtlich, oder etwa nicht?" Dagur kratzte sich wieder verlegen am Kopf. Diese Bewegung kannte ich nur von mir, was mich nur noch mehr verwunderte, diese bei Dagur zu sehen. Generell wirkte er wie ausgetauscht. Vielleicht gehörte das auch alles zu einem Plan von ihm. Ich konnte ihm einfach nicht trauen. Wir waren nur wegen ihm hier, Astrid war verletzt, die anderen müde von der ganzen Aufregung und den Plänen, die wir durch die Nacht hindurch geschmiedet hatten. Wieso sollte ich ihm auch nur für eine Sekunde vertrauen können? ,,Du meinst doch dabei dich. Du bist auch hierher gekommen, um deine Gefolgsleute zu befreien, hast den ganzen Flug auf dich genommen, verbissen gekämpft, bis du jetzt hier vor mir stehst. Und ich frage mich immer noch, warum du nicht einfach zugelassen hast, dass der Drache mich erledigt. Ja, zutrauen würde ich es dir nicht, aber ich bin doch euer größter Feind." Dagurs Augen wirkten heller und seine sonst so gestrafften Schultern hingen runter. Hatte diese Nahtoderfahrung ihn verändert? Konnte es Frieden zwischen den Berkianern und den Berserkern geben? War die Feindschaft, die vor fünf Jahren entstand, endlich besiegt? Trachtete Dagur mir nicht mehr nach meinem Leben oder wollte er Ohnezahn nicht mehr haben und mit ihm Berk angreifen? Ohnezahn? Plötzlich erinnerte ich mich daran, dass ich Ohnezahn schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen hatte. Mein Blick schweifte durch die Reihen von Drachen, die uns alle noch leise beobachteten. Ohnezahn war nicht anwesend. Er wäre schon längst zu mir gekommen. Irgendwas stimmte da nicht.

Ich fuhr zu Dagur herum. ,,Wo ist Ohnezahn?"

,,Als deine kleine Freundin mit ihm hier aufgekreuzt ist und ich sie...gefangen genommen habe, ist dein Drache erwischt. Er war schneller und schlauer als meine Männer."

Ich schnaubte. ,,Das ist auch nicht schwer."

,,Was willst du damit andeuten?" Dagur sah mich wütend an, aber beruhigt sich erstaunlicher Weise schnell. ,,Soll ich euch helfen, ihn zu suchen?"

,,Pah! Das ist doch eine Falle. Du willst doch nur Ohnezahn haben!" Astrid trat neben mich und sah Dagur warnend an.

,,Da gebe ich Astrid Recht. Wir können Dagur nicht trauen." Fischbein stieg von Fleischklops Rücken runter.

,,Was warten wir hier noch? Wir müssen ihn suchen! Oder jedenfalls etwas machen. Ich schlafe gleich ein." Ein gelangweilter Rotzbacke lehnte an Hakenzahn und sah uns aufforndernd an.

Der Rumpelhorn trat vor und brüllte laut. Ich drehte mich zu ihm um und sah ihm in die Augen. ,,Wo sind die gefangenen Drachen?", fragte ich Dagur.

Der rothaarige Berserker sah mich an und nickte, als hätte er meine stille Aufforderung verstanden. ,,Ich führe den Rumeplhorn dahin." Er sah den gewaltigen Drachen entschuldigend an. ,,Komm mit, wir befreien deine Artgenossen." Mit diesen Worten zog Dagur los und der Rumpelhorn folgte ihm ohne zu zögern. Alle starrten dem ungleichen Paar verwirrt hinterher. Wenn sogar der Drache, der Dagur umbringen wollte, ihm jetzt vertraute, dann konnte ich das auch. Ich drehte mich zu der Gang um und lächelte. Astrid lächelte mich auch an und zog mich auf Sturmpfeil hoch. ,,Suchen wir Ohnezahn. Weit kann er nicht sein." Wir hoben ab und folgten der Richtung, in die Astrid ihn fliehen gesehen hatte.


I won't let you goWo Geschichten leben. Entdecke jetzt