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»Mein Name ist Richard Blane.« Seine Stimme war angenehm tief.

»Melissia«, sagte ich und schüttelte seine schwitzende Hand. Dennoch erreichte meine Lippen nur ein schwaches Lächeln. Inga hingegen spielte grinsend die Freundliche von uns beiden.

»Das sind meine beiden Puppen, Lissa und Inga«, meinte Mum und ignorierte, dass wir unsere Namen bereits genannt hatten.

Sie war nervös.

»Habt ihr Hunger?«, fragte Richard mit warmem Lächeln. Mein Blick wanderte von Inga zu dem McDonalds hinter uns.

Sie verzog den Mund zu einem verschmitzten Lächeln. »Oh ja, ich sterbe fast.« Während sie die Tür des Wagens öffnete, verstaute Richard unser Gepäck im Kofferraum des schwarzen Cabrios. »Sehr schön«, murmelte er und knallte die Heckklappe runter.

Mums warnende Blicke verfolgten uns die ganze Autofahrt, aber genau das war es, was Inga und mir solch einen Spaß bereitete. Dieser Mann würde nicht lange in unserer Familie überleben, dafür war er viel zu nett. Es verwunderte mich, dass er sich überhaupt auf unsere Mutter eingelassen hatte. Er tat mir beinahe schon leid.

»Du hättest hier links gemusst«, sagte ich zu Richard, als er in eine mir unbekannte Straße einbog. Richard wechselte einen kurzen Blick mit meiner Mutter, die daraufhin seufzte und – wenn es denn noch ging – noch nervöser wurde.

»Ähm. Ich muss euch noch etwas beichten«, meinte sie mit schuldbewusstem Lächeln.

»Also, wie soll ich es sagen... wir waren der Meinung dass es eine gute Idee wäre, und dass es vielleicht an der Zeit war...« Sie richtete ihren Blick starr auf die Straße, um die folgenden Worte rauszubekommen. »Wir ziehen bei Richard ein.«

Es folgte eine Stille, in der all meine Gedanken ausradiert worden waren. Inga und ich starrten unsere Mutter durch den Rückspiegel an.

»Wir haben einfach nur Vorteile darin gesehen«, fügte Mum hinzu.

Ich atmete tief durch um mich zu sammeln. Inga und ich waren gerademal fünf Wochen weggewesen und schon hatte das klischeehafte »Wir-Gefasel« begonnen.

Ich blickte langsam zu Inga, die noch genauso ausdruckslos dasaß. Mums Blick durch den Spiegel war mahnend und schrie förmlich »macht kein Theater«. Bevor meine kleine Schwester ihre aufgestaute Wut loswerden konnte, begann ich.

»Wir haben schon immer in dem alten Haus gewohnt«, brachte ich zerknirscht heraus. Mum seufzte geschlagen. Tatsächlich war das Haus wohl das einzige gewesen, das sich nie verändert hatte. Es beunruhigte mich, dass diese Beziehung allen Anschein nach etwas Neues war.

»Eben. Es war Zeit für eine Veränderung. In den nächsten Tagen werden wir noch die letzten Sachen abholen und dann kann unser neues Leben endlich beginnen.« Tatsächlich wagte es meine Mutter, verträumt zu Richard zu schauen und seine Hand an der Kupplung zu umschließen.

Inga hielt ihre Tränen zurück und krallte ihre Finger in das Leder der teuer aussehenden Rücksitze. Meine Gedanken überschlugen sich fast.

Wie konnte unsere Mutter nur so dreist sein und hinter unseren Rücken ein neues Leben für uns planen? Ich meine, seit wann scherte sie sich überhaupt um uns? Sonst war es ihr doch auch immer egal gewesen, wie wir gelebt hatten! Hauptsache, sie hatte ihren Spaß gehabt und wir waren von allem Spaßigen ausgeschlossen. Unsere Mutter hatte tatsächlich ein Talent dafür in unserem Leben zu mischen, ganz anders als es Mütter für gewöhnlich taten.

Trotzdem hätte ich wissen können, dass etwas nicht stimmte. Am Telefon hatte Mum gehetzt geklungen, sie rieb alle paar Minuten nervös ihre Hände aneinander und blickte schuldbewusst durch den Rückspiegel in unsere Gesichter.

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