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»Lissa«, keuchte Zimo, als er an unserem Tisch ankam. Er war schweißgebadet. Ob er von Zuhause bis hier her gerannt war? So sah er jedenfalls aus. »Du musst auf der Stelle mitkommen.« Er holte tief Luft und packte mich am Handgelenk. Automatisch stand ich auf. »Was ist denn los?«, fragte ich und sah ihm in die Augen. Er sah zu Boden und dann tief in meine Augen. »Wenn du nicht sofort mit mir kommst, werden Travis und du sterben!«

Schläfrig öffnete ich die Augen. Ich lag wieder in dem metallischen Krankenbett, das sich in Zimos Praxis befand. Mein Arm hing an einem Tropf und in meiner Nase steckte ein kleiner Schlauch, der unentwegt Luft in mich hinein pumpte. Mein Kopf hämmerte und mein ganzer Körper schien wie gelähmt zu sein. Aus dem Augenwinkel nahm ich ein weiteres Bett wahr, das zuvor noch nicht dort gestanden hatte. Erleichterung überkam mich. Travis. Doch seine Augen waren geschlossen. Auch er war mit mehreren Geräten verbunden, die in regelmäßigen Abständen verschiedene Pieptöne von sich gaben. Ich konnte meinen Kopf nicht bewegen. Ich konnte nichts außer meiner Augen bewegen. Nur meine Sinne funktionierten. In meine Nase stieg der penetrante Geruch von Zitronenreinigungsmittel und damit trat jemand an mein Bett. Es war Nathan. Sofort wollte ich mich aufsetzen und ihn fragen, was hier los war, doch ich konnte mich nicht rühren. Hilflos sah ich ihn an. Er schluckte. »Du bist wach«, sagte er leise, wie ein Krächzen. Erschrocken und verängstigt. Er setzte sich auf den Arzthocker, mit dem Zimo immer fröhlich durch das Zimmer fuhr, neben mein Bett. Doch Zimo war hier nirgends zu sehen. Das war ein schlechtes Zeichen. »Erinnerst du dich?«, fragte Nathan flüsternd und sofort breitete sich Gänsehaut auf meinen Armen aus. Dieses Flüstern machte mich verrückt...

Ich wollte den Kopf schütteln. Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach. Woran sollte ich mich erinnern? »Denk an das letzte, das du noch weißt«, sprach er weiter. Ich schloss die Augen. Musste mich anstrengen um auch nur einen einzigen klaren Gedanken fassen zu können. Mein Gehirn qualmte förmlich. Wenn ich versuchte, mich zu erinnern, war alles wie ausgelöscht. Dann fiel es mir ein. Vor einigen Minuten hatte ich noch mit den Jungs in der Milchshakebar gesessen und über unsere zukünftigen Pläne geredet. Dann war Zimo hereingestürmt und hatte etwas davon erzählt, dass Travis und ich sterben würden. Moment.

Ich öffnete wieder die Augen und schielte zu Travis rüber. Er lag ebenso reglos da wie zuvor. Ich spürte, wie meine Kehle austrocknete. Wenn wir sterben würden, ich aber unsterblich war, dann bedeutete das, dass Travis...

»Erinnerst du dich?«, fragte Nathan und zog mich somit wieder in die Realität zurück. Ich blinzelte zweimal. Hoffte, dass er den Film kennen würde, in dem dieses Zeichen für »Nein« stand. Der Anflug eines traurigen Lächelns huschte über sein Gesicht. Er kannte den Film. Dann wurde er wieder ernst. »Es ist wichtig, dass du dich erinnerst, Lissa. Davon hängt dein Leben ab. Ich habe keine Zeit und nicht die Erlaubnis, dir mehr zu sagen. Aber du musst dich erinnern. Sofort.« Ich spürte, wie ich wieder schläfrig wurde. Meine Augen fielen zu und das letzte, was ich hörte war ein panisches »Lissa!« von Nathan.

Ich rannte. Hektisch, panisch, ängstlich. Als verfolgte mich etwas, das mein Leben beenden wollte. Der Boden war steinig und uneben, obwohl dort nichts war, außer einer schwarzen Platte, über die ich mit meinen Füßen in Sekundenschnelle schwebte. Ein Ende des Raumes war nicht zu sehen, ich hätte es schon tausende Male erreichen müssen. Doch die weißen Wände schienen sich mit jedem Schritt weiter von mir zu entfernen. Der ganze Raum war von gleißendem Licht erhellt, das auf meiner Haut und in meinen Augen brannte. Und noch immer rannte ich. Um mein Leben. Obwohl mich nichts verfolgte. Es wurde anstrengend. Am liebsten hätte ich aufgehört. Aber ich konnte nicht aufhören. Etwas in mir verhinderte, dass ich meinen naiven Gedanken nachging. Ich musste träumen. Träume waren Illusionen. Nicht real. Und im Traum geschah nichts, das Auswirkungen auf die echte Welt hat. Plötzlich stand jemand vor mir und brachte mich zum stehen. Zimo. Er sah liebevoll und hilfsbereit aus, wie immer. Trug seinen weißen Apothekerkittel und ein graues T-Shirt und Jeans darunter. Seine weißlichen Haare standen wie bei einem verrückten Professor zu Berge und wieder fragte ich mich, weshalb er sie färbte, wo seine Naturhaarfarbe, seinem Dreitagebart zu urteilen, doch schwarz war. Aber mein Denken wurde gestoppt, als er mich mit seinen giftgrünen Augen durchbohrte. Er war wütend. Fragend sah ich ihn an.

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