Die Bücher stapelten sich um uns herum und jedes einzelne bewahrte mindestens fünf neue Geheimnisse oder Lösungen. Eher selten Lösungen. In einem hatte ich erfahren, dass der Dämon mit der Zeit immer wieder neue Steine an den verschiedensten Orten versteckt hatte, weil bisher noch niemand seine Wünsche erfüllt hatte. Stattdessen hatten mehrere Generationen immer wieder den Fluch, der auch auf ihnen lag, gebrochen und scheinbar hatte dies auch ohne Nebenwirkungen funktioniert. Dieser komische Modus, in dem sich Travis in der Schule befunden hatte, ist die sogenannte Zeichnung gewesen. Der Dämon hat die Jungs somit als Söhne des Sturms gezeichnet und ihnen unglaubliche Kräfte »geschenkt«. Zusätzlich gab es noch verstärkte Visionen und fehlende Kontrolle in buntes Geschenkpapier gewickelt. Und ich musste all das auch noch mitmachen. Nur meine übermenschlichen Kräfte blieben dabei aus. Zumindest, wenn ich sie Travis zurück gab. Und das musste ich. Denn ich konnte sie nicht kontrollieren. Obwohl ich es nur zu gern gelernt hätte.
»Der Dämon verlangt, die größten Ängste der Gezeichneten wahr zu machen, denn er kann nur durch Tod und Zerstörung in die jetzige Welt zurückkehren.« Ich blickte von dem staubigen Papierband hoch und sah die Jungs an. Sie schwiegen. Travis wäre wohl beinahe eingeschlafen, wenn ich nicht geredet hätte. »Er will in die Menschenwelt. Um was dort zu erreichen? Die Weltherrschaft?« Ich runzelte die Stirn und klappte das Buch zu. »Alles was er will, ist nach hier zu kommen. Ihr sollt einen unglaublich mächtigen Dämon in unsere Welt holen.« Ger nickte langsam. »Mal davon abgesehen, dass keiner will, dass seine schlimmsten Ängste wahr gemacht werden, können wir den Dämon der Gewitterstürme ja schlecht auf eine Horde ahnungsloser Menschen loslassen.«
»Steht in irgendeinem Buch, was er in der Menschenwelt will?« Ich sah die Jungs an und bezweifelte, dass auch nur einer von ihnen mehr als eine Seite in einem der Bücher gelesen hatte. Allesamt schüttelten sie den Kopf. »Irgendwas, das wir als Hilfe zur Kontrolle eurer neuen Kräfte nutzen können?« Wieder Kopfschütteln. Ich lachte auf. »Hat einer von etwas Brauchbares herausgefunden?« Und wieder schüttelten die vier die Köpfe. Ich lachte und Nathan legte seine Hand auf mein Bein. Ich sah ihn an. War dies nun der Zeitpunkt, in dem wir den anderen erzählten, dass wir... Nun ja... was waren? Niemand von uns hatte ausgesprochen, dass wir nun in einer Beziehung wären oder Ähnliches. Vielleicht wollte Nathan das auch gar nicht. Vielleicht fand er es ja kindisch. Ich hatte keine Ahnung, was er fand! Ich sah ihn an und hoffte, er würde etwas sagen, doch er schwieg. Also schwieg ich auch.
Keiner von uns las noch eines der Bücher oder sagte etwas von Belang. Wir saßen einfach nur da. Und ich glaubte, dass sie glücklich waren, es so weit gebracht zu haben. Nicht alle schafften es bis zur Zeichnung, das hatten wir heute herausgefunden. Und spätestens bei der Zeichnung starben sie. Zumindest einige aus der Gruppe. Es war eine Seltenheit, dass alle die Verwandlung überlebten. Normalerweise starb mindestens einer von vieren, der Schwächste. Wobei ich auch nicht zuordnen konnte, wer von ihnen am schwächsten war. Ich tippte auf Jules, da er der Jüngste war, sich immer zurückhielt und hauptsächlich schwieg. Aber ich hatte ihn noch nie seine Kräfte benutzen sehen. Vielleicht war ja seit der Zeichnung unglaublich stark? Ein wesentlicher Nachteil als Schlüssel. Ich hatte so gesehen keinen Beweis dafür, dass sie mich nicht von Anfang an belogen hatten. Aber meine Unsterblichkeit, die Visionen und spätestens die Zeichnung hätten mich wohl überzeugt. Überzeugen müssen. Wahrscheinlich hatte ich ihnen schneller geglaubt, als sie sich selbst. Und vielleicht würde mich mein blindes Vertrauen in diese vier Jungs, am Ende noch mein Leben kosten.
»Neben all den anderen Sachen mit Zeichnung und allem drum und dran, dürfen wir unser eigentliches Problem nicht vergessen: Wie kommen wir auf die Bohlama Inseln?« Travis sah Jules wartend an, damit er den anderen von seinem genialen und doch nicht genialen Plan erzählte. Travis hatte uns in die Milchshake-Bar eingeladen und wollte mit uns auf ihre Zeichnung anstoßen. Obwohl ich mir nicht so sicher war, ob das ein Grund zum Feiern war. Schließlich hatten wir noch unzählige andere Probleme. Travis hatte seine Kräfte noch nicht zurück, ich wusste nicht, wie ich den Stein finden sollte, ich konnte ihre Kräfte nicht mehr blockieren und wie Travis bereits gesagt hatte: Ich hatte keine Ahnung, wie wir auf diese Insel kommen sollten. Mal davon abgesehen, dass Mum wohl eher tot umgefallen wäre, als mich mit vier älteren Jungs alleine in den Flieger zu setzen und mehrere Tage auf einer Insel gelassen hätte. Aber trotzdem gab mir das Zusammensitzen hier ein Gefühl. Das Gefühl, nicht alleine zu sein. Das Gefühl, trotz Dämonenflüchen und magischen Kräften, normal zu sein. Dass diese Jungs bei mir waren und mir helfen würden, zu überleben. Dass wir einander helfen würden, das durchzustehen. »Ich habe da ehrlich gesagt schon einen Plan«, meinte Jules. Ger riss seinen Blick von dem Hintern des Mädchens, das soeben unsere Milchshakes gebracht hatte. Durch diese kurzen Röcke schienen sie es nur zu provozieren. »Schieß los«, meinte er leicht ungeduldig und das Mädchen grinste ihn an. Ich bemühte mich, seine Gedanken nicht zu lesen.
»Also wir wollen ja zu diesen Inseln, die circa elf Flugstunden entfernt sind. Und am besten länger als einen Tag.« Er wollte es spannend machen und allein dafür hätte ich ihm seinen Banane-Kokosshake über den Kopf kippen können. Natürlich, ich wusste bereits, was Travis und er sich überlegt hatten. Aber solange das Ganze nicht von Ger abgesegnet war, würden sie es nicht machen. »Jetzt hau raus, Alter!« Travis war scheinbar genauso ungeduldig wie ich. Jules verdrehte die Augen und lächelte. Er sah wirklich noch sehr kindlich aus. Das konnte auch sein durchtrainierter Körper nicht ändern.
»Ich werde die Bohlama-Inseln als Stufenfahrtsziel vorschlagen!«
Ger kniff die Augen zusammen, als würde er diesen Vorschlag überdenken müssen. Travis und Nathan grinsten sich an und ich packte in Gedanken schon meinen Koffer.
»Jules Vinter, deswegen darfst du bei uns sein«, meinte Ger. Ich runzelte kurz die Stirn. Als ob es eine unverkennbare Ehre wäre in dieser Gruppe zu sein, aber Jules strahlte übers ganze Gesicht, sodass ich auch lächeln musste. »Allerdings«, mischte ich mich unsicher ein. »Wird der Schülerrat niemals durchbekommen, dass wir elf Stunden zu einer pädagogisch nicht sinnvollen Insel fliegen.« Sie verdrehten synchron die Augen, doch dann war Travis' Grinsen wieder da. »Ich kann sehr überzeugend sein«, meinte er arrogant. Ich lächelte entschuldigend. »Momentan kannst du gar nichts mehr außer überhebliche Sprüche reißen.« Er seufzte und Nathan grinste in sich hinein. »Dann musst du sie manipulieren«, meinte Ger fest. Ich schüttelte heftig den Kopf. »Das kann ich nicht«, meinte ich und rührte in meinem Schokoshake. »Heute Morgen hat es doch auch geklappt«, meinte Travis. Ich schüttelte wieder den Kopf. »Ich bin ohnmächtig geworden. Es ist nicht richtig, dass ich diese Kräfte nutze. Mein Körper sträubt sich dagegen.« Ich bemühte mich, leise zu reden, damit wir nicht noch komischer als sowieso schon wirkten. Ger verdrehte die Augen. »Dir ist klar, dass dies die einzige Möglichkeit ist, all das zu beenden, oder?« Er war schroff und kalt wie immer. Ihm war es egal, was mit mir geschehen würde. Er wollte nur, dass die Visionen aufhörten. Sie machten ihn verrückt. »Wenn ich sterbe, habt ihr gar keine Chance mehr, den Fluch zu brechen«, sagte ich etwas zu laut und zog damit die Blicke der Jungs am Nachbartisch auf uns. Ich seufzte. »Ihr braucht mich lebend. Ich könnte bei der Manipulation sterben. Das weiß ich einfach. «
Und das war nicht mal gelogen. Nachdem ich Mr. Dutchen manipuliert hatte, hatte sich etwas in mir verändert. Travis' Kräfte, die mich zuvor stark gemacht hatten, raubten mir nun Kraft. Sie zogen Energie aus mir heraus und bündelten sie irgendwo, wo ich nicht auf sie zugreifen konnte. Und falls ich es doch versuchte, rebellierte mein Körper. Ich war als Schlüssel nicht dafür gemacht, gezeichnet zu werden oder die Kräfte eines Gezeichneten des Sturms aufzunehmen. Ich hatte lediglich die Aufgabe, die Warnungen und den Fluch aufzuheben und dabei zu helfen, den Stein zu finden. Nicht mehr und nicht weniger. Und für alles andere, war ich nicht gemacht. »Dann musst du Travis halt seine Kräfte zurückgeben«, überlegte Nathan. Ich seufzte. »Dafür brauche ich Zimo.« Ger stützte seinen Kopf auf dem Tisch ab. »Es kann doch nicht sein, dass du nicht mal die Handynummer dieses Spinners hast.« Ich verdrehte die Augen und versuchte, ihn zu ignorieren. Dann blickte ich von meinem Shake auf und sah zum Eingang des Cafés. »Wie gut, dass ich die nicht brauche. « Die Jungs sahen mich verwirrt an und folgten meinem Blick zur Tür. Wo Zimo soeben hereingestürmt war, ein altes Buch unter dem Arm klemmend und den weißen Apothekerkittel tragend, den er wahrscheinlich als »Stylisch« bezeichnen würde.
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Obscureness - Branded Player
ParanormalDer Pakt mit einem Dämon, ein Fluch, der auf Naivität basiert, die Angst um das Leben derer die sie lieben und eine Unschuldige, die in all das nicht zu passen scheint. Das sind die Dinge, die fortan Lissas Dasein bestimmen sollen. Ein plötzlicher...