"Ich habe da eine Frage, dir mir schon die ganze Zeit durch den Kopf geht.", sagte Fiona und sah von ihrem Reh auf. Die orangeroten Augen des Drachen richteten sich auf sie und nahmen einen wartenden Ausdruck an.
"Wie kann es sein, dass du dich in einen Menschen verwandeln kannst? Ich habe einen Drachen kennengelernt, der das nicht kann. Jedenfalls habe ich davon noch nie etwas gehört.", sagte sie. Drago hatte nie erwähnt, dass das ging.
"Es gibt nur einen Drachenclan, der gelernt hat, die richtigen Zauber zu sprechen, damit wir die Fähigkeit des Gestaltwandels erlangen können. Mein Clan lebt sehr zurückgezogen und beherrscht die ältesten Zauber, die bei den Menschen und anderen Lebensformen schon lange in Vergessenheit geraten sind. Zauber, die nicht in Vergessenheit hätten geraten dürfen.", sagte er leise und sah auf den leblosen und halb ausgeweideten Körper des Rehs hinab.
"Wann kehrst du zu deinem Clan zurück?", fragte sie. Ihr war nicht wohl dabei, dass dieser Clan irgendwo dort draußen irgendwelche Magie praktizierte, die keiner mehr kannte.
Wenn sie sich eines Tages gegen die Menschheit stellen würden, würde das fatale Folgen haben.
"Gar nicht. Sie verfolgen ein Ziel, das ich nicht gut heiße. Da lebe ich lieber als Außenseiter und lebe für mich, als dass ich mein Leben für die Ziele und Machenschaften des Clans aufgebe.", sagte er und schien in Gedanken weit weg zu sein.
"Hast du viele Zauber gelernt?", fragte sie neugierig.
"Ich bin der Nachfolger des Gelehrten gewesen. Er hat alle Zauber im Kopf und an mich weitergegeben."
Fiona fragte sich, weshalb er dieses Wissen so leichtfertig preisgab. Wahrscheinlich, weil er wusste, dass er sie leicht auslöschen konnte, wenn sie dieses Wissen weitergab. Er vertraute darauf, dass der Respekt den sie vor ihm hatte, ausreichen würde, dass sie den Mund hielt.Sie senkte den Kopf und überlegte, ob sie noch einen Bissen hinunterbekommen würde, ohne sich übergeben zu müssen. Sie entschied sich dagegen und legte sich in das saftige Moos am Rand der Lichtung. Mor lag mitten im Gras und schien zu schlafen, da bei jedem tiefen Atemzug den er tat, kleine Rachwölkchen aus seinen Nasenlöchern trat. Von ihrem Platz im Moos aus, betrachtete sie ihn genau. Auf seinem Kopf ragten zwei lange sanft geschwungene Hörner hervor, die dich nach hinten lehnten und teilweise seinen Hals schützten. Auf seinem Rücken verliefen kleinere Stacheln in einer geraden Linie vom Halsansatz bis zu dem Dorn an der Schwanzspitze. Seine ledernen Flügel waren sorgfältig gefaltet und während er so halb eingerollt dalag, lag einer von ihnen schützend über seinem Bauch, dort wo Drachen am empfindlichsten waren. Seine Schuppen leuchteten in der Sonne wieder in sämtlichen Farben, was sie absolut faszinierte.
Sie musterte gerade seinen Kopf und die kleinen Hörner auf seinem Nasenbein, als sich plötzlich seine Atmung veränderte. Der Rauch versiegte und verriet somit, dass er wach war, auch wenn er die Augen noch geschlossen hielt. Instinktiv sah sie woanders hin.
In ihrem Augenwinkel blitzte etwas orangerotes auf und nun sah sie ihn wieder an."Oh, du bist wach.", bemerkte sie und versuchte möglichst unschuldig auszusehen.
Er schnaubte belustigt und sah sie wissend an, bevor er das Maul aufriss und seine langen Zähne bei einem Gähnen zeigte. Es steckte an, wobei sie versuchte, ihr Gähnen zu unterdrücken.Neben seinen Zähnen sahen ihre beinah harmlos und freundlich aus. Allerdings musste man bedenken, dass er ein Drache und sie ein Wolf war. Er rollte mit den Augen, als er ihren Blick bemerkte.
"Bevor du mich noch eine Million Mal anstarrst und dabei hoffst, dass ich es nicht bemerke, kannst du mich jetzt einmal komplett unter die Lupe nehmen und ich werde es dir nicht verübeln." Wäre sie ein Mensch gewesen, wäre sie jetzt hochrot angelaufen, so peinlich war ihr die Situation.Mor lachte leise, als er ihren fassungslosen Blick sah. Hatte sie wirklich gedacht, dass er ihre faszinierten Seitenblicke nicht bemerken würde? War er so anders, als die Drachen, die sie bisher gekannt hatte?
Er kam zwar weit aus dem Norden, von einer Insel die aus Feuer und Eis besteht, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass er solche Blicke auf sich ziehen würde.
Aus seinem Clan, sahen alle in ihrer Drachengestalt so aus. Zweibeinig mit zwei Flügeln und ansonsten normalem Aussehen. Die Schuppen unterscheideten sich darin, dass sie eine ähnliche Farbvielfalt auf der Insel hatten, wie die Drachen hier auf dem Festland. Nur die Farben auf der Insel waren, soweit er wusste, dunkler. Einiger seiner Verwandten erzählten immer gern Geschichten von den Landdrachen, soviel hatte er damals aufgeschnappt.
"Es ist nur so, dass ich bisher nur vierbeinige Drachen kennen gelernt habe.", sagte sie und ihm wurde alles klar. Er hatte zwei Beine zu wenig, doch er glich seine fehlenden Vorderbeide durch die Krallen in der Flügelmitte aus. Mehr brauchte er auch nicht. Seine Verwandten hatten scheinbar doch einige lückenhafte Geschichten aufzuweisen. Ihm wurde immer weisgemacht, dass alles was dort an Wissen zusammengefasst wurde, auf ewig im Clan und nichts unerforscht bleiben würde, wenn sie etwas Neues entdeckt hatten. Er schnaubte und versuchte diesen Wahnsinn zu vergessen, der dort auf der Insel herrschte.Er setzte sich auf und sah sie lange an.
"Soll ich dich mitnehmen? Bis zum Schloss ist es ein weiter Weg und bestimmt suchen sie schon nach dir.", schlug er vor. Skeptisch sah sie ihn an.
Wie wollte er sie trantportieren, ohne dass sie sich in ihrer Wolfsgestalt an seinen Stacheln verletzte? In menschlicher Gestalt hätte sie sich zwischen zwei der kleinen Rückenstacheln setzen können ohne sich irgendwie zu verletzen. Aber in Wolfsgestalt sah das etwas anders aus. Da kamen nur die Krallen des Drachens infrage. Die oder eingefollt in seinem Schwanz zum Schloss zurückzufliegen. Sie schüttelte den Kopf und setzte sich auf. Er hatte Recht, es war Zeit zu gehen, doch würde sie in ihrer wölfischen Gestalt lieber den Waldweg nutzen.Mor lachte und deutete ihr, dass die sich umdrehen sollte. Sie tat es umd sah verstört auf ihre Kleidung, die sie am Waldrand zurückgelassen hatte.
"Wie? Wie hast du das gemacht?", fragte sie fassungslos und strich mit der Pfote über den Stoff. Er war echt.
"Einfache Teleportationsmagie.", sagte er schlicht und wandte sich ab. Zögernd nahm sie ihre Kleider ins Maul und trat hinter einen Baum. Sollte sie das wirklich tun? Sie fasste dich ein Herz und verwandelte sich schnell und zog sich ihre Hose, ihr Tshirt und ihren Umhang über. Ihren Dolch hängte sie sich locker an die Hose und trat dann hinter dem Baum hervor.Mor wartete geduldig, bis sie sich an den Gedanken gewöhnt hatte, gleich auf einem Drachen zu fliegen. Er spürte die Unsicherheit, die in Wellen von ihr ausging.
"Wölfchen, ich kann dir versichern, dass dir nichts passieren wird, solange du dich gut festhälst.", sagte er ruhig und beobachtete ihren inneren Kampf. Schließlich riss sie sich zusammen und versuchte sich daran, an ihm hochzuklettern. Manchmal sprang sie sogar hoch und versuchte eine seiner Zacken zu erreichen. Doch sie war zu klein, um auch nur in die Nähe der Zacken zu kommen.
Er musste ein Lachen unterdrücken, als sie es wieder versuchte.
Schließlich half er ihr mit seinem Flügel auf seinen Rücken, bevor er sein Lachen nicht mehr zurückhalten konnte.Sie setzte sich zwischen zwei seiner Zacken vor den Flügelansätzen, die besonders weit auseinanderlagen und klammerte sich an den, der sich vor ihr befand als Mor aufstand. Sie spürte, wie sich seine Muskeln unter ihr bewegten und wie sich die Flügel hinter ihr ausbreiteten. Sie saß weit vorne, fast genau auf seinen Schulterblättern, was sich fast schon unangenehm anfühlte. Er kauerte sich hin und machte sich zum Sprung bereit.
Wie verrückt klammerte sie sich an den kleinen Zacken und betete zu allen Göttern, dass sie nicht herunterfallen würde. Er stieß sich ab, breitete gleichzeitig seine Flügel aus und begann nach oben zu fliegen. Sie traute sich nicht die Augen zu öffnen, bis der Flug ruhiger wurde und sich Mor in der Waagerechten befand. Tief atmete sie durch und ihr Gemüt beruhigte sich etwas."Du kannst die Augen nun wieder öffnen.", ertönte Mors Stimme belustigt. Tatsächlich wagte sie es sich umzusehen. Die Sonne sank langsam tiefer, als sie plötzlich bemerkte, dass sie sich dem Schloss gar nicht näherten. Sie hätten längst da sein müssen. Das Gebirge war näher gekommen und Panik breitete sich in ihr aus.
"Wo bringst du mich hin? Wieso fliegen wir nicht zum Schloss?", schrie sie gegen den Wind. Sie hörte sich selbst kaum.
"Du musst nicht schreien. Ich höre dich sehr gut. Außerdem will ich dir etwas zeigen. Dann bringe ich dich nach Hause.", sagte er und flog weiter.
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Fiona - Erbin Larwenias
FantasyEinige Jahre sind nun vergangen, seit der Krieg beendet ist und Larwenia und die Nachbarländer in Frieden leben. Nun zieht Larwenia seine Thronerbin heran, die allerdings alles andere im Kopf hat, nur nicht ihre Pflichten als zukünftige Königin. Al...