Mor flog immer weiter Richtung Norden und ihr mulmiges Gefühl ließ langsam nach. Er flog in Richtung Hagenfels. Dem Ort in dem ihre Mutter aufgewachsen war, bis ihre Eltern gestorben waren. Sie flogen über der Staße entlang. Neben der Straße floss der Anoran, der längste Fluss in ganz Larwenia. Im Laufe der Jahrhunderte hatte er sich tief in den Stein gegraben, dass neben der Straße der Hang steil abfiel. Wenn hier jemand zu nah am Rand der Straße ritt, begab man sich in Lebensgefahr. Nicht nur die Steine im Fluss konnten für Genickbrüche sorgen, sondern auch die Strömung hatte schon dutzende Leute in den Tod gerissen.
Im Schloss flüsterten die Diener manchmal über ihre Mutter und dass es ein Wunder sei, dass sie noch am Leben war. Sie hatten oft etwas von einem Sturz vom Rand der Schlucht weiter südlich erzählt, aber wenn sie ihre Mutter danach fragte, schüttelte sie nur den Kopf und ging nicht auf dieses Thema ein. Oft hatte sie sich gefragt, ob das, was man über ihre Familie erzählte wahr war. Zum Bespiel hausierte noch das Gerücht im Land, dass ihr Onkel Nathaniel mal von Dämonenblut abhängig gewesen war, weil sein Vater es ihm heimlich als Kind ins Essen gemischt hatte.
Auf dieses Gerücht gab sie nichts mehr, denn selbst wenn es wahr wäre, wäre es immernoch Vergangenheit und die Vergangenheit konnte man nicht ändern.Mor flog langsamer und das Rauschen des Windes wurde durch das Rauschen des Wasserfalls unter ihnen ersetzt. Die Sonne hing im Westen über den Berggipfeln und färbte das Wasser, das hunterte Meter tief fiel, in ein goldenes Orange bis es in den Schatten eines Berges überging. Es erinnerte sie ein wenig an das Orange in Mors Augen. Er landete auf der Straße und trat zum Wasser, an welches durch den Damm leicht heranzukommen war. Sie blieb sitzen und betrachtete ihre Umgebung. Hier oben am steinigem Ufer des Damms wuchsen einige zähe Kiefern, die dem Ufer und der Witterung standhielten. Etwas nervös sah sie die Strase ab. Würden die Menschen sie erkennen, wenn sie hier vorbei kamen?
"Weshalb sind wir denn jetzt hier?", fragte sie und beugte sich vor. Er schnaubte amüsiert.
"Wir machen nur eine kurze Rast, dann fliegen wir weiter, allerdings dürfte das nicht mehr so lange dauern.", antwortete er und trat wieder auf die Straße. Er spannte sich an und Fiona hielt sich krampfhaft an dem Zacken vor ihr fest.
Erst als sie wieder aufrecht saß, öffnete sie die Augen. Die Sonne stand tief und strahlte über die Berge vor ihr. Sie blinzelte, da es etwas blendete. Sie spürte ganz vage die Wärme der Sonne auf der Haut als Mor langsam weiterflog. Sie atmete die immer kühler werdende Abendluft ein und genoss das Gefühl des Windes, der sie umschmeichelte. Sie ließ den Zacken los und breitete die Arme aus. Ein glückliches Seufzten entschlüpfte ihr. In diesem Moment fühlte sie sich frei. Frei von Verpflichtungen, frei von den wachsamen Blicken ihrer Eltern. Im Moment zählte für sie nichts anderes, als hier mit Mor über die Berge zu fliegen.
Auch wenn sie es nicht zugeben wollte, vertraute sie ihm in diesem Augenblick blind. Sie war so sorglos und mit diesem berauschenden Gefühl beschäftigt, dass sie Mors Blick gar nicht bemerkte, der kurz auf ihr ruhte.Plötzlich ging Mor in den Sturzflug über und panisch krallte sie sich wieder an dem Zacken fest. Seine Flügel hatte er halb angewinkelt und die Häute, die in diesem Moment nicht gebraucht wurden, flatterten nutzlos im Wind.
Ihre Geschwindigkeit nahm zu und der Boden kam rasend schnell näher. Sie hätte geschrien, doch dazu kam sie nicht. Sie schloss die Augen und hielt sich fest.Plötzlich ging ein Ruck durch den Drachenkörper und hätte sie beinahe abgeworfen. Sie riss die Augen auf und versuchte sich wieder zu fangen. Er flog wieder in der Waagerechten und flog zwischen den Bergen in einem rasenden Tempo entlang. Schließlich gelang es ihr, sich wieder richtig hinzusetzen, während Mor geradewegs auf ein schwarzes Loch im Felsen zuflog.
Es sah klein aus. Kleiner, als dass er mit ausgebreiteten Flügeln hätte hindurchfliegen können.
Kurz vor dem Loch winkelte er die Flügel an und schoss in die Finsternis.Völlige Finsternis herrschte hier nicht, wie sie es angenommen hatte. Während Mor in langsamen Kreisen nach unten flog konnte sie erkennen, dass die Sonne, die durch das Loch schien, in der Wand gespiegelt wurde.
Genauer genommen, spiegelten dutzende Edelsteine das Licht durch die komplette Höhle, sodass ein buntes Dämmerlicht herrschte. Schließlich langete Mor, während sie noch staunend auf das glitzernde Spektakel achtete."Atemberaubend, nicht wahr? Vulkanische Aktivitäten haben diese Höhle mit ihren Besonderheiten geschaffen und dabei eine Menge dieser Edelsteine entstehen lassen. Ich habe sie vor einigen Tagen gefunden.", sagte er und sah nach oben. Fiona schwang ihr Bein über den Drachenrücken und ließ sich, während sie sich noch am Zacken festhielt, langsam hinuntergleiten. Mor half ihr mit seinem Flügel hinunter auf den Boden. Unten angekommen gaben ihre Beine unter ihr nach und sie fiel. Sich mit den Armen abstützend, hockte sie auf dem Boden der Höhle und versuchte sich wieder zu fangen. Mors Kopf erschien in ihrem Blickfeld und sein Gesicht wirkte besorgt.
"Es geht gleich wieder. Das Zittern in meinen Beinen liegt an deinem Sturzflug.", zischte sie und atmete tief durch. Sein Kopf war kaum in dem Dämmerlicht zu erkennen, doch seine Augen leuchteten in der Dunkelheit, genau wie ihre. Er schnaubte belustigt.
"Ich dachte, dass dir das Fliegen Spaß machen würde.""Ds Fliegen hat mir ja auch Spaß gemacht, nur eben das Fallen nicht.", schimpfte sie und setzte sich aufrecht hin. Sie zitterte zwar noch ein wenig aber das würde schon noch vorübergehen. Schließlich stand sie auf und lief an der Felswand entlang. Ihre Finger streiften dabei immer wieder ein paar der Edelsteine, die in der Wand steckten. Sie spürte die Energie, die in den Edelsteinen steckte. Es war wie ein pulsierendes Gefühl, genau konnte man das nicht beschreiben. Plötzlich streifte ihr Finger etwas lockeres, das kurz darauf auf den Boden polterte. Die junge Wölfin bückte sich und hob es auf. Es fühlte sich klein und scharfkantig an. Sie trat damit zu Mor zurück und hielt den Stein gegen das Licht, das vom Höhleneingang immernoch hereinfloss. Es war ein kleiner blutroter Stein, der im restlichem Licht der Sonne funkelte. Er steckte noch in einem Teil des Steines der mit ihm als Ganzes aus der Wand gebrochen war. Er faszinierte sie mit seinen vielen Fazetten. Sie riss sich von dem Anblick des roten Steins los, als sich Mor neben ihr rührte.
Er streckte seine Flügel nach oben hin aus, während er zum Höhleneingang sah. Auch sie sah nach oben und stellte mit Entsetzen fest, dass die Sonne gleich untergehen würde. Sie legte den Stein weg und trat zu Mor.
"Wir müssen los, sonst machen sich meine Eltern füchterliche Sorgen." Er seufzte leise und half ihr mit dem Flügel wieder auf seinen Rücken. Als sie die Höhle verließen, sah er sich misstrauisch um, bevor er steil nach oben flog und von dort aus zurück Richtung Schloss.
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Fiona - Erbin Larwenias
FantasyEinige Jahre sind nun vergangen, seit der Krieg beendet ist und Larwenia und die Nachbarländer in Frieden leben. Nun zieht Larwenia seine Thronerbin heran, die allerdings alles andere im Kopf hat, nur nicht ihre Pflichten als zukünftige Königin. Al...