Ich sah ihr nicht lange nach. Ich wusste nicht, was mich antrieb, aber es war etwas, dass nicht aus meinem Herzen kam. Der Wille, sie zu verletzten, hatte sich wie ein Parasit in meinem Gehirn festgesetzt, und so konnte ich gar nicht anders, als diesem Verlangen nachzukommen.
Meine blutende Flanke, meine schmerzenden Pfoten und meine brennende Wange ignorierend stürmte ich ihr nach. Die Dunkelheit der Gänge wirkte auf einem nicht mehr bedrohlich, zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, zu der Dunkelheit zu gehören - nicht, in ihr verloren zu gehen. Ich brauchte auch gar nicht auf die Geruchsspur von Espasa zu achten, meine Pfoten rasten wie von selbst über den harten Steinboden. Mir war nicht klar, wohin ich wollte, aber scheinbar wusste es mein Körper.
Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber irgendwann wurde die Dunkelheit von einem hellen Lichtschein durchschnitten, auf den ich zielstrebig zusteuerte. Wie sich herausstellte, kam er aus einer Höhle, vor deren Eingang ich zum Stehen kam, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was mit mir geschah. Im Gegensatz zu dem Licht, was ich bisher in dieser Höhle gesehen hatte, war dieser Lichtschein nicht hellviolett oder weiß, sondern hatte einen eindeutigen Gelbton und flackerte leicht, von Zeit zu Zeit erlosch er komplett und blitzte dann im nächsten Moment wieder hell auf. Langsam schlich ich die letzten Schritte zum Eingang der Höhle und spitzte die Ohren. Ich konnte von meinem Standpunkt aus nicht sehen, was jenseits des Eingangs geschah, aber das, was ich hörte, konnte ich eindeutig zuordnen.
"Nicht Besonderes. Ich wollte einfach nur vorbeikommen.", hörte ich Espasa in genau diesem Moment. Sie musste sich also im Inneren der kleinen Höhle befinden. Zusammen mit Jolt, wie mir mein Gehör unmittelbar darauf mitteilte.
"Sicher? Du wirst irgendwie so, als würdest du ziemlich neben dir stehen.", meinte das Blitza. "Das ist doch sonst gar nicht deine Art. Für eine kurze Zeit antwortete Espasa nicht, vermutlich seufzte sie gerade so leise, dass meine feinen Ohren es nicht wahrnehmen konnten.
"Es ist schon wieder passiert.", meinte sie dann, leiser als zuvor. Wieder folgte ein Schweigen.
"Aber wieso?" Auch Jolts Stimme war nur noch ein Flüstern, und er klang besorgter als ich gedacht hätte. Schließlich konnten die Worte "Es ist schon wieder passiert" vieles bedeuten, aber er wusste offenbar genau, was gemeint war.
"Ich meine, wieso passiert es so oft gerade dir? Jeder andere ist seiner Macht ja genauso ausgesetzt wie du."
Ich schlich langsam nach vorne und lugte behutsam in die Höhle hinein. Der Wille, Espasa seelische Schmerzen zuzufügen, schwand merkwürdigerweise, je länger ich ihrem Gespräch mit Jolt lauschte.
In der Höhle saßen Espasa und Jolt sich gegenüber, sie hatte den Kopf gesenkt und er besorgt den Hals gestreckt, offenbar in der Hoffnung, ihren Blick auffangen zu können. Das seltsame, gelbe Licht in dieser Höhle stammte von einem runden Kristall. Die Kugel hatte etwa den Durchmesser einer Pfotenbreite von mir und war halb in die Decke eingelassen worden, aber das grelle Flackern reichte tatsächlich aus, um die komplette Höhle taghell zu erleuchten.
Espasa schüttelte genau in dem Moment den Kopf, in dem meine Blick auf sie fiel.
"Ich weiß es nicht.", meinte sie betrübt. "Aber ich bin nicht die einzige, die das betrifft...weißt du es schon? Slashy war wohl auch besessen, als er das Erdbeben ausgelöst hat, und wie es scheint hat es meinen Gefangenen auch erwischt."
Erschrocken wich ich aus reinem Reflex einen Schritt zurück. Es hatte mich auch erwischt? Und Slashy sollte besessen gewesen sein? Hieß das, dass ich ebenfalls besessen war? Aber hätte ich das nicht mitbekommen? Und von wem oder was sollte ich den bitte besessen sein?
"Wie macht er das...?", fragte Jolt mit einem Kopfschütteln. "Ich meine, bei Slashy kann man das ja noch nachvollziehen...aber du und Kaito?" Die Art, wie er meinen Namen aussprach, ließ mich zusammenzucken. "Ihr wohnt doch beide in deiner Höhle, Espa. Und die könnte doch kaum weiter vom Beschwörsaal wegliegen..."
"Ich weiß ja auch nicht, wie er das macht aber..." sie brach mit einem lauten Seufzer ab und riss den Kopf nach oben, um dem Blitza in die Augen sehen zu können. "Jolt, ich bin eigentlich hergekommen, um ein bisschen Trost zu finden."
Jolt musterte sie von oben bis unten, dann blitze etwas in seinen Augen auf. Es war etwas Warmes, aber in gewisser Weise auch etwas amüsiertes. "Also hast du mich angelogen.", stellte er dann fest, in seine Stimme hatte sich ein Unterton geschlichen, der mir irgendwie nicht gefiel. Espasa jedoch lachte leise auf, und ihr eben noch so trübes Gesicht wurde mit einem Mal von einem Lächeln erhellt. "Ja. Tut mir leid.", gab sie zu. Jolt grinste nur. Und dann tat er etwas, dass ich noch nie gesehen hatte. Nicht in dieser Form, nicht auf diese Art. Er streckte den Kopf nach vorne und drückte seine Schnauze gegen die von dem zarten Psiana. Espasa entspannte sich sichtlich und schloss ihre immer noch getrübten Augen. Und ich brauchte eine Weile, um zu erkennen, was sie da eigentlich taten.
Sie küssten sich. Jolt küsste sie.
Sie schienen es zu genießen, aber für mich erschien es einfach nur abstoßend und unnatürlich. Pokemon küssten sich nicht. Nicht auf diese Art und Weise. Wenn ein Pokemon ein anderes küsste, dann wollte es das andere entweder verwirren, es einschläfern oder ihm wehtun. man zeigte somit nicht seine Zuneigung oder heiterte jemanden auf, das tat man auf andere Arten und Weisen. Selbst ich und Glace hatten uns nie geküsst, auch wenn Vapo immer gesagt hatte, wir seien das schnulzigste Pärchen der kompletten Umgebung gewesen. Mir war zwar schon einmal zu Ohren gekommen, dass manche Pokemon das so machten, aber es sah so falsch aus, dass ich den Blick abwenden musste. Zudem sahen Jolt und Espasa so aus, wie als wollen sie lieber alleine sein.
Es war erstaunlich, dass ich absolut niemanden mehr verletzten wollte. Als ich mich umdrehte, um nach dem Rückweg Ausschau zu halten, brach dafür ein anderes Gefühl über mich herein: Schmerz. Brennender Schmerz in meiner Flanke und in meiner Wange, welcher nun durch mich fuhr und ich mit solcher Gewalt überkam, dass ich um ein Haar in die Knie gezwungen wurde. Mit einem tonlosen Japsen senkte ich den Kopf, atmete ein paar mal durch und zwang mich dann, den Blick wieder vom steinigen Boden abzuwenden. Die Dunkelheit, die nun vor mir lag, erschien plötzlich so Finster und undurchdringlich wie niemals zuvor. Erschöpft fragte ich mich, wie es mir zuvor gelungen war, mit einer solchen Leichtigkeit Espasa zu folgen, wie ich es nun einmal getan hatte.
Ich versuchte, meine Ringe zum Leuchten zu bringen, doch ich war viel zu erschöpft und verwirrt, um meine Kraft auf einen Punkt zu konzentrieren. Fragen rasten durch meinen Kopf und machten es mir unmöglich. auch nur auf eine vernünftige Idee zu kommen oder einen klaren Gedanken hervorzubringen. Wie frontal von einem Konfusstrahl getroffen stolperte ich in die Dunkelheit, ohne Ziel, ohne Antworten.
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Angel of Darkness (Pokémon FF)
FanfictionDas Leben des jungen Nachtaras Kaito, den alle seine Freunde nur Shine nennen, ist nahezu perfekt. Er hat alles, was er sich wünschen kann. Doch das Leben von Shine ändert sich rasant, als er eines Nachts in die Fänge von finsteren Gestalten gela...