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Bis plötzlich Taehyung auf den Plan trat. Kim Taehyung.

«Stehst Du eigentlich immer so abseits von Deinen Mitschülern?»

Ich schrak zusammen. Ich stand wie gewöhnlich an eine der Eingangssäulen gelehnt. Blinzelte in die März-Sonne und hing gerade meinen Plänen über ein Leben in Berlin nach, als aus dem Nichts diese Stimme erklang. Und was für eine Stimme. Dunkel, etwas rauchig. Aber angenehm in Tonhöhe und Lautstärke.

Ich drehte mich um und da stand Herr Kim. Der Aushilfslehrer fürEnglisch und Sport. Letzten Monat war er kurz von der Direktorin vorgestellt worden. Unsere bisherige Lehrerin war seit kurzem im Mutterschaftsurlaub.

«Entschuldige. Wollte Dich eigentlich nicht erschrecken. Aber das ist mir die ganzen letzten Tagen schon aufgefallen.«

Herr Kim lächelte mich zwinkernd an. Was soll denn dieses ironische Lächeln bloss bedeuten? Was kümmert es den Aushilfstypen, was ich ausserhalb des Unterrichts so mache?

Ich nickte knapp und drehte mich in die Sonne zurück.

«Ah, bist also eher der schweigsame, einsame Wolf hier im Rudel, ja?» Der Kerl war hartnäckig.

«Wolfsrudel?» Nur dieses einzige Wort kam über meine Lippen.

«Wow! Er kann reden. Da bin ich aber froh. Gebärdensprache habe ich leider noch nicht drauf.»

Ich schaute kurz zur Seite und wieder sah ich diese eine hochgezogene Augenbraue und sein Lächeln. Er lächelte breiter als zuvor und ich registrierte seine perfekten Zähne und ihr geradezu unnatürliches Weiss. Wenn ich etwas an Menschen schon immer anziehend fand, dann waren das Mund, Lippen und Zähne. Ich weiss, andere Leute schauen zuerst in die Augen oder auf die Figur. Ich liebte es, mir den eleganten Schwung einer Oberlippe anzusehen. Egal ob bei Frauen oder Männern. Und ich musste zugeben, dieser Kim hatte beneidenswert schöne Lippen. Und Zähne, nicht zu vergessen.

«Na ja, Du stehst abseits und erinnerst mich dabei an diese Filmfiguren aus Hollywood. Der einsame, aber dafür allen überlegene Aussenseiter. Was weiß ich, wie die alle heißen?Ach, warte, der fällt mir ein. Ganz neu noch. "The Revenant", glaube ich, mit Leonardo DiCaprio. Hat der nicht den Oscar dafür bekommen?»

«Keine Ahnung», sagte ich nach einer halben Minute, «ich interessiere mich nicht so für Hollywood-Stars.»

Das war etwas gelogen. Natürlich wusste ich, dass DiCaprio dafür den Oscar gewonnen hatte. Auch ich las Zeitung und war deswegen täglich im Internet. Aber was wollte dieser Kessler denn von mir? Mein Abschluss stand doch bereits fest. Als Lehrer brauchte ich ihn doch kaum. Nur noch eine weitere Klausur und die mündliche Prüfung standen aus.

«Ok. Dann frage ich mal ohne Umschweife!» Mit dem Satz stellte er sich direkt vor mich und schaute mir durchdringend in die Augen. Er war vielleicht 1,85 groß. Also, knapp fünf Zentimeter größer als ich. Er trug eine Jeansjacke und hatte eine dunkelrote Wollmütze auf, unter der seine blonden glatten Haare hervorguckten. Er nahm seine kreisrunde Brille ab und ich registrierte zum
erstem Mal seine grau-blauen Augen mit gelb-braunen sonnigen Einsprengseln in der Iris.

«Ich weiss, Du bist so kurz vorm Abi nicht mehr verpflichtet am Sportunterricht teilzunehmen, aber man hat mir erzählt, Du wärst ein verdammt guter Leichtathlet. Hättest durchaus überdurchschnittliches Potenzial beim Weitsprung und bei den 400 Meter Hürden. Stimmt das?»

«Kann sein.»

«Ah, kann sein? Ist das alles?» Die Stille, die jetzt eintrat, war geradezu unheimlich. Zwei Unbekannte schauten sich gegenseitig in die Augen und nicht einer schien den Blick durch ein Blinzeln abbrechen zu wollen. Ein Moment, wie geschaffen für eine typische Hollywood-Nahaufnahme. Man konnte förmlich die die Filmmusik unter der Szene anschwellen hören.

Normalerweise hielt diesen Blick nie einer länger als ein paar Sekunden aus. Alle, Betreuer, mein gesetzlicher Vormund, meine Mitbewohner. Egal. Nicht einer wollte oder konnte mir solange schweigend in die Augen schauen. Was stimmte denn mit diesem Kim nicht?

«Ja, aber so gut bin ich auch wieder nicht», brach ich nach gefühlten drei Minuten das Schweigen.

«Nicht so gut? Immerhin ist dieser Talentscout vom Koreanischen Leichtathletik-Bund plus dem Assistenten des Bundestrainers da gewesen. Warum bist Du da nicht drauf eingegangen? Die wollten Dich doch ins Team holen.»

«War mir aber nicht so wichtig», sagte ich nach einer weiteren Pause.

«Ok, Jeon Jungkook , dann erzähl mir doch bitte mal, was Dir wichtig ist. Was treibt Dich so um? Was hast Du nach dem Abi für Pläne?»

Jetzt wurde mir das zu viel. Was wollte Herr Kim denn bloss?

maverick - taekookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt