Teil II

304 27 17
                                    


"Wieso kommst du immer wieder hier her, Dean? Warum tust du dir das an?", er hörte Sam schon bevor er ihn sehen konnte. Dean wusste nicht, wie lange er schon neben ihm auf der Bank gesessen hatte und zu ihm runter starrte. Seine nussbraunen Augen waren voller Sorge und Mitgefühl. Dean hatte nicht bemerkt, wie er sich zu ihm gesetzt hatte, aber die Fragen die Sam stellte, waren gute Fragen.

Warum? Warum, kam er immer wieder hier her zurück? Wieso verbrachte er jeden freien Moment auf dem Spielplatz und beobachtete die spielenden Kinder? Wieso ließ er den Schmerz jedes Mal wieder so nah an sich heran und vergrub ihn nicht tief in seinem Herzen? Doch die Antwort war genauso simpel wie erschreckend. "Du willst wissen, wieso, Sammy?", seine Stimme klang rau, noch immer hatte er den Blick dem Mädchen zugewandt, dass sich nun an der kleinen Kletterwand am Klettergerüst versuchte.

Der Alkoholkonsum ließ seine Stimme noch verzweifelter und tiefer klingen. "Weil ich sie nicht vergessen will.....deswegen.", er schluckte. "Ich hab sie immer mehr vergessen.....In den letzten vier Monaten ist sie immer mehr verblasst und zu einem Geist geworden!" Die Tränen, die seine Wange hinunterliefen kümmerten ihn nicht. "Die Details verschwinden. Zuerst, welches Kleid Lil anhatte als sie eingeschult wurde, dann, warum sie immer zu mir und Cass ins Bett gekrochen war, obwohl sich unter ihrem Bett keine Monster versteckt hielten.....", seine Stimme brach ab und sein Bruder legte eine Hand auf Deans Schulter. "Dean....du kannst sie überhaupt nicht vergessen", sagte er und seine Stimme überzeugte ihn fast selbst. "Lillian war ein Teil deines Lebens, genauso wie Castiel."

Wieder so ein Name der schmerzte. Castiel..... Wie melodisch dieser Name immer geklungen hatte, wenn er sich irgendjemandem vorgestellt hatte. Dean hätte diesem Klang jahrelang zuhören können, er war ihm verfallen und hätte alles dafür getan, um es ihn noch einmal sagen zu hören, denn auch dieser Name verblasste, die Art wie er ihn ausgesprochen hatte versteckte sich im dunklen Schleier des Vergessens, ebenso wie das Lachen seiner Tochter. "Ich hab sogar Lils Lachen vergessen!", sagte Dean plötzlich, eine Decke des Schweigens hatte sich über die Brüder gelegt, während jeder seinen Gedanken und Erinnerungen nachhing. "Ich habe eben dieses Mädchen gesehen, habe ihr Lachen gehört, ich wusste, dass es wunderschön klingen sollte, aber für mich klang es falsch. Ich weiß nicht, wie es sich anhören muss damit es wieder Freude in mein Leben bringen könnte, denn Gott weiß, ich kannte nichts schöneres als Lillians Lachen. Aber wie hat es sich eigentlich angehört? War es leise, laut? Hat sie gequiekt, wenn du sie gekitzelt hast oder bekam sie einfach nur Tränen in die Augen vor lauter Lachen? Ich weiß es nicht mehr, Sammy.... Ich sitze hier und zerbreche mir darüber den Kopf, ich überlege, ob Cass ihr jemals Pfannkuchen zum Frühstück gemacht hat oder welches Bild sie mir zum Geburtstag gemalt hat, doch da ist nichts! Eine gähnende Leere, als wäre sie niemals dagewesen. Als hätten sie alle Erinnerungen, dass sie jemals existiert haben, mit sich genommen." Dean hatte sich seinem Bruder zugewandt und sah ihm in die Augen, er versuchte den Fokus zu halten, doch immer wieder ertappte er sich wie er in seine Gedanken abdriftete und Sams Stimme ausblendete. "...das weißt du, Castiel und Lillian werden immer bei dir sein, auch wenn du sie nicht siehst....", Dean starrte seinen Bruder an, aber er sah ihn nicht.

"Daddy! Sieh mal!", Lillian rannte auf Dean zu, die Arme weit ausgestreckt und die Augen weit aufgerissen. "Kuck mal! Kuck mall!", rief sie immer wieder und Dean lächelte. "Was hast du da, Kleines?", er hob sie noch im Laufen hoch und sah sich den Zettel genauer an. "Das ist Daddy! Und das bist du! Und das da ist Onkel Sammy!", sie deutete nach und nach auf die Kinderzeichnung. "Und was hab ich da in meinem Bauch?", fragte er schmunzelnd und deutete auf einen gelben Kreis in der Zeichnung. "Das ist meine Schwester", grinste Lillian und sah zu ihm rauf. Ihre hellgrünen Augen leuchteten und Dean fing an zu lachen. Es war ein richtiges Lachen, eines das von Herzen kam, nicht so eins das man anderen schenkte um höflich zu sein. "Deine Schwester?", fragte Dean und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Lillian nickte. Castiel gesellte sich zu ihnen und legte den Kopf von hinten auf Deans Schulter. "So dick hab ich dich gar nicht in Erinnerung", sagte er neckisch und legte die Arme von hinten um ihn und Lil. "Das ist ihre Schwester", sagte er und versuchte dabei völlig ernst zu bleiben, doch bei Cass' herzerwärmenden Lachen konnte er nicht anders. Sein Gesicht verzog sich ganz automatisch zu einem Grinsen und drückte sein kleines Mädchen an sich. "Tut mir leid, Prinzessin, ganz so läuft das bei uns nicht", meinte Cass leise und gab ihr einen Kuss auf den Haaransatz. "Aber ich bin sicher, irgendwann bekommst du noch eine Schwester" Lillians Augen strahlten und sie zappelte in Deans Armen. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht ließ Dean sie runter und sie lief aufgeregt zurück in ihr Zimmer. "Was sollte das denn eben.....", Dean hatte sich in Castiels Armen rumgedreht und wollte ihn wegen der Körperfülle zur Rede stellen, doch da trafen auch schon zwei volle, weiche Lippen seine eigenen und alles um sie herum war vergessen. Seine Augen schlossen sich und seine Hand rutschte über Castiels Rücken zu seinem Hosenbund. Als sich Castiel löste lächelte er glücklich. "Was wolltest du sagen?", fragte er unschuldig. "Dass ich dich liebe", hauchte Dean zurück und küsste ihn wieder.


"Dean?! Hey, Dean!", sein Bruder rüttelte an seiner Schulter. "Was?", Deans Fokus legte sich wieder auf Sam. Seine Augen brannten und er spürte, wie sich wieder die ersten Tränen ihren Weg an die Oberfläche kämpften. Sam überlegte kurz und stand dann auf. "Lass uns nach Hause gehen, einverstanden?", fragte er und sah sich um. Einige der Mütter waren stehen geblieben und starrten die beiden jungen Männer an, die auf der Bank am Spielplatz saßen. Als Dean den Blick hob, bemerkte er, dass das blonde Mädchen verschwunden war. Sicher war sie jetzt bei ihrer Mutter zuhause und aß Kekse oder naschte heimlich irgendeine andere Süßigkeit vor dem Abendessen. "Dean!", sein Bruder sah zu ihm herab und er nickte. "Ja...", seine Stimme fühlte sich an als hätte er 4 Tage am Stück nichts anderes getan als zu reden, doch eher das Gegenteil war der Fall. Seit 4 Monaten sprach er kaum ein Wort, er fraß alle Sorgen, Ängste und den ganzen Schmerz in sich hinein. Sam wusste nicht was in seinem Bruder vorging, wusste nicht wie er ihm helfen konnte, er konnte nur dafür sorgen, dass Dean neben dem ganzen Alkohol auch noch feste Nahrung zu sich nahm.

Es dauerte einige Zeit, bis Dean sich endlich erhoben hatte und sie den Heimweg antreten konnten. Hin und wieder stützte Sam seinen großen Bruder, doch schließlich kamen sie auch zuhause an. Das Haus war groß, viel zu groß für zwei. Natürlich, schließlich war es auch für 4 gedacht gewesen. Sam hatte sich neben der Jagd auch noch einen Job gesucht, damit sie all das bezahlen konnten ohne auf die Kreditkarten anderer zurückgreifen zu müssen. Dean taumelte durch die Tür und stützte sich am Rahmen ab, er schloss die Augen und sog den Duft in sich ein.

Nichts....

Er lauschte einen Moment, doch nirgends drang ein Laut aus einem der Zimmer. Was hatte er erwartet? Castiels einzigartigen Geruch nach Erde und seinem ausgewaschenen Trenchcoat  oder ein leises Kichern von Lillian, die sich wie so oft beim Versteckspielen verraten hatte?

Dean wusste es nicht, nach 4 Monaten war da nichts mehr, nur noch ein stilles, viel zu großes Haus mit viel zu vielen Erinnerungen.

Thousand Years - Destiel #SpringAwards18Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt