Teil VI

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Dean hatte den Wagen verlassen und stand draußen an die Motorhaube gelehnt. Die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel herab und ließ die Luft über der Straße flimmern. Unter anderen Umständen hätte Dean Winchester diese Aussicht vielleicht genossen, die weite Straße, die sich in der Ferne verlor bis sie am Horizont schlussendlich verschwand, vor sich, die weiten leeren Felder und das Ödland neben sich. Die Sonne würde auf sein Gesicht scheinen und er wäre mit sich und der Welt im Frieden, doch so war es nicht.

Sein T-Shirt klebte an seiner Haut, getränkt von Schweiß und Tränen, die hin und wieder durch seine Finger und in den schwarzen Stoff sickerten. Eine Brise, genauso heiß und beißend wie die Luft um ihn herum, ließ sein olivgrünes Hemd kurz flattern, ehe es sich wieder an seinen Körper schmiegte. Was tat er hier eigentlich? Wieso stand er hier auf der Straße, das Gesicht in den Händen vergraben? Seine Finger wanderten nach oben, fuhren ihm durch das mittlerweile viel zu lange, nasse Haar und er starrte nach oben. Kein Wölkchen war am Himmel, die Sonne teilte sich den Himmel nur mit einigen Vögeln, die in der Mittagshitze ihre Beute suchten. Irgendwo da oben, dachte er, irgendwo dort sitzt sie jetzt und wartet auf uns. Sie wartet auf Castiel und mich..... Aber wir werden nie kommen, ob es sie wohl traurig macht? Oder hatte sie ihren eigenen Himmel? Hatte Lillian vielleicht ihren eigenen Dean und ihren eigenen Castiel, die sie Tag für Tag in den Arm nahmen und Geschichten erzählten? Oder sah ihr Himmel vielleicht ganz anders aus? Vielleicht brauchte sie sie überhaupt nicht......

Der Gedanke zerschmetterte ihn. Es war, als hätte sich die Erde unter ihm aufgetan und ihn verschluckt. Über ihm schloss sich die Erde wieder, Stein um Stein und presste ihm die Luft aus den Lungen. Schwer atmend öffnete Dean die Augen, die Sonne blendete ihn. Sams Worte drangen an sein Ohr und er versteifte sich. Es war alles umsonst.... Man konnte es nicht wirklich als Bemühungen ansehen, aber es war alles was Dean hatte tun können. Alles so weit von Sammy fernzuhalten wie nur möglich, sich selbst von ihm fernzuhalten.

Durch das rausziehen des Schlüssels hatten die Fenster des Impalas nicht mehr ganz geschlossen und die Worte konnten mühelos bis an Deans Ohr dringen. Sam hatte recht, Gott er hatte mit jedem einzelnen seiner Worte genau ins Schwarze getroffen, er war ein seelisches Wrack, er bekam sein Leben ohne Castiel nicht mehr auf die Reihe, seine Gedanken schwirrten jede wache und nicht wache Sekunde um seinen und Lils Tod. Was war passiert? Wieso war Cass überhaupt angegriffen worden und von wem? Wieso wurde Castiels Leiche zur Polizei gebracht? Warum hatte Lil mit schweren Verletzungen im Krankenhaus gelegen und war nicht bei Cass gewesen? War sie vor irgendwas weggelaufen oder irgendjemanden?

Fragen über Fragen, alle wollten beantwortet werden, doch keine Antwort passte. So sehr Dean sich auch bemüht hatte eine plausible Erklärung zu finden waren die Ergebnisse noch so schlecht wie am Anfang seiner Suche. Ein unvollständiges Puzzle, das Dean nicht lösen konnte. Zwar hatte er die Eckstücke und einige Teile des Randes, doch es ergab sich kein Bild. In der Mitte klaffte ein riesiges schwarzes Loch, das jeden Lösungsversuch sofort verschluckte. Seine Finger umklammerten wieder das kühle Metall an seinem Finger, er hatte ihn nicht abgenommen. In keiner Sekunde hatte er sich von diesem Ring getrennt, die irreale Angst, er könnte ihn verlieren oder er könnte ihm geklaut werden, wenn er ihn nicht stets bei sich trug, hatte sich in ihm festgesetzt. An diesem Ring hingen so viele wunderschöne Erinnerungen und wer weiß, vielleicht würden auch sie eines Tages in einer seiner Sekunden aufblitzen. Diese eine Sekunde, in denen er fühlen konnte, in denen er Castiels Nähe spüren und Lillians Lachen hören konnte. Diese eine Sekunde, in der er vergaß, was alles geschehen war, in der er ihren Tod aus seinen Gedanken verbannen konnte und einfach glücklich war, nur um dann mit reißender Geschwindigkeit in die brutale Realität zurückgerissen zu werden. Um den Schmerz seines Verlustes noch einmal zu spüren und Castiels Augen in der Dunkelheit seiner Seele verblassen zu sehen.

Dean hatte es geschafft aufzuhören. Die Tränen trockneten auf seinem Gesicht und hinterließen nur den altbekannten salzigen Geschmack auf seinen Lippen. Er überlegte noch einen Moment, ob er schon bereit war, wieder in das Auto zu steigen, zu Sam, der ihn mit Blicken durchbohren würde und Gabriel, der ihm mitfühlend die Hand auf die Schulter legte, um ihn wissen zu lassen, dass er wusste, wie er empfand. Doch die Wahrheit war, das wusste er nicht. Er wusste nicht, wie es sich anfühlte, wenn man nach Jahren der Einsamkeit und stillen Begierde endlich seinen Wünschen nachkommt. Wie es sich anfühlt wenn all seine Träume in Erfüllung gingen und sie von einer Sekunde auf die andere einfach in Scherben vor einem lagen. Er wusste nicht, wie sich das immer größer werdende Loch in seinem Kopf anfühlte, zu vergessen was für ihn einmal so wichtig gewesen war! Gabriel wusste auch nicht, wie schuldig Dean sich deswegen fühlte. Die Erinnerungen die immer mehr verblassten, er gab sich die Schuld, er glaubte, er wäre schuld, dass sie verschwanden, immer blasser wurden und schließlich vollends in der Dunkelheit verloren waren. Es fühlte sich an wie Verrat, fast schon schlimmer, es war die Angst zu enttäuschen. Castiel zu enttäuschen, weil er sein Leben nicht mehr auf die Reihe bekam und er auch keine Gefühle mehr zulassen konnte. Es war Monate her, dass er das letzte Mal richtig gelacht hatte, er erinnerte sich noch daran, als wäre es gestern gewesen, die Erinnerung war so frisch wie die blutenden Wunden, in die man immer wieder Salz streute. Wenn er jedoch versuchte dieses Lachen wieder für sich zu entdecken, schmerzte es ihn mehr als das es ihn glücklich machte. Er wollte nicht glücklich sein, nicht ohne seine Familie und seine Familie war fort. Sein gesamtes Glück hatte sich zum Schlechten gewandelt, es war wie verhext, womit hatte es nur begonnen? Wie hatte es soweit kommen können? Alle waren sie gegangen, seine Mutter, sein Vater, Bobby, Ellen und Jo, Kevin, sie alle hatten ihn verlassen. Alle, bis auf seinen kleinen Bruder.

Thousand Years - Destiel #SpringAwards18Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt