Wild

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51. Kapitel

Die Sonne schien mir mitten ins Gesicht, als das Taxi vom Flughafen wegfuhr. Ich schloss die Augen und ließ die Sonnenstrahlen mein Gesicht wärmen. Sie prickelten auf meiner Haut.

Ich war kurz davor einzunicken nach dem langen Flug, da machte sich mein Handy auch schon bemerkbar. Genervt stöhnte ich auf und nahm es aus meiner Hosentasche.

WO BIST DU? Meine Mutter schien wirklich sauer zu sein. Ein Grinsen konnte ich mir da nicht mehr verkneifen, denn jetzt konnte mich wirklich nichts mehr davon abhalten, meinen Vater endlich treffen zu können.

Ich entschied mich dafür, ihr erst einmal keine Antwort zu geben. Sie verdiente keine Antwort. Noch nicht.

Die Zeit im Taxi kam mir unendlich lang vor. Die Stunde war nicht eine Stunde für mich. Es fühlte sich an wie ein ganzer Tag, den ich in diesem Auto verbrachte.

Leise hörte Linkin Park in meinem Ohr und summte vor mich den Song hin. Lange Zeit fuhren wir nur einen holprigen Feldweg entlang. Immer wieder schlug ich mir den Kopf am Fenster an und fluchte immer wieder über mich. Der Fahrstil des Taxifahrers ließ aber auch noch zu wünschen übrig.

Dann war es soweit. Der Fahrer legte eine strikte Vollbremsung ein und das Auto blieb stehen.

„2 284.56 ZAR", sagte der Fahrer schließlich und blickte mich wartend an.

Ich seufzte kurz auf. Nach diesem Trip würde ich definitiv vollkommen pleite sein. Keine Frage. Schnell gab ich ihm das Geld und sprang sogleich aus dem Wagen. Er half mir noch den Koffer aus dem Kofferraum zu holen und verschwand dann wieder im Auto. Mit großen Augen sah ich um mich. Um mich herum befanden sich einzelne Palmen. Vor mir stand ein etwas älteres Haus, gebaut aus Holz mit Fenstern, auf dessen Fensterbrettern bunte Blumen standen, die dem ganzen etwas Stimmung gaben. Daneben stand ein weiß gestrichenes Haus, welches schon hochwertiger aussah. Ich blickte noch einmal auf den Zettel, auf dem die Adresse stand und verglich sie mit dem Schild an der Straße. Das war definitiv mein Ziel.

Erneut stauten sich Gedanken in mir an. Noch war es nicht zu spät, all das abzublasen. Ich könnte die Zeit auch woanders verbringen. Ich könnte. Doch ich wollte meinen Vater kennenlernen und jetzt würde ich ihn auch kennenlernen.

Ich nahm noch einen tiefen Atemzug und lief auf das Holzhaus zu. Meine Schritte waren unglaublich langsam. Ich hatte einfach Angst, vor dem was mich erwarten würde. Vielleicht wollte mich mein Vater gar nicht mehr. Vielleicht war es auch schon längst zu spät.

Dann öffnete ich die Tür des kleinen Häuschens. Eine Glocke ertönte und die Tür fiel zurück.

Sofort stieg mir der alte Geruch des Hauses in die Nase. Doch auch Kaffee war deutlich zu riechen.

Schließlich hörte ich das Zusammenfalten einer Zeitung vor mir und eine Frau, welche geschätzt gerade durch ihre Sechziger ging, stand hinter der Theke. Ein Lächeln lag auf ihren Lippen und sie strich sich die blonden Haare aus dem Gesicht.

„Womit kann ich dir helfen, Liebes?", fragte sie mich mit einem sanften Lächeln. Ich erwiderte ihr lächeln freundlich und fragte höflich: „Ich suche nach einem Jonathan Fryer."

Sie überlegte nicht lange und antwortete dann: „Jonathan ist momentan nicht hier. Er wird wahrscheinlich heute Abend hier bleiben. Soll ich ihm etwas ausrichten?"

Das waren jetzt definitiv keine guten Neuigkeiten. Was sollte ich denn den ganzen Tag in Kapstadt ohne wirklich Geld machen? Ich schien zu lange zu überlegen, denn plötzlich unterbrach sie meinen Gedankengang.


„Moment, bist du nicht Gracie von der britischen Königsfamilie?", fragte sie mich grinsend.

„Ich bevorzuge Grace", antwortete ich lächelnd und nickte langsam.

„Was suchst du den in hier in Südafrika?", fragte sie mich und sah nachdenklich zur Decke des kleinen Raumes.

„Meinen Vater", antwortete ich gerade hinaus.

„Deinen Vater?", fragte sie und zog die Augenbrauen hoch. Auf einmal schien es Klick in ihrem Kopf zu machen und ihre Augen wurden groß.

„Du bist Grace", sie sah mich erstaunt an. „Du bist die lang vermisste Tochter von Johnny", ihre Augen schienen immer größer zu werden.

Schließlich lief sie um die Theke herum und steuerte geradewegs auf die Sitzecke hinter mir zu.

„Grace, setz dich", bat sie mich und lächelte sanft. Ich ließ meinen Koffer an der Theke stehen und setzte mich gegenüber von ihr auf einen der Sitzsäcke.

„Du bist genauso wunderschön, wie er dich beschrieben hat", umschmeichelte sie mich und ich musste lachen.

„Er hat von mir geredet?", ich blickte sie fragend an.

„Jeden Tag. Es vergeht kein Tag, an dem er kein Wort von dir verliert", antwortete sie grinsend.

Erstaunt sah ich sie an. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich hätte mehr mit Vergessenheit gerechnet, dass er mich längst aus seinem Gedächtnis gestrichen hatte.

„Soll ich dich herum führen?", fragte sie mich plötzlich aus allen Wolken. Was meinte sie denn jetzt damit?

„Wie?", verwirrt blickte ich sie an.


„Das hier ist eine Wildauffangstation. Dein Vater hat die mittlerweile größte Station in ganz Südafrika aufgebaut. Ach ja und mein Name ist übrigens Amandla", meinte sie grinsend und klopfte mir auf die Schulter.

„Grace", erwiderte ich ebenso grinsend und folgte ihr aus der Tür.

Wir liefen über einen steinigen Weg. Von weiten erkannte man bereits Gehege und vereinzelt kleine Häuschen.

„Dein Vater gründete diese Auffangstation vor etwas mehr als elf Jahren. Hier leben alle möglichen Tiere", erzählte sie mir lächelnd.

„Werden die Tiere wieder in die Freiheit zurückgelassen?", fragte ich sie interessiert.

„Leider können es nicht alle Tiere. Es gab auch schon Fälle, in denen Tiere zurückkamen", sie lachte auf und schien sich zu erinnern.

Dann schloss sie eine Tür zu einem Haus auf und ließ mir den Vortritt. Unter einer Wärmelampe, auf Stroh lag ein kleines Giraffenbaby, welches nun munter zu uns sah.

„Das ist Zara. Wir haben sie vorgestern am Straßenrand gefunden. Sie hat ein gebrochenes Bein, was man an ihrem Gips erkennen kann. Sonst ist sie aber recht munter", meinte Amandla und lächelte das Kleine sanft an.

„Darf ich es streicheln?", fragte ich sie unsicher.

„Klar", antwortete sie und ging in die Hocke. Ich tat es hier gleich und nahm kleine Schritte, um dem Kleinen näher zu kommen. Dann strich ich vorsichtig über das Fell der Giraffe.

Vor einer Stunde hätte ich mir so etwas nicht einmal erträumen können.


Royal FakeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt