Kapitel 6

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„So eine Scheiße", das wütende Mädchen sprang mit einem Mal auf.  „Was zum Teufel glauben die eigentlich, wer sie sind? Oder wer ich bin? Die-... Dieser hochnäsige Affe, mit seinem blonden Haar, - das er lieber hätte im Wind wehen lassen sollen, anstatt uns hier einzubuchten! Er hat sie doch nicht mehr alle! Und der andere. Prinz Loki von Asgard - von Arschloch, wenn du mich fragst.", sie ging geladen auf und ab. „Bei Satan.", murmelte sie. In der gegenüberliegenden Zelle herrschte Stille. Nur das leise Ein- und Ausatmen war zu hören. Gedämpft hörte Mary-Lou das Gefluche ihrer Freundin.
Sie hatte ein seliges Lächeln auf den Lippen. „Er hat mich angesehen.", wisperte sie entzückt. Ihr Kopf sank ihr in den Nacken und sie schloss genießerisch ihre Augen. Noch immer fluchte das Mädchen in der gegenüberliegenden Zelle.
„Er hat sogar mit dir geredet.", warf sie ein. Und begann dann wieder mit wüsten Beschimpfungen.
Mary-Lou verdrehte ihre Augen. Ein Gedanke hüpfte plötzlich in ihrem Kopf herum. „Madeleine!", rief sie leise. Madeleine hörte sie nicht. Sie hatte sich in ihre Beschimpfungen und Verwünschungen hineingesteigert. Mary-Lou atmete tief ein. „Madeleine!", das andere Mädchen stoppte.
„Was?", schoss sie los und wollte sie auch schon anfangen, anzuschimpfen.
„Sieh dich doch mal um. Es hat funktioniert! Wir sind in Asgard! Wir haben Odin gesehen. Thor und Loki haben mit uns gesprochen! Wir haben es geschafft. Wir sind da, wo wir sein wollten und du regst dich auf!", nun hatte sich auch das eher ruhige Mädchen in Rage geredet. Dafür hatte sie nun die Aufmerksamkeit der anderen. „Ich will meine Zeit in Asgard aber nicht im Knast verbringen.", protestierte die andere ebenfalls lautstark. Doch die Angesprochene, welche während des Konters aufgestanden war, legte sich nun längs auf die Barre und starrte wieder die Decke an. Wie eben als sie eine erleuchtende Feststellung gemacht hatte.
Dass Loki sie angesehen hatte. Madeleine schüttelte den Kopf. Sie wusste, wenn sie jetzt was sagen würde, es eh nicht zu ihr durchdringen würde. Sie war schon wieder in Gedanken bei ihrem angeblich einzigartigen, grünäugigen Asenprinzen. Sie konnte den Typen nicht ausstehen. Die nach hinten in den Nacken gegelten Haare, die hohen Wangenknochen, welche ihm ein starkweibliches Aussehen verliehen, die schmale Statur. Überhaupt nicht ihr Typ. Aber am Schlimmsten fand sie seine selbstgefällige Art. Das machte sie so wütend, dass ihre beste Freundin nur seinen Namen erwähnen musste, um ihr ein Augenrollen zu entlocken. Da war ihr der blonde Prinz lieber. Nicht nur seine selbstüberzeugte Art, welche ihn manchmal in Schwierigkeiten brachte, auch die Art, wie er mit Frigga, Jane und sogar Odin umging, ließ ihre Sympathie und ihre fanatische Ader für den Thronfolger Asgards ins Unermäßliche steigen. Mal ganz abgesehen von den morphofalterblauen Augen. Auch sie geriet nun ins Schwärmen, über seine muskulösen Arme. Durch die entstandene Ruhe schallte ein leises, unterdrücktes, gurgelndes Lachen in die Kerker Asgards.
„Madeleine.", flüsterte Mary-Lou leise kichernd. Das andere Mädchen hörte sie nicht. Die magische Wand war schalldämmend. „Madeleine!", sie setzte sich auf. Jetzt schenkte Madeleine wieder ihrer kichernden Freundin ihre Aufmerksamkeit und kam damit glücklicherweise von der Frage weg, wie geschickt Thor mit seinem Körper umgehen konnte. Obwohl sie echt gerne darüber sinnierte, war es nun doch wohl etwas unangebracht, darüber nachzudenken. Ihr Blick legte sich auf den kichernden Körper ihrer besten Freundin.
„Was ist denn?"
>Lass es bitte kein Mime sein. Es ist bitte kein Mime!
„Wir wissen es immer noch nicht.", prustete Diese komplett zusammenhangslos los. „Wir wissen immer noch nicht, wie sich Thors Hammer anhört, wenn er ihn schwingt.", setzte das braunhaarige Mädchen hinterher. „Nachher macht er wirklich ‚ökl ökl ökl‘. Wie so‘n uralter Wagen mit Motorschaden.", jetzt konnte sich das Mädchen kaum noch vor lachen halten und lag mehr oder weniger lachend auf dem Boden der Zelle. „Stell dir vor, er kommt auf dich zu und sagt: ‚Ich muss los, die Welt retten‘. Dann ruft er Mjölnir und es kommt nur ‚ökl ökl ökl‘.", sie begann zu lachen. Und kaum dass sie sich wieder beruhigt hatte, fing sie wieder an. „Blödes Kopfkino.“, schob sie atemlos ein.
Madeleine stand nur baff in der Zelle. Oh ja, den Insider kannte sie. Aber wie ihre beste Freundin mitten in einer asischen Zelle darauf kam, war ihr ein Rätsel. Wahrscheinlich wusste Mary-Lou es selbst nicht einmal, vermutete sie. Doch als auch ihr Gehirn nach der undetaillerten Beschreibung anfing, aus Farben und Formen Bilder zu bilden, waren die fassungslosen Dämme gebrochen. Madeleine stand in ihrer Zelle und lachte was das Zeug hielt.
„Und-", weiter kam sie unter Lachanfällen nicht. „Und dann springt er von-", schon allein die Vorstellung ihres unbeendeten Satzes war totale Panne. „Von ‘nem Balkon und stürzt mit seinem Hammer ab!", brachte sie endlich ihren Satz zu Ende. Jetzt kugelte sich auch ihre Leidensgenossin auf dem Boden. Immer noch lachten sich die beiden schlapp, kugelten sich zu immer neuen Hammerpannen auf dem Boden. Nur leise bekamen sie die Randale aus einer der hinteren Zellen mit. Mit einem Mal stand zwischen ihnen ein riesiger Typ, der verwirrt zwischen ihnen hin- und herblickte. Er war am ganzen Körper blau, hatte blonde polange Haare und trug einen einfachen Lendenschurz. Seine Haut war mit hellblauen Bildern verziert, meist sahen sie aus, wie Blumen.
Immer wieder sah er zwischen den beiden Mädchen hin und her, welche erst jetzt ein wenig runterkamen und den Gast bemerkten. „Hi.", meinten beide gleichzeitig, sahen sich kurz an und wandten sich gleich wieder dem blauen Wesen zu.
„Wer bist du?", fragte dann aber die Kleinere der beiden. „Du siehst nicht wie einer der Wachen aus. Warte, warte, warte! Du bist ein Gefangener! Du bist ein ausgebrochener Gefangener!", kicherte sie.
Madeleine beruhigte sich währenddessen. „Die Frage ist doch eher, wer ihr seid. Man nehme Ihnen nicht das asische Geschlecht ab.", meinte der Blaue gestelzt und ein wenig überheblich.
„Wie bist du aus der Zelle raus?", fragte Madeleine verwundert, ohne auf seine Gegenfrage einzugehen. Sie hatte es schließlich mit roher Gewalt versucht. Sie hatte sich zwar nicht verbrannt oder anderweitig verletzt - wie man es an den Narben des Blauen sah - aber kaputt hatte sie die magische Wand nicht bekommen.
„Durch den fantastischen und genialen Verstand des Jeanor.", antwortete dieses offensichtlich männliche Wesen stolz.
Verwirrt richtete sich nun auch Mary-Lou auf. „Wer ist Jinor?"
Der Blaue stemmte empört die langen Arme in die schmale Hüfte. „Jeanor. Und der wäre dann meine Wenigkeit.", Madeleine prustete leicht los. Jetzt hatte er sich auch noch seine blonden Haare über die Schulter geworfen.
„Sorry. Ich sehe hier nur eine allzu große Schlumpfine.", meinte sie ernst und kassierte einen fassungslosen Blick aus den gelben Augen des „Jeanor“.
„Naja, eher einen blonden Avatar ohne magischen Tentakelspitzen an den Haaren. Aber er ist viel kuhler. Er hat sich Blümchen tätowiert.", fügte Mary-Lou hinzu. Da schmiss der „Jeanor“ die Arme in die Luft.
„Wie könnt ihr es wagen! Jeanor hatte erstmals gedacht, fröhlich Gesellen mitzunehmen und zu befreien, aber unter solchen Zumutungen.", er schüttelte den Kopf. „Der einzig Freie wird seinen Weg ohne lustige Gesellen bestreiten.", meinte er noch und begann, zu gehen. "Ich empfehle dir den linken Aufgang zu wählen.", zitierte da Mary-Lou ihren Lieblingsprinzen.
Der Flüchtende drehte sich noch einmal um, sah sie prüfend an. „Was haben lustige Geselle wie ihr hier verloren? Wart ihr unwürdig, der gehoben Gesellschaft die Stirn zu bieten?"
„Öhm, nö.", schnarrte Mary-Lou. „Madeleine hat den Wachen befohlen, dass die Prinzen uns zum Allvater begleiten und sie konnten sich dagegen nicht wehren. Dann haben sie sich entschuldigt und die Prinzen uns begleiten lassen.", zuckte Mary-Lou mit ihren Schultern.
Die Augen von Jeanor weiteten sich. „Du bist das Tiergeflüster!", hauchte er erstaunt. Verwirrt sahen die Mädchen ihn an.
„Wie? Sie soll was sein?", sprach Madeleine Mary-Lous Gedanken aus.
Doch der Blaue schüttelte nur mit dem Kopf. „Auf Wiedersehen", murrte er schnell und ging - Mary-Lous Tipp folgend - die linke Treppe hinauf und verschwand aus dem Sichtfeld der Mädchen.
„Komischer Typ.", äußerte sich Madeleine als erste. Mary-Lou stimmte mit einem „Hmm" abwesend zu. „Ase müsste man sein. Dann wüssten wir, was er war. Er sah ja wirklich aus wie so'n tätowierter Avatar.", versuchte Madeleine nochmal ein Gespräch zu Mary-Lou über den Flüchtling aufzubauen, nahm sogar ihre Assoziation über das Aussehen des Blauen wahr. Doch hatte diese sich bereits abgewandt und sich wieder auf die Bank gelegt.
Warum ein leichtes Lächeln Mary-Lous Lippen zierten, konnte sie nicht verstehen. Dass Mary-Lous Gedanken bei der Aussage des Jeanor waren, konnte sie ja mehr schlecht als recht wissen. Mary-Lou grübelte über die Worte des Blauen nach. Sie war das „Tiergeflüster“. „Was bei Loki ist ein Tiergeflüster?", raunte sie leise.
Plötzlich ertönten schnelle Schritte und laute Rufe durchschnitten die Stille im Kerker. Da standen an der Stelle - wo vor drei Minuten noch Jeanor stand - nun drei Wachen. Silberne Rüstungen und goldgelbe Umhänge, Helme mit nach innengedrehten platten Hörnern zierten ihre Erscheinung. Unverkennbar. Leicht außer Atem hielten sie an und besahen sich die gefangenen Mädchen kritisch.
„Weiber!", rief ein Älterer der Gruppe. Die Mädchen ignorierten sie. So ließen sie nicht mit sich reden. „Habt ihr einen blauen Gefangenen gesichtet?", fragten sie nun etwas höflicher und nahezu versöhnlich gestimmt. Die Midgarderinnen hatten ihnen den Rücken zugedreht. Nur die Braunäugige zeigte über ihre Schulter auf die rechte Treppe, durch die sie gekommen waren. Sie blickte über ihre Schulter als die Wachen schon im Begriff waren, zu gehen.
„Habt ihr wen verloren?", fragte sie grinsend nach. Eine der Wachen schnaubte erbost auf, doch sie eilten weiter die rechte Treppe hinauf.
„Midgardinnen.", sie wurden plötzlich von einer rauen Stimme angesprochen. Es war, widererwarten, eine Wache, die sich zu ihnen gesellte. „Ich wurde Ihnen als Wache und als Schutz im Auftrag Tyrs zur Seite gestellt.", erklärte die Wache ihr auftreten.
Madeleine richtet sich empört auf. „Wir mögen vielleicht Mädchen sein und eventuell auch Midgardinnen, aber wir sind nicht wehrlos!", bockig setzte sie sich im Schneidersitz hin. „Und außerdem sitzen wir in dieser bescheuerten Zelle." , grummelte sie weiter.
Mary-Lou hatte währenddessen die Wache besser in Augenschein genommen. Sie hatte braune Haare, welche leicht verstrubbelt unter dem Helm herauslugten. Abgesehen von seiner normalen Rüstung unterschied ihn nicht viel von einer normalen Wache, außer das am Rande seines goldenen Umgangs ein grüner Streifen war, der sich einmal bis zum Boden zog, den Saum umschloss, um auf der anderen Seite bis zur Schulter zu reichen. Jetzt fiel ihr auf, dass auch an anderen Rüstungsteilen ein ebenso grüner Streifen auftrat. „Wer bist du?", fragte sie. Immer noch die grünen Streifen auf der Rüstung ausmachend.
„Mein Name ist irrelevant.“, winkte er ab. „Ich wurde hierherbestellt und werde nur auf Anweisung der Prinzen von meiner Plicht erlöst.", stellte die Wache klar. Madeleine wandte sich wieder ab. Um mit einer Wache zu sprechen, hatte sie jetzt keine Motivation.
„Warum hast du grüne Streifen auf deiner Rüstung?", fragte Mary-Lou neugierig.
„Irrelevant.", stur wandte sich die Wache ab und setzte sich an die Zellenwand von Mary-Lous Zelle.
Er legte den Kopf an und schloss die Augen. „‘Ne feine Wache haben wir da.", meinte Mary-Lou. Auch Madeleine wandte sich nun wieder dem Gang zu.
„Wie sollst du uns denn beschützen, wenn du aufm Boden sitzt?", fragte sie ärgerlich. Die Wache fing an, zu schmunzeln.
„Es ist egal, von welcher Seite die Bedrohung kommt. Ich werde rechtzeitig auf den Beinen sein, da ich von hier aus alles im Blick habe und sich niemand von hinten anschleichen kann.", rechtfertigte sich die Wache.
Madeleine und Mary-Lou wechselten nur einen zweifelnden Blick. Doch auch sie setzten sich und warteten. Den etwas anderes konnten sie derzeit auch nicht tun.

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