Förderschulklassenfahrt

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Albrecht und Steven haben jetzt seit etwa einer Woche nicht miteinander geredet. Was verständlich ist, da Albrecht allein dafür verantwortlich ist, dass Steven seinen Job verloren hat. Steven hat uns alle zur Trauerfeier eingeladen. Außer Albrecht. 
Die Trauerfeier war ein totaler Reinfall, da wir sie in Albrechts Kneipe abgehalten haben. Steven hätte ja nicht ahnen können, dass Albrecht dann doch kommt.

Jedenfalls dachte ich mir, dass sich das Klima in unserer WG wieder bessern muss. Und das geht immer noch am besten mit gemeinsamen Urlaub! Da wir gerade sowieso alle arbeitslos sind, muss ich mir auch keine Sorgen machen, dass die anderen drei keine Zeit haben.

Ich begebe mich also zum lokalen Reiseveranstalter und lasse mich informieren.

"Wir könnten ihnen 3 Wochen auf einer Mittelmeer Kreuzfahrt anbieten, die genau auf solche Angelegenheiten ausgelegt ist. Ihr vier erhaltet genügend Zeit voneinander getrennt, werdet aber immer wieder zusammengeführt um so an euren zwischenmenschlichen Beziehungen zu arbeiten. Die Angebote beinhalten: gemeinsames Kochen, Jet-Ski fahren und ein Sandburgen-Seminar. Auf TripAdvisor hat das Angebot die volle Punktzahl erreicht" erklärt mir die nette Reiseveranstalterangestellte. 
"Joa, das klingt doch ganz nett. Was würde das denn für vier Personen kosten?" frage ich naiv.
Die Dame nennt eine Zahl, die wir im Matheunterricht nie durchgekommen haben. Hab' mein Abi ja in NRW gemacht.
"Oh. Aha. Soso." stammele ich, und tue so als würde ich meine finanziellen Möglichkeiten abwägen.
"Haben wir da auch eine Alternative für... sagen wir.... Geringverdiener?" 
Die Dame kratzt sich mit ihrem FDP Kugelschreiber den Kopf.
"Was für'n Ding?" fragt sie.
"ARME LEUTE!" sage ich, um ihr deutlich zu machen, dass es auch Leute gibt, die nicht jeden Mittwoch Immobilien shoppen gehen.
"Ach, sowas gibt's noch? Verrückte Welt! Haha!" 
Sie lacht. 
Ich nicht.
"Nun ja, wir hätten da schon was... günstiges..."

Am nächsten Morgen habe ich alle drei in der Küche zusammengerufen.

"Mit Freude möchte ich euch mitteilen, dass ich eine kleine Überraschung für euch habe! Wir fahren in den Urlaub! Aber ich sage noch nicht wohin!" sage ich, um das ganze etwas mysteriöser zu veranstalten.

"Ja, ich glaube das könnte mich auf andere Gedanken bringen..." sagt Steven.
"Wo könnten wir denn hinfahren... also England schließe ich aus, du weißt, dass ich da schon viel zu oft gewesen bin"

Eine Woche später kommen wir in London an. Steven ist sichtlich genervt, versucht dies aber zu unterdrücken. Alex ist etwas blass im Gesicht. Aufgrund der Geldknappheit mussten wir mit dem Bus hierher. Etwas, das Alex überhaupt nicht haben kann. Albrecht hingegen scheint recht fröhlich zu sein und checkt auf Google Maps schon fleißig die Hotels in der Nähe aus. 

"Ich freu mich schon, wenn wir gleich im Hotel ankommen." sagt Steven ziemlich erschöpft
"Das ganze hier erinnert mich an die Klassenfahrten von früher" fügt Albrecht hinzu und bekommt das Grinsen kaum aus dem Gesicht.
"Ich hab die Jugendherbergen immer gehasst. Zum Glück sind wir in einem ordentlichen Hotel" versucht Alex zu sagen, der sich aber nach diesem Satz sofort übergeben muss.

Als wir in der Jugendherberge ankommen müssen wir uns die Betten aufteilen. Wir haben ein Doppelbett und ein Hochbett.
"Ich schlaf' oben!" brüllt Albrecht noch bevor unsere Koffer das Zimmer erreicht haben.
"Und ich schlafe definitiv nicht im selben Bett wie Albrecht!" sagen Steven und Alex gleichzeitig. Die beiden bekommen also das Doppelbett und ich mache es mir unter Albrecht gemütlich.

Als wir beim Abendessen sitzen und Albrecht eine der vielen landestypischen Mahlzeiten zu sich nimmt (kann Spuren von Bohnen enthalten) bemerke ich, dass ich möglicherweise falsche Entscheidungen getroffen haben könnte, was die Bettenaufteilung angeht. 
Ich selbst habe mir eine Portion "Lasagne" geholt. Jedenfalls will es eine sein. So wie Martin Schulz Bundeskanzler sein wollte. Und wir wissen alle, wie das ausging.

Der Rest der Reise war sogar... nicht gut... aber okay. Wir sind zwar 12 Stunden am Tag Bus gefahren und das Wetter war sehr "britisch", aber immerhin konnten wir uns unser Essen selber zubereiten, was die Fahrt deutlich angenehmer machte. 

"So, heute ist unser letzter Tag!" sage ich an unserem letzten Tag.

"Und wir haben ein ganz besonderes Highlight vor uns!" sage ich und kündige ein ganz besonderes Highlight an.
"Wir gehen in's Minack Theatre, einem Freilufttheater direkt am Meer!" 
Alex kotzt, Steven guckt mich desinteressiert an und Albrecht ist mit seiner Dose Bohnen beschäftigt. Die Begeisterung überwältigt mich fast.

"Waf schauwm wa denn?" fragt Albrecht ohne vermeiden zu können, dass ihm einige Bohnen aus dem Mund purzeln.
"Hänsel und Gretel!" sage ich stolz. Mir werden drei Mittelfinger entgegengestreckt.

Nach 20 Minuten verlassen wir die Aufführung. Die Website versprach ein unterhaltsames Schauspiel und eine Neuinterpretation des Klassikers. Bekommen haben wir eine deutsche Oper die schlimmer nicht hätte sein können. Die Englischen Untertitel auf den DIN A4 Großen Leinwänden in 120 Metern Entfernung waren verständlicher als das "deutsch" der Darsteller.
Es muss ziemlich beleidigend sein, wenn ausgerechnet die vier deutschen so eine Aufführung verlassen. Sagen wir einfach, es hat nicht ganz unseren Geschmack getroffen.

Als wir nach 20 Stunden Busfahrt zuhause ankommen versuche ich die Reise zusammenzufassen.
"Joa..." fange ich an "...war doch ganz... nett"
"Genau" sagt Steven und legt seinen Arm über die Schulten von Albrecht und Alex
"Tatsächlich hat uns die Reise enger zusammenwachsen lassen und uns unsere Differenzen beilegen lassen" fährt er fort.
"Wir haben uns nämlich darauf geeinigt, dass es keinen Sinn macht uns untereinander anzuscheißen" sagt Albrecht ruhig und besonnen.
Ich atme erleichtert auf. Scheinbar hat mein Plan funktioniert und alle in der WG haben sich wieder lieb. Da haben sie die Reisekosten doch gelohnt.
"Stattdessen hassen wir jetzt einfach alle dich" fügt Albrecht noch hinzu.

Na toll.



Politsch 3-DimensionalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt