Nachdem ich eine Woche im Selbsthilfesaal überlebt habe, begebe ich mich mit Wilson (Ein Medizinball mit Gesicht und gleichzeitig mein neuer bester Freund) zurück nach Hause.„Fragt mich mal wo ich gewesen bin.", rufe ich in die Wohnung hinein.
„Ne.", lautet die kollektive Antwort meiner Mitbewohner.Meine Mitbewohner sind also dieselben Arschlöcher wie vor einer Woche.
Aber jetzt hab' ich ja Wilson. Wenn Medizinbälle sprechen könnten, hätte er mich gefragt wo ich gewesen bin. Aber das macht ja keinen Sinn.
Warum sollte Wilson das Fragen, er war ja mit im Saal dabei.Bevor ich mich weiter über die Situation aufrege, lege ich mich erst einmal in mein Bett und schlafe.
Eine Stunde später werde ich von einem dröhnenden Bass geweckt.
Das Schöne an unserer WG ist, dass man auf Basis der Musikwahl hören kann, wer sich mal wieder nicht an Lärmschutzabsprachen gehalten hat. Es läuft Nirvana.Ich betrete also Albrechts Zimmer um mich zu beschweren. Es kann ja nicht sein, dass man um 15 Uhr morgens nicht seine verdiente Ruhe bekommt.
„Albrecht, Mach die Scheiß Musik mal lei...", bevor ich weiterrede muss ich zunächst den optischen Eindruck von Albrecht verarbeiten.
„..Was machst du denn da?", frage ich.
Albrecht sitzt auf seinem Bett und leckt an einem kleinen, schwarzen Plastikteil.
„Waff?", lautet seine unkoordinierte Antwort.
„Ich hab gefragt, was du Otto da treibst."
„Afso.", Albrecht steht auf und entfernt sein mündliches Tastorgan von dem Plastikteil.
„Das ist ein Spiel!", lautet sein Erklärungsversuch.
„Das ist aber ein sehr beschissenes Spiel. Wer leckt denn aus Spaß an.. was ist das eigentlich für ein Teil?"
„Na ein Spiel. Also die Speicherkarte hier. Da ist ein Spiel für eine Konsole drauf und der Hersteller hat es mit einem besonders bitterem Überzug beschichtet, damit kleine Kinder das nicht runterschlucken."
„...Und erwachsene Idioten dran lecken..."
„Auch mal?"
Albrecht hält mir die tropfende Karte unter die Nase. Ich unterdrücke meinen Würgereiz und gehe wieder.Ich höre besorgniserregendes Gemurmel und Stevens Zimmer.
„Eintausendsiebenhunderteinundsechsig, Eintausendsiebenhundertzweiundsechsig, Eintausendsiebenhundertdreiundsechsig..."
Ich entscheide mich der Sache auf den Grund zu gehen.
„Eintausendsiebenhundertsechsundsechsig..."
Steven scheint sehr in sein Vorhaben vertieft zu sein. Je weiter er zählt, desto mehr fängt er an, wie Gollum zu klingen.
„Äh... Steven", versuche ich ihn auf mich aufmerksam zu machen.
Stille. Absolute Stille.
Mir wird kalt. Steven dreht sich um, sieht mich mit leeren Augen an und zählt weiter.
Als ich ihm über die Schulter blicke, sehe ich, dass auf dem Tisch ein kleiner Haufen 20-Cent Münzen liegt, den Steven immer und immer wieder durchzählt.Ich schließe die Tür zu Stevens Zimmer leise um nicht wieder seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen und gehe ins Wohnzimmer. Dort sitzt Alex mit einem Buch, hat sich in eine Bettdecke eingewickelt und genießt einen Kakao.
„Kannst du mir mal sagen, was mit den beiden los ist?", frage ich Alex, in der Hoffnung, dass er weiß, warum unsere WG auf einmal zum Irrenhaus geworden ist.
„Jemand hat heute Vormittag den DSL-Verteilerkasten angefahren und wir haben seitdem kein Internet mehr", antwortet Alex.
„Und deswegen bricht hier gleich alles so zusammen?", frage ich.
Alex nickt kaum merklich, lehnt sich zurück und sein Blick fällt wieder in sein Buch.
„Die öffentliche Steinigung ist für 18:30 Uhr angesetzt", sagt Alex und liest sein Buch weiter.
"Der Mensch ist eine Insel. Wir sind alle gestrandet und werden langsam verrückt", sage ich zu Wilson.
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Politsch 3-Dimensional
HumorJetzt auch als Hörbuch: https://www.youtube.com/playlist?list=PLcMioVl4KIwPQs8f3zHLyMAz7MqSTWuUp "Ein halbwegs Lustiges Buch, welches auffällig viele Parallelen zu meinem eigenen Leben aufweist" ~Der Autor über dieses Buch Ich bin Autor. Jedenfalls...