Büroklammeraffe

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Ich sitze mit Albrecht im Bus auf dem Weg zum 2. Treffen der Anonymen Mietpreller.

Ursula und Albrecht können sich zwar immer noch nicht leiden, sind aber immer noch beide dazu verpflichtet regelmäßig zu erscheinen.

Ein blass Aussehender Mann mit teurem, aber zu großem, Anzug betritt das Öffentliche Transportmittel am vordersten Eingang. Er nimmt mit einigen Fahrgästen Augenkontakt auf und pirscht sich danach durch die Sitzreihen.

„Hast du mal 'ne Büroklammer?", fragt der müde aussehende Anzugträger.

Seine Frage wird von der alten Dame in der ersten Reihe gekonnt ignoriert. Er bewegt sich schweren Fußes weiter durch den Bus.

„Hast du mal 'ne Büroklammer?", wiederholt er.
„Ne, wieso?", antwortet der personentragende Bart mit Starbuckskaffee in der Hand.

„Ich brauch das", ist die prägnante Antwort des Büroklammermannes.

Ich drehe mich zu Albrecht.
„Am besten ignorierst du den", gebe ich ihm zu verstehen.
„Wieso denn das? Der Mann ist doch harmlos", antwortet Albrecht, der sich offensichtlich nicht bewusst ist, in welcher Gefahr er sich gerade befindet.
„Ich kenne solche Leute. Steven hat mich vor Bürokratie-Junkies gewarnt. Die halten keine Stunde ohne irgendwelche Anträge oder Formulare aus."
Ich deute auf die Umhängetasche des Büroklammermannes.
„Siehst du? Stapelweise Papier. Wenn der seine Klammer kriegt, hat der Arsch aber richtig Kirmes."
„Ach so. Na das ist ja gut zu wissen."
„Tacker sind als Ausweichdroge übrigens genauso riskan...", ich werde an der Schulter angetippt.

„Guten Tag, kann ich sie für das Ausfüllen dieses Umfragebogens begeistern? Es handelt sich nur um drei Vorder- und Rückseiten und sie würden meiner Firma damit einen großen Gefallen tun!"
Der zerknitterte Mann von vorhin strahlt mich nun mit einem Grinsen an, das selbst Batman Angst machen würde.

„Nein Danke, ich würde meine Meinung.."
„Lieber Telefonisch an uns weitergeben! Klar, kein Problem! Füllen sie einfach dieses Formular mit Anschrift, Name, Telefonnummer, Sozialversicherungsnummer, Abiturnotendurschnitt und Angaben zu ihrer Lieblingszahnpasta aus und geben sie den Ausgefüllten Bogen an mich weiter!"
„Eigentlich..."

Die nachfolgenden Ereignisse habe ich nur noch verschwommen in Erinnerung. In erinnere mich an Büroklammern und Kugelschreiber mit Firmenaufschrift...
Jedenfalls sind Albrecht und ich inzwischen beim Treffen angelangt.

Ursula und Albrecht beurteilen Kritisch die möglichen Positionen, die die beiden im Stuhlkreis annehmen können. Während Albrecht möglichst weit weg von Ursula, also gegenüber, sitzen möchte, versucht Ursula Augenkontakt zu vermeiden und sucht nach einem Platz in der rechten Seite von Albrecht. Das Ganze Artet darin aus, das beide im Eiltempo um den Stuhlkreis rennen in der Hoffnung, dem jeweils anderen zuvor zu kommen.
Wem die Vorstellungskraft für so etwas fehlt, der möge sich einfach ein „Ente, Ente, Gans"-Spiel mit einer korpulenten Frau, einem tätowierten Randalierer und einem Haufen Kapuzenpulli-Träger in der Mitte vorstellen.

Es endet damit, dass Ursula zu meiner linken und Albrecht zu meiner rechten sitzt. Ich sitze also genau in der neutralen Zone die in der Gefahr schwebt von der westlichen oder östlichen Weltmacht annektiert zu werden. Ein Volkentscheid meines Körpers hat ergeben, dass ich nach Hause will.

Ich versuche die Situation mit etwas Humor aufzulockern.
„Ach, wisst ihr noch damals in der Schule. Da gab's auch Stuhlkreise. Und Leute die sich nicht leiden konnten..."
Ich sinke in meinem Stuhl zusammen und merke, dass ich zum Konfliktgebiet der beiden Kriegsparteien werde.
„Deutsch und Mathe waren damals meine drei gutesten Fächer", sage ich, um verzweifelt die beiden Großmächte miteinander zu versöhnen.
Albrecht lacht.
„Hä?!", werde ich von meiner rechten angepöbelt. „es heißt ‚besten' du Sprachgenie!"
Ursula scheint die Ehre ihres ehemaligen Deutsch-Förderkurses verteidigen zu müssen.
„Ja, das ist ja auch der Witz, du Heißluftgewehr! Genauso wie, dass Deutsch und Mathe, Betonung auf Mathe, die drei...", Albrecht wird mit jedem Wort lauter „BETONUNG AUF DREI, BESTEN FÄCHER SIND!"

Achtung, Achtung. Hier spricht der Kapitän. Es werden heftige Turbolenzen erwartet, bitte stellen sie ihre Sitze aufrecht und schnallen sie sich an.

„ACH JA!?", brüllt es von meiner rechten Seite „VIELLEICHT WAR DER SCHEISS WITZ EINFACH NICHT LUSTIG!"
„Hey. Albrecht musste lachen.", versuche ich meine Ehre zu verteidigen.

Ursula muss noch irgendwas gesagt haben, aufgrund des lauten Piepens auf meinen Ohren konnte ich aber nur die Mundbewegungen und das knallrote Gesicht von ihr erkennen.

Gerade als mich entscheide, dass Krisengebiet rechtzeitig zu verlassen, spüre ich eine Faust in meinem Gesicht.
Als ich wieder Aufwache ist der Saal leer. Hier und da sind noch ein paar Blutlachen, aber die Stühle wurden ordentlich in den Raumecken gestapelt.
Auf dem Weg nach draußen, merke ich, dass der Saal inzwischen von Hausmeister abgeschlossen worden sein muss, die Tür lässt sich nämlich nicht öffnen.
Normalerweise würde ich das Schloss knacken...
Aber dafür bräuchte ich wohl 'ne verdammte Büroklammer.

Politsch 3-DimensionalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt